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Zwei Monate lang wüteten in Südafrika Pogrome der einheimischen
arbeitenden Bevölkerung gegen Auslandsafrikaner.
Der jüngste Ausbruch fremdenfeindlicher
Gewalt in fast allen Regionen Südafrikas bezeichnen das Ende des viel gerühmten „politischen
Wunders": der Regenbogen* ist eine optische Illusion. Es hat das Wirtschaftswunder, das sich das
Bürgertum und das Kleinbürgertum Anfang der 90er Jahre vorstellten, nicht hervorgebracht und dies
hat unweigerlich zu einer sozialen Implosion geführt, die die Linke mit Nachdruck vorausgesagt hat,
obwohl sie selbst schmählich unfähig war, die so dringend erforderliche politische Alternative zu
präsentieren.
Was ist passiert? Der jüngste Ausbruch
der Gewalt nahm seinen Ausgang in der Provinz Gauteng, in der Johannesburg und Pretoria (heute Tshwane)
liegen. Am 17.März 2008 wurden zwei Arbeiter aus Zimbabwe in der Nähe von Tshwane
niedergeknüppelt; zwei Tage später wurden ein Somalier und ein Zimbabwer in verschiedenen
Überfällen in Atteridgeville nahe Tshwane getötet. Am 31.März wurden drei Zimbabwer in
der Nähe von Sandton getötet, das Geschäftszentrum von Johannesburg und viele Baracken in den
informellen Siedlungen von Diepsloot zerstört. Am 11.April wurden in derselben Stadt nach einer
öffentlichen Veranstaltung der örtlichen Gemeinde dreißig Baracken demoliert, die Zimbabwern
gehörten.
Ähnliche Übergriffe gab es rund um
Tshwane und Johannesburg, oftmals gingen dabei die Baracken ausländischer afrikanischer Arbeiter in
Flammen auf. Am 11.Mai entlud sich die Brutalität im Township Alexandra in der Nähe von Sandton.
Von hier aus breiteten sich die fremdenfeindlichen Angriffe gegen ausländische afrikanische Arbeiter
und Kleinhändler wie ein Lauffeuer im ganzen Land aus.
Die tiefere Ursache für diese
Gewalttaten ist überall dieselbe, sie liegt in fehlenden Dienstleistungen der Kommune, in der
Verzweiflung über die schlechte Versorgung mit anständigen Wohnungen, Wasser, sanitären
Einrichtungen und öffentlichen Verkehrsmitteln; es herrscht der Eindruck, bei dem Wenigen, das bereit
gestellt wird, würden die „Ausländer” bevorzugt.
Die Regierung Südafrikas und Hunderte
von Wohlfahrtsverbänden, karitativen und Menschenrechtsorganisationen im In- und Ausland haben seither
alles Menschenmögliche getan, um den Schaden zu „reparieren” und die Gewalt und das
„Unglück” zu lindern. Denn durch die Überfälle wurden 37000
„ausländische Staatsbürger” im ganzen Land in die Flucht getrieben. Die Brennpunkte
liegen in den Provinzen Gauteng (mit 19453 Opfern) und Western Cape (mit 14144 Opfern). 34
vorübergehende Unterkünfte wurden in verschiedenen Teilen Südafrikas errichtet, um die
flüchtigen Opfer einer ethnischen Säuberung zu beherbergen. Nach Angaben eines Regierungssprechers
haben sich 37000 Personen entschlossen, in ihre Heimatländer nördlich und östlich von
Südafrika zurückzukehren.
Dieses Muster der Gewalt hinterlässt
eine Bitterkeit und einen Hass, den zu überwinden Jahrzehnte wenn nicht Generationen erfordern wird.
Dabei sind diese Gewaltausbrüche nur die jüngsten in einer Reihe ähnlicher Ereignisse im
restlichen Afrika, wo die Verhältnisse viel schlimmer sind als in Südafrika.
Die Reaktion der Regierung bestand, wie vorauszusehen, im Versuch, das Ausmaß des Unglücks
herunterzuspielen und Ausflüchte zu suchen. Regierungsbeamte wurden im Mark erschüttert von den
vielen Szenen unvorstellbarer Grausamkeit und Abgestumpftheit und stammelten vor laufenden Kameras hilflos
etwas wie „Wir sind alle schuldig”, „Niemand von uns hätte so ein unafrikanisches
Verhalten vorhersehen können” Anfänglich gab es ominöse Erklärungen über
„eine dritte Kraft” und ähnliche Verschwörungstheorien; jetzt ist der offizielle
Sprachgebrauch der, dass dies das Werk einer Gruppe von Sklavenhaltern gewesen sei, die im Postapartheid-
Südafrika die schwierige Situation auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt ausnutzen.
