SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 16

Müllnotstand

"Der Müll von Neapel? Am besten in den Krater des Vesuvs"

Brennender Müll auf den Straßen, martialische Gesetze, Verhaftungen — der offiziell seit mehr als 14 Jahren währende „Müllnotstand” (siehe SoZ 1/08), den Berlusconi ruckzuck beseitigen will, geht in die nächste Runde."Ich will, dass von Neapel als ‘Stadt der Blumen‘ und nicht als ‘Stadt des Mülls‘ gesprochen wird”, meinte Berlusconi auf der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung Ende Mai, die mit großem Brimborium im Herkulessalon des Palazzo Reale, des königlichen Palastes, abgehalten wurde. Die Plätze und Straßen des Zentrums waren zuvor natürlich von den Müllbergen befreit worden, die sich seit Wochen hier anhäufen. Seine Wahlkampagne hatte Berlusconi in Neapel hauptsächlich mit unrealistischen Versprechungen hinsichtlich der nicht enden wollenden Müllmisere bestritten, die Neapolitaner dankten es ihm bei der Wahl.

Chiaiano

Chiaiano ist ein Stadtteil Neapels. Der bis vor kurzem für den Müll zuständige Sonderkommissar De Gennaro (Präfekt von Genua zu Zeiten des G8-Gipfels) hatte das Viertel, das auf porösem Tuffstein (zum großen Teil in legalisiertem Schwarzbau) errichtet ist und an das Naturschutzgebiet „Parco Metropolitano” angrenzt, als idealen Ort für eine Mülldeponie ausersehen. Das trieb die Bevölkerung auf die Barrikaden, die Proteste und Straßenschlachten machten Schlagzeilen in ganz Italien.
Bislang funktionierte hier die Müllentsorgung auf ebenso einfache, wie illegale Weise (wir zitieren im Folgenden die italienischen Wochenzeitschrift Carta): Des Nachts gibt es ein mysteriöses Verkehrsaufkommen von etlichen Lastwagen. Industrieabfälle werden auf den Straßen abgelagert. Ein altes Ehepaar, das schon lange dort wohnt, beschreibt es als „Fabrikmüll”, um dann zu präzisieren, dass es sich um etwas sehr, sehr fein Gemahlenes handelt. „Die Pulverhaufen unbekannter Herkunft bleiben liegen und verteilen sich durch den Wind, anschließend inhaliert die Bevölkerung den Staub”, schreibt Carta. Einige Stunden später kommen weitere Lastwagen, die über dem Sondermüll ganz normalen Hausmüll abladen, um den Giftmüll zu verdecken.
Auf perfekte Weise verdeckt der kampanische Müllnotstand damit die Geschäfte der Camorra. Zu guter Letzt werden in der Regel einen Tag später die Müllhaufen angezündet. Wenn die Reporter hinzukommen, sind nur noch einige wenige oxidierte Metalle zu sehen. „Die Müllabfuhr hielt es wohl für notwendig alles anzuzünden”, bevor die Gemeinde den Müll wegschafft; die Aufschriften des illegalen Mülls sind unlesbar und die „Müllhersteller” nicht zu identifizieren.
Entlang der engen Straße auf dem Tuffsteinhügel, die zu den Höhlen führt, die die Sonderkommission als Deponie vorgesehen hat, gibt es alle 100—150 Meter illegale Deponien. Alle möglichen Gifte liegen dort, sogar Eternit, auch Asbest. Oben auf den Hügeln befindet sich eine Spezialklinik für Atemwegskrankheiten.

Der Giftmüll kommt aus dem Norden

Der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano kam Anfang Juni zu einer Gedenkveranstaltung für den Journalisten Giancarlo Siani, der 1985 von der Camorra ermordet wurde, nach Neapel. Napolitano verprellte in seiner Ansprache die Lega Nord, als er offen aussprach, was schon lange aktenkundig ist: Ein Großteil des Giftmülls, der in Kampanien illegal deponiert wird und Krebsraten und Gewinne der Camorra in die Höhe treibt, kommt aus Norditalien. „Auch der Staatspräsident muss zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht mehr hinnehmen, dass immer angeblich die bösen Buben aus dem Norden an dem schuld sind, was im Süden nicht läuft”, kritisiert Roberto Castelli von der Lega, Sekretär des Ministeriums für Infrastruktur den Präsidenten.
Laut Bericht der italienischen Umweltorganisation Legambiente verschwindet jährlich ein 2000 Meter hoher Berg von Sonderabfällen in Kampanien, der Gewinn beträgt 18,4 Milliarden Euro im Jahr, ein Fünftel des Gesamtumsatzes des organisierten Verbrechens.

Operation „Rompiballe” gegen giftige Ökoballen

Die sich seit Ewigkeiten hinziehende Untersuchung gegen die betrügerische Herstellung sog. Ökoballen (siehe SoZ 1/08) — angeblich von problematischem Müll befreite Müllballen, die wie große Plastikbälle aussehen — führte Ende Mai zu 25 Hausarresten, u.a. wird gegen den Präfekten von Neapel und einem Vertreter der Firma Ecolog ermittelt, die für den Bahntransport der Ökoballen nach Deutschland zuständig ist. Mitte Juni wurde der Hausarrest zwar wieder aufgehoben, die Anklagen, die von falscher Beurkundung (gegen den Präfekten) bis zu schwerem Betrug reichen, jedoch aufrechterhalten.
Ob der massiven Proteste der Bevölkerung und der gerichtlichen Untersuchungen zieht es die Regierung nunmehr vor, über die Örtlichkeiten geplanter Verbrennungs- und Deponieanlagen zu schweigen. Der Verteidigungsminister stellt 32 Offiziere und Carabinieri für die Überwachung reibungslos funktionierender Müllaufbereitungsanlagen zur Verfügung. Zudem soll eine sog. „Superprocura” errichtet werden — eine Staatsanwaltschaft mit besonderen Kompetenzen —, wogegen sich die neapolitanische Staatsanwaltschaft mit Klauen und Zähnen wehrt; eine solche „Superprocura” ist schlicht verfassungswidrig. Berlusconi aber bleibt dabei, in rund 30 Monaten blühen wieder Blumen in Neapel, in Kampanien wird Normalität einkehren.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang