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In den letzten Wochen, als Neapel den x-ten Müllnotstand erlebte, tauchte
die Forderung auf, Berlusconi sofort heilig zu sprechen. Wie bei allen Heiligsprechungen muss der Kandidat
jedoch nachweislich Wunder vollbringen: in Berlusconis Fall ist das die rasche und definitive Lösung
des Müllproblems und die „Befreiung” der Bevölkerung Neapels von Kriminellen. Bereits
im April 1990 konnte man auf den Straßen Neapels „Reliquien” des zukünftigen
„Santo” kaufen: seine Tränen als nämlich Neapel durch Maradona italienischer
Fußballmeister wurde und Berlusconis Mannschaft Milan verlor. Eine der Parolen von damals lautete:
„Berlusconi, auch die Reichen weinen."
Aus heutiger Sicht scheint das Lichtjahre
entfernt. Berlusconi ist erneut an der Regierung, nicht mehr als der ewig gebräunte und geliftete
Strahlemann, sondern als „der Jesus der Politik, ein geduldiges Opfer, der alles erträgt, der
sich für alle opfert” und den „bitteren Kelch” leeren muss.
"Der meistverfolgte Mann der westlichen
Welt” opfert sich gleich zu Beginn seiner Legislaturperiode: Von der rassistischen Lega Nord fest an
die Kandare genommen, schnürt er neben Gesetzen, die ihn selbst vor der „Verfolgung” durch
eine „subversive Gerichtsbarkeit” schützen sollen, zwei Pakete: Sicherheit und Müll.
Die Heiligsprechung liegt ihm wirklich am Herzen.
Eine der ersten Maßnahmen der neuen Regierung war die, den Regierungschef vor weiteren Verfolgungen
zu schützen und illegale Einwanderung mit drakonischen Maßnahmen zu unterbinden.
Bei allen künstlich geschürten
Sicherheitsproblemen Italiens liegt Berlusconi seine eigene Sicherheit am meisten am Herzen. Um einer
Verurteilung wegen Bestechung zu entgehen, fügte er nun einen besonderen Passus in das Dekret über
die Innere Sicherheit ein: Zur Entlastung der Gerichte sollen alle Prozesse ein Jahr lang auf Eis gelegt
werden, wenn die Straftaten vor 2002 begangen wurden und weniger als zehn Jahre Haft drohen. Während
die Parlamentsmehrheit das problemlos absegnete, gibt es massiven Widerstand seitens des Obersten Rats der
Richter und Staatsanwälte. Er erklärten den Passus als „unlogisch und
verfassungswidrig”
Berlusconi will verhindern, dass er wegen
Bestechung des britischen Anwalts David Mills verurteilt wird. Dieser hatte zum Preis von 600000 Dollar sein
Wissen über Berlusconis Schwarzfirmen im Ausland für sich behalten. Außerdem sollen die
fünf höchsten Würdenträger des Staates: der Staatspräsident, der
Ministerpräsident, die Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments sowie die Präsidenten
des Verfassungsgerichtshofs für die Dauer ihrer Amtszeit für immun erklärt werden.
Schon vor der Machtübernahme der
rechten Regierung, die von der rassistischen Lega Nord an die Kandare genommen wird, verbreiteten die
mehrheitlich dem Regierungschef unterstehenden Medien ein diffuses Gefühl der Bedrohung. Nicht das
organisierte Verbrechen ist dafür verantwortlich, sondern Ausländer aller Art derzeit vor
allem Roma.
In Venedig protestieren Vertreter der Lega
gegen eine gemeinsam mit Sintis geplante und entworfene Wohnsiedlung. Derselbe Bürgermeister jedoch,
Massimo Cacciari, der sich für die Sinti einsetzt, macht den fliegenden Händlern den Garaus. Um
„Verletzungsgefahr zu vermeiden”, verbot er ohne triftigen Grund, Waren in großen
Plastiktüten in den kleinen Gassen Venedigs zu transportieren.
So trifft er das schwächste Glied des
schwunghaften Handels mit größtenteils gefälschten Lederwaren, die zumeist senegalesischen
Verkäufer. Die Italiener, die die Ware zur Verfügung stellen, bleiben unbehelligt.
Doch das ist noch harmlos gegen die
pogromartigen Ausschreitungen gegen Roma im ärmlichen neapoletanischen Viertel Ponticelli. Brave
Bürger gingen nach einer angeblich versuchten Entführung eines Babys durch ein junges
Romamädchen gegen ein ganzes Romalager mit Gewalt und brandschatzend vor. Die Polizei schützte
zwar die Roma und brachte sie an einen sicheren Ort, keiner der Brandschatzer wurde jedoch festgenommen.
Neben den Regelungen, die Berlusconi
begünstigen, richtet sich das neue „Sicherheitsgesetz” vor allem gegen Einwanderer.
Italienern, die „illegal” Wohnungen an Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung vermieten, drohen
nun bis zu sechs Monate Haft oder die zeitweise Konfiszierung der Immobilie. Laut der Zeitung La Sicilia
kann man auf diese Weise nun endlich dort „Licht schaffen, wo man seit Jahren im Schatten lebt „
z.B. im „höllischen Gassengewirr” der heruntergekommenen Altstadt Agrigents.
Natürlich werden so auch schwarze
Schafe unter den Vermietern dingfest gemacht, die Nachricht, die vermittelt wird, ist jedoch stets dieselbe:
Die Gefahr kommt von „außen”, von den „anderen” Dazu passt die
strafverschärfende Wirkung bei „illegalem” Aufenthalt.
Schließlich enthält das
Gesetzespaket noch verschärfte Verkehrsvorschriften und erweiterte Möglichkeiten für einen
schnellen Strafvollzug.
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