SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 17

Pogrome in Südafrika

Es lauert die Gefahr des Genozids

Neville Alexander schildert den Existenzkampf um magere Ressourcen

Zwei Monate lang wüteten in Südafrika Pogrome der einheimischen arbeitenden Bevölkerung gegen Auslandsafrikaner.
Der jüngste Ausbruch fremdenfeindlicher Gewalt in fast allen Regionen Südafrikas bezeichnen das Ende des viel gerühmten „politischen Wunders": der Regenbogen* ist eine optische Illusion. Es hat das Wirtschaftswunder, das sich das Bürgertum und das Kleinbürgertum Anfang der 90er Jahre vorstellten, nicht hervorgebracht und dies hat unweigerlich zu einer sozialen Implosion geführt, die die Linke mit Nachdruck vorausgesagt hat, obwohl sie selbst schmählich unfähig war, die so dringend erforderliche politische Alternative zu präsentieren.
Was ist passiert? Der jüngste Ausbruch der Gewalt nahm seinen Ausgang in der Provinz Gauteng, in der Johannesburg und Pretoria (heute Tshwane) liegen. Am 17.März 2008 wurden zwei Arbeiter aus Zimbabwe in der Nähe von Tshwane niedergeknüppelt; zwei Tage später wurden ein Somalier und ein Zimbabwer in verschiedenen Überfällen in Atteridgeville nahe Tshwane getötet. Am 31.März wurden drei Zimbabwer in der Nähe von Sandton getötet, das Geschäftszentrum von Johannesburg und viele Baracken in den informellen Siedlungen von Diepsloot zerstört. Am 11.April wurden in derselben Stadt nach einer öffentlichen Veranstaltung der örtlichen Gemeinde dreißig Baracken demoliert, die Zimbabwern gehörten.
Ähnliche Übergriffe gab es rund um Tshwane und Johannesburg, oftmals gingen dabei die Baracken ausländischer afrikanischer Arbeiter in Flammen auf. Am 11.Mai entlud sich die Brutalität im Township Alexandra in der Nähe von Sandton. Von hier aus breiteten sich die fremdenfeindlichen Angriffe gegen ausländische afrikanische Arbeiter und Kleinhändler wie ein Lauffeuer im ganzen Land aus.
Die tiefere Ursache für diese Gewalttaten ist überall dieselbe, sie liegt in fehlenden Dienstleistungen der Kommune, in der Verzweiflung über die schlechte Versorgung mit anständigen Wohnungen, Wasser, sanitären Einrichtungen und öffentlichen Verkehrsmitteln; es herrscht der Eindruck, bei dem Wenigen, das bereit gestellt wird, würden die „Ausländer” bevorzugt.
Die Regierung Südafrikas und Hunderte von Wohlfahrtsverbänden, karitativen und Menschenrechtsorganisationen im In- und Ausland haben seither alles Menschenmögliche getan, um den Schaden zu „reparieren” und die Gewalt und das „Unglück” zu lindern. Denn durch die Überfälle wurden 37000 „ausländische Staatsbürger” im ganzen Land in die Flucht getrieben. Die Brennpunkte liegen in den Provinzen Gauteng (mit 19453 Opfern) und Western Cape (mit 14144 Opfern). 34 vorübergehende Unterkünfte wurden in verschiedenen Teilen Südafrikas errichtet, um die flüchtigen Opfer einer ethnischen Säuberung zu beherbergen. Nach Angaben eines Regierungssprechers haben sich 37000 Personen entschlossen, in ihre Heimatländer nördlich und östlich von Südafrika zurückzukehren.
Dieses Muster der Gewalt hinterlässt eine Bitterkeit und einen Hass, den zu überwinden Jahrzehnte wenn nicht Generationen erfordern wird. Dabei sind diese Gewaltausbrüche nur die jüngsten in einer Reihe ähnlicher Ereignisse im restlichen Afrika, wo die Verhältnisse viel schlimmer sind als in Südafrika.

