SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 20

Malmö, 17.—21.September:

Neue Impulse vom Europäischen Sozialforum?

von Angela Klein

Das Europäische Sozialforum in Malmö kann zu einem Brennpunkt für eine europaweite