Die brutale Tatsache lautet aber, dass der
Bankrott der bürgerlichen Politik, insbesondere nationalistisch-afrikanischer Politiker, sich
schließlich auf die Straßen ergossen hat. Dabei wurde das Märchen, das die
südafrikanischen Eliten und die liberalen Gutmenschen in der Welt um die charismatische Figur von
Nelson Mandela gesponnen haben, von Tausenden von verärgerten Gruppen und Individuen, insbesondere
arbeitslosen Jugendlichen, die sich davon einen Nutzen erwartet hatten, rüde in Fetzen gerissen.
Aber es hatte Warnungen gegeben, sowohl von
Menschen aus dem afrikanischen Ausland als auch von Aktivisten Sozialwissenschaftlern. Sie hatten die
Regierung offen gewarnt vor der Gefahr einer fremdenfeindlichen wenn nicht gar völkermörderischen
Degeneration des Kampfes gegen die Apartheid, wenn bestimmte Fragen nicht mit höchster Dringlichkeit
behandelt würden. Afrikanische Flüchtlinge schrieben schon 2004 Briefe an den ANC (die
Regierungspartei) und an COSATU (den gewerkschaftlichen Dachverband) und auch direkt an Staatspräsident
Mbeki, in denen sie „die Regierung auf die zunehmend schlechte Behandlung von Ausländern in
Südafrika hinweisen (so berichtet in der überregionalen südafrikanischen Wochenzeitung Mail
and Guardian in der Ausgabe vom 6.Juni 2008). Ich selbst habe in meinem Buch Der Weg von der Apartheid zur
Demokratie geschrieben:
"Je nachdem ... werden wir oder werden
wir nicht in der Lage sein, die begrenzten liberalen Maßnahmen aufrechtzuerhalten, die aus den
Verhandlungen hervorgegangen sind. Diese Richtungskräfte haben mit tieferliegenden gesellschaftlichen
Tendenzen zu tun, die die Gestalt der südafrikanischen Gesellschaft unterhalb des Glamours der
parlamentarischen Tribüne formen. [Das sind unter anderen]
die massive Urbanisierung und
Proletarisierung der Bevölkerung;
die chronische, scheinbar
unüberwindliche Verarmung von mehr als der Hälfte der Bevölkerung wegen der stark steigenden
Arbeitslosigkeit;
die Afrikanisierung unserer Städte
und Kultur, einschließlich der magnetischen Anziehungskraft, die südafrikanische Städte
für Männer und Frauen aus anderen Ländern des südlichen Afrika haben, die dort ein
besseres Leben für sich und ihre Kinder suchen;
die damit zusammenhängende
Ausländerfeindlichkeit unter südafrikanischen Arbeitern mit ihrem Bumerangeffekt auf die
Beziehungen zwischen den Ethnien in Südafrika."
Die Geschichte beginnt mit den erhabenen Grundsätzen der liberal-demokratischen Verfassung
Südafrikas, die die Bewegungsfreiheit garantiert. Im Rahmen von Mbekis viel propagierter Rhetorik von
einer Afrikanischen Renaissance und einem neuen „Afrikanismus” ist diese Freiheit in der Praxis
für all jene garantiert, die vor politischer Tyrannei und wirtschaftlichem Zusammenbruch in ihren
Heimatländern fliehen. Dementsprechend gibt es keine wirksamen Grenzkontrollen, die zudem von einer
personell unterbesetzten, mit zu wenig Mitteln ausgerüsteten und demotivierten Polizei vorgenommen
werden müssten.
Hinzu kommen ein disfunktionaler
öffentlicher Dienst; ein ineffektives Innenministerium, das für die Registrierung der
Staatsbürger und Nichtstaatsbürger zuständig ist; eine neoliberale Sparpolitik; hohe
Zinsraten; ein Haushaltsdefizit unter 3% wenn nicht sogar ein Haushaltsplus; ein seit 2004 anhaltendes
Wirtschaftswachstum von 25%, begleitet von einer nicht weniger anhaltenden Steigerung der
Arbeitslosenrate auf etwa 40%; einen enormen Bestand an schlechten Wohnungen und Slums für die
städtische und ländliche Bevölkerung; eine anhaltenden Flucht letzterer in die Städte
auf der Suche nach nichtexistenten Möglichkeiten; und vor allem eine der ungerechtesten
Einkommensverteilungen auf der Welt gepaart mit einer durch und durch korrupten und sich selbst
bedienenden Elite.
Aus solcher Mixtur besteht das giftige
Gemisch, das in den Ghettos explodierte und die am meisten Sichtbaren und Verwundbaren getroffen hat,
nämlich diejenigen, die aus anderen afrikanischen und teils aus asiatischen Ländern kommen, keine
südafrikanischen Sprachen sprechen, von dunklerer Hautfarbe als die meisten Südafrikaner sind usw.
