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Brennender Müll auf den Straßen, martialische Gesetze, Verhaftungen der offiziell seit mehr
als 14 Jahren währende „Müllnotstand” (siehe SoZ 1/08), den Berlusconi ruckzuck beseitigen will, geht in die
nächste Runde."Ich will, dass von Neapel als Stadt der Blumen und nicht als Stadt des Mülls gesprochen
wird”, meinte Berlusconi auf der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung Ende Mai, die mit großem Brimborium im Herkulessalon
des Palazzo Reale, des königlichen Palastes, abgehalten wurde. Die Plätze und Straßen des Zentrums waren zuvor natürlich
von den Müllbergen befreit worden, die sich seit Wochen hier anhäufen. Seine Wahlkampagne hatte Berlusconi in Neapel
hauptsächlich mit unrealistischen Versprechungen hinsichtlich der nicht enden wollenden Müllmisere bestritten, die Neapolitaner
dankten es ihm bei der Wahl.
Chiaiano ist ein Stadtteil Neapels. Der bis vor kurzem für den Müll zuständige Sonderkommissar De Gennaro (Präfekt von
Genua zu Zeiten des G8-Gipfels) hatte das Viertel, das auf porösem Tuffstein (zum großen Teil in legalisiertem Schwarzbau)
errichtet ist und an das Naturschutzgebiet „Parco Metropolitano” angrenzt, als idealen Ort für eine Mülldeponie
ausersehen. Das trieb die Bevölkerung auf die Barrikaden, die Proteste und Straßenschlachten machten Schlagzeilen in ganz Italien.
Bislang funktionierte hier die Müllentsorgung auf ebenso einfache, wie
illegale Weise (wir zitieren im Folgenden die italienischen Wochenzeitschrift Carta): Des Nachts gibt es ein mysteriöses
Verkehrsaufkommen von etlichen Lastwagen. Industrieabfälle werden auf den Straßen abgelagert. Ein altes Ehepaar, das schon lange
dort wohnt, beschreibt es als „Fabrikmüll”, um dann zu präzisieren, dass es sich um etwas sehr, sehr fein Gemahlenes
handelt. „Die Pulverhaufen unbekannter Herkunft bleiben liegen und verteilen sich durch den Wind, anschließend inhaliert die
Bevölkerung den Staub”, schreibt Carta. Einige Stunden später kommen weitere Lastwagen, die über dem Sondermüll
ganz normalen Hausmüll abladen, um den Giftmüll zu verdecken.
Auf perfekte Weise verdeckt der kampanische Müllnotstand damit die
Geschäfte der Camorra. Zu guter Letzt werden in der Regel einen Tag später die Müllhaufen angezündet. Wenn die Reporter
hinzukommen, sind nur noch einige wenige oxidierte Metalle zu sehen. „Die Müllabfuhr hielt es wohl für notwendig alles
anzuzünden”, bevor die Gemeinde den Müll wegschafft; die Aufschriften des illegalen Mülls sind unlesbar und die
„Müllhersteller” nicht zu identifizieren.
Entlang der engen Straße auf dem Tuffsteinhügel, die zu den
Höhlen führt, die die Sonderkommission als Deponie vorgesehen hat, gibt es alle 100150 Meter illegale Deponien. Alle
möglichen Gifte liegen dort, sogar Eternit, auch Asbest. Oben auf den Hügeln befindet sich eine Spezialklinik für
Atemwegskrankheiten.
Der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano kam Anfang Juni zu einer Gedenkveranstaltung für den Journalisten Giancarlo
Siani, der 1985 von der Camorra ermordet wurde, nach Neapel. Napolitano verprellte in seiner Ansprache die Lega Nord, als er offen aussprach,
was schon lange aktenkundig ist: Ein Großteil des Giftmülls, der in Kampanien illegal deponiert wird und Krebsraten und Gewinne der
Camorra in die Höhe treibt, kommt aus Norditalien. „Auch der Staatspräsident muss zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht mehr
hinnehmen, dass immer angeblich die bösen Buben aus dem Norden an dem schuld sind, was im Süden nicht läuft”, kritisiert
Roberto Castelli von der Lega, Sekretär des Ministeriums für Infrastruktur den Präsidenten.
Laut Bericht der italienischen Umweltorganisation Legambiente verschwindet
jährlich ein 2000 Meter hoher Berg von Sonderabfällen in Kampanien, der Gewinn beträgt 18,4 Milliarden Euro im Jahr, ein
Fünftel des Gesamtumsatzes des organisierten Verbrechens.
Die sich seit Ewigkeiten hinziehende Untersuchung gegen die betrügerische Herstellung sog. Ökoballen (siehe SoZ 1/08)
angeblich von problematischem Müll befreite Müllballen, die wie große Plastikbälle aussehen führte Ende Mai
zu 25 Hausarresten, u.a. wird gegen den Präfekten von Neapel und einem Vertreter der Firma Ecolog ermittelt, die für den
Bahntransport der Ökoballen nach Deutschland zuständig ist. Mitte Juni wurde der Hausarrest zwar wieder aufgehoben, die Anklagen,
die von falscher Beurkundung (gegen den Präfekten) bis zu schwerem Betrug reichen, jedoch aufrechterhalten.
Ob der massiven Proteste der Bevölkerung und der gerichtlichen
Untersuchungen zieht es die Regierung nunmehr vor, über die Örtlichkeiten geplanter Verbrennungs- und Deponieanlagen zu schweigen.
Der Verteidigungsminister stellt 32 Offiziere und Carabinieri für die Überwachung reibungslos funktionierender
Müllaufbereitungsanlagen zur Verfügung. Zudem soll eine sog. „Superprocura” errichtet werden eine
Staatsanwaltschaft mit besonderen Kompetenzen , wogegen sich die neapolitanische Staatsanwaltschaft mit Klauen und Zähnen wehrt;
eine solche „Superprocura” ist schlicht verfassungswidrig. Berlusconi aber bleibt dabei, in rund 30 Monaten blühen wieder
Blumen in Neapel, in Kampanien wird Normalität einkehren.
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