Die offizielle Version

Die Reaktion der Regierung bestand, wie vorauszusehen, im Versuch, das Ausmaß des Unglücks herunterzuspielen und Ausflüchte zu suchen. Regierungsbeamte wurden im Mark erschüttert von den vielen Szenen unvorstellbarer Grausamkeit und Abgestumpftheit und stammelten vor laufenden Kameras hilflos etwas wie „Wir sind alle schuldig”, „Niemand von uns hätte so ein unafrikanisches Verhalten vorhersehen können” Anfänglich gab es ominöse Erklärungen über „eine dritte Kraft” und ähnliche Verschwörungstheorien; jetzt ist der offizielle Sprachgebrauch der, dass dies das Werk einer Gruppe von Sklavenhaltern gewesen sei, die im Postapartheid- Südafrika die schwierige Situation auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt ausnutzen.
Die brutale Tatsache lautet aber, dass der Bankrott der bürgerlichen Politik, insbesondere nationalistisch-afrikanischer Politiker, sich schließlich auf die Straßen ergossen hat. Dabei wurde das Märchen, das die südafrikanischen Eliten und die liberalen Gutmenschen in der Welt um die charismatische Figur von Nelson Mandela gesponnen haben, von Tausenden von verärgerten Gruppen und Individuen, insbesondere arbeitslosen Jugendlichen, die sich davon einen Nutzen erwartet hatten, rüde in Fetzen gerissen.
Aber es hatte Warnungen gegeben, sowohl von Menschen aus dem afrikanischen Ausland als auch von Aktivisten Sozialwissenschaftlern. Sie hatten die Regierung offen gewarnt vor der Gefahr einer fremdenfeindlichen wenn nicht gar völkermörderischen Degeneration des Kampfes gegen die Apartheid, wenn bestimmte Fragen nicht mit höchster Dringlichkeit behandelt würden. Afrikanische Flüchtlinge schrieben schon 2004 Briefe an den ANC (die Regierungspartei) und an COSATU (den gewerkschaftlichen Dachverband) und auch direkt an Staatspräsident Mbeki, in denen sie „die Regierung auf die zunehmend schlechte Behandlung von Ausländern in Südafrika hinweisen (so berichtet in der überregionalen südafrikanischen Wochenzeitung Mail and Guardian in der Ausgabe vom 6.Juni 2008). Ich selbst habe in meinem Buch Der Weg von der Apartheid zur Demokratie geschrieben:
"Je nachdem ... werden wir oder werden wir nicht in der Lage sein, die begrenzten liberalen Maßnahmen aufrechtzuerhalten, die aus den Verhandlungen hervorgegangen sind. Diese Richtungskräfte haben mit tieferliegenden gesellschaftlichen Tendenzen zu tun, die die Gestalt der südafrikanischen Gesellschaft unterhalb des Glamours der parlamentarischen Tribüne formen. [Das sind unter anderen]
die massive Urbanisierung und Proletarisierung der Bevölkerung;
die chronische, scheinbar unüberwindliche Verarmung von mehr als der Hälfte der Bevölkerung wegen der stark steigenden Arbeitslosigkeit;
die Afrikanisierung unserer Städte und Kultur, einschließlich der magnetischen Anziehungskraft, die südafrikanische Städte für Männer und Frauen aus anderen Ländern des südlichen Afrika haben, die dort ein besseres Leben für sich und ihre Kinder suchen;
die damit zusammenhängende Ausländerfeindlichkeit unter südafrikanischen Arbeitern mit ihrem Bumerangeffekt auf die Beziehungen zwischen den Ethnien in Südafrika."

Was ist geschehen?

Die Geschichte beginnt mit den erhabenen Grundsätzen der liberal-demokratischen Verfassung Südafrikas, die die Bewegungsfreiheit garantiert. Im Rahmen von Mbekis viel propagierter Rhetorik von einer Afrikanischen Renaissance und einem neuen „Afrikanismus” ist diese Freiheit in der Praxis für all jene garantiert, die vor politischer Tyrannei und wirtschaftlichem Zusammenbruch in ihren Heimatländern fliehen. Dementsprechend gibt es keine wirksamen Grenzkontrollen, die zudem von einer personell unterbesetzten, mit zu wenig Mitteln ausgerüsteten und demotivierten Polizei vorgenommen werden müssten.
Hinzu kommen ein disfunktionaler öffentlicher Dienst; ein ineffektives Innenministerium, das für die Registrierung der Staatsbürger und Nichtstaatsbürger zuständig ist; eine neoliberale Sparpolitik; hohe Zinsraten; ein Haushaltsdefizit unter 3% wenn nicht sogar ein Haushaltsplus; ein seit 2004 anhaltendes Wirtschaftswachstum von 2—5%, begleitet von einer nicht weniger anhaltenden Steigerung der Arbeitslosenrate auf etwa 40%; einen enormen Bestand an schlechten Wohnungen und Slums für die städtische und ländliche Bevölkerung; eine anhaltenden Flucht letzterer in die Städte auf der Suche nach nichtexistenten Möglichkeiten; und vor allem eine der ungerechtesten Einkommensverteilungen auf der Welt — gepaart mit einer durch und durch korrupten und sich selbst bedienenden Elite.
Aus solcher Mixtur besteht das giftige Gemisch, das in den Ghettos explodierte und die am meisten Sichtbaren und Verwundbaren getroffen hat, nämlich diejenigen, die aus anderen afrikanischen und teils aus asiatischen Ländern kommen, keine südafrikanischen Sprachen sprechen, von dunklerer Hautfarbe als die meisten Südafrikaner sind usw. Blitzartig entlud sich der Mechanismus des völkermörderischen Konflikts und der ethnischen Säuberung. Wie der Politikwissenschaftler aus Uganda, Mahmood Mamdani, in Bezug auf den Genozid in Rwanda geschrieben hat, wurden die Opfer des Apartheid-Südafrika über Nacht zu Killern im Post- Apartheid-Südafrika.
Die Fortsetzung und Intensivierung der Ungleichheit und Ausbeutung im Post-Apartheid-Kapitalismus hetzt die Arbeiter untereinander auf und treibt sie in einen mörderischen Kampf um die angeblich spärlichen Ressourcen. Das gilt vor allem für den Süden des Globus, wo der Grad an beruflicher Ausbildung und gewerkschaftlicher Organisation sehr schwach ist und der einzelnen Arbeiter dem Wirken des „Marktes” und, schlimmer noch, der herrschenden kapitalistischen und individualistischen Ideologie ungeschützt ausgesetzt ist. In der Geschichte haben solche Verhältnisse immer dazu geführt, dass äußerliche gesellschaftliche Unterscheidungsmerkmale wie „Rasse”, Religion, Sprache oder „ethnische Zugehörigkeit”, Region oder Territorium in den Vordergrund gerückt wurden.