Blitzartig entlud sich der Mechanismus des völkermörderischen Konflikts und der ethnischen
Säuberung. Wie der Politikwissenschaftler aus Uganda, Mahmood Mamdani, in Bezug auf den Genozid in
Rwanda geschrieben hat, wurden die Opfer des Apartheid-Südafrika über Nacht zu Killern im Post-
Apartheid-Südafrika.
Die Fortsetzung und Intensivierung der
Ungleichheit und Ausbeutung im Post-Apartheid-Kapitalismus hetzt die Arbeiter untereinander auf und treibt
sie in einen mörderischen Kampf um die angeblich spärlichen Ressourcen. Das gilt vor allem
für den Süden des Globus, wo der Grad an beruflicher Ausbildung und gewerkschaftlicher
Organisation sehr schwach ist und der einzelnen Arbeiter dem Wirken des „Marktes” und, schlimmer
noch, der herrschenden kapitalistischen und individualistischen Ideologie ungeschützt ausgesetzt ist.
In der Geschichte haben solche Verhältnisse immer dazu geführt, dass äußerliche
gesellschaftliche Unterscheidungsmerkmale wie „Rasse”, Religion, Sprache oder „ethnische
Zugehörigkeit”, Region oder Territorium in den Vordergrund gerückt wurden.
Neben der Wirtschaft und dem Wirtschaftssystem spielt in Südafrika der politische und kulturelle
Diskurs eine zentrale Rolle. Solange radikale politische und ökonomische Strategien nicht begleitet
werden von diskursiven Strategien, die den rassistischen und ethnozentrischen Habitus der Bevölkerung
im Allgemeinen und der Arbeiterklasse im Besonderen verändern, bleiben die Parolen der internationalen
sozialistischen Bewegung wie „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!” eine noble
Fantasie.
Die ausweichende, pathetische und
paternalistische Rhetorik, die jetzt die Medien und das Parlament beherrscht, zeigt nur, dass wir im Fundus
radikaler sozialistischer Ideen tiefer zu graben haben und unsere revolutionäre Fantasie stärker
anstrengen müssen, damit wir die sozialpsychologischen und materiellen Bedingungen schaffen, in denen
rassistische Reflexe nicht mehr möglich sind.
Wir werden der Bevölkerung
Südafrikas und der Welt zeigen müssen, dass der Regenbogen nicht mehr ist als die „United
Colours of Capitalism"; die Goldgrube liegt nicht am Fuße des Regenbogens, sondern ist ein
ideologisches Konstrukt zum Nutzen der Besitzer der südafrikanischen Goldminen und der ihnen
angeschlossenen multinationalen Investoren.
Um auf Mamdani und seine Erklärung des
Genozids in Rwanda zurückzukommen es liest sich wie eine Vorwegnahme unserer derzeitigen
Erfahrungen in Südafrika:
"Was seine Motive und seinen Aufbau
betrifft, behaupte ich, dass der Völkermord in Rwanda als Genozid durch die einheimische
Bevölkerung verstanden werden muss. Es war ein Genozid durch jene, die sich als Söhne und
Töchter des Bodens betrachteten und ihre Aufgabe darin sahen, den Boden von einer bedrohlichen fremden
Anwesenheit zu befreien.” (Mahmood Mamdani, When Victims Become Killers: Colonialism, Nativism and the
Genocide in Rwanda.)
Diese Erkenntnis hat zwei unmittelbare
politische und theoretische Folgen für die sozialistische Linke. Wir müssen die Blut-und-Boden-
Mythologie des Pan-Afrikanismus auseinandernehmen, die sich auch in die Rhetorik über die Afrikanische
Renaissance eingeschlichen hat. Und wir müssen alle unsere Ressourcen, materielle, intellektuelle und
kulturelle, daran setzen, dass sich in Südafrika keine Kultur des Genozids breit macht. Denn es bedarf
nur wenig Fantasie sich vorzustellen, dass das, was den Zimbawern, Mozambikanern, Angolanern, Kongolesen und
Menschen aus anderen afrikanischen Ländern passiert ist, leicht auch den Farbigen, den Weißen und
schließlich auch den Zulu, Xhosa, Tswana, Sotho usw. passieren kann.
Die Dinge können sehr schnell aus dem
Ruder laufen. Unser gesamter soziohistorischer Aufbau kann sich innerhalb von Wochen zersetzen in
Rwanda hat das keine hundert Tage gebraucht! „Wie ein verlauster Lumpen wird die Gewalt zwischen die
Menschen geworfen”, schreibt der südafrikanische Dichter und Widerstandskämpfer gegen die
Apartheid, Dennis Brutus. Wenn dies passiert, werden wir zu einem gescheiterten Staat, und von dort sich
wieder zu erholen ist eine Sisyphusarbeit.
*Wegen seines Ansatzes des friedlichen
Zusammenlebens verschiedener Ethnien und Nationen wurde das Post-Apartheid-Südafrika
„Regenbogennation” genannt.
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