Der kulturelle Diskurs

Neben der Wirtschaft und dem Wirtschaftssystem spielt in Südafrika der politische und kulturelle Diskurs eine zentrale Rolle. Solange radikale politische und ökonomische Strategien nicht begleitet werden von diskursiven Strategien, die den rassistischen und ethnozentrischen Habitus der Bevölkerung im Allgemeinen und der Arbeiterklasse im Besonderen verändern, bleiben die Parolen der internationalen sozialistischen Bewegung wie „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!” eine noble Fantasie.
Die ausweichende, pathetische und paternalistische Rhetorik, die jetzt die Medien und das Parlament beherrscht, zeigt nur, dass wir im Fundus radikaler sozialistischer Ideen tiefer zu graben haben und unsere revolutionäre Fantasie stärker anstrengen müssen, damit wir die sozialpsychologischen und materiellen Bedingungen schaffen, in denen rassistische Reflexe nicht mehr möglich sind.
Wir werden der Bevölkerung Südafrikas und der Welt zeigen müssen, dass der Regenbogen nicht mehr ist als die „United Colours of Capitalism"; die Goldgrube liegt nicht am Fuße des Regenbogens, sondern ist ein ideologisches Konstrukt zum Nutzen der Besitzer der südafrikanischen Goldminen und der ihnen angeschlossenen multinationalen Investoren.
Um auf Mamdani und seine Erklärung des Genozids in Rwanda zurückzukommen — es liest sich wie eine Vorwegnahme unserer derzeitigen Erfahrungen in Südafrika:
"Was seine Motive und seinen Aufbau betrifft, behaupte ich, dass der Völkermord in Rwanda als Genozid durch die einheimische Bevölkerung verstanden werden muss. Es war ein Genozid durch jene, die sich als Söhne und Töchter des Bodens betrachteten und ihre Aufgabe darin sahen, den Boden von einer bedrohlichen fremden Anwesenheit zu befreien.” (Mahmood Mamdani, When Victims Become Killers: Colonialism, Nativism and the Genocide in Rwanda.)
Diese Erkenntnis hat zwei unmittelbare politische und theoretische Folgen für die sozialistische Linke. Wir müssen die Blut-und-Boden- Mythologie des Pan-Afrikanismus auseinandernehmen, die sich auch in die Rhetorik über die Afrikanische Renaissance eingeschlichen hat. Und wir müssen alle unsere Ressourcen, materielle, intellektuelle und kulturelle, daran setzen, dass sich in Südafrika keine Kultur des Genozids breit macht. Denn es bedarf nur wenig Fantasie sich vorzustellen, dass das, was den Zimbawern, Mozambikanern, Angolanern, Kongolesen und Menschen aus anderen afrikanischen Ländern passiert ist, leicht auch den Farbigen, den Weißen und schließlich auch den Zulu, Xhosa, Tswana, Sotho usw. passieren kann.
Die Dinge können sehr schnell aus dem Ruder laufen. Unser gesamter soziohistorischer Aufbau kann sich innerhalb von Wochen zersetzen — in Rwanda hat das keine hundert Tage gebraucht! „Wie ein verlauster Lumpen wird die Gewalt zwischen die Menschen geworfen”, schreibt der südafrikanische Dichter und Widerstandskämpfer gegen die Apartheid, Dennis Brutus. Wenn dies passiert, werden wir zu einem gescheiterten Staat, und von dort sich wieder zu erholen ist eine Sisyphusarbeit.
*Wegen seines Ansatzes des friedlichen Zusammenlebens verschiedener Ethnien und Nationen wurde das Post-Apartheid-Südafrika „Regenbogennation” genannt.

(Übersetzung: Angela Klein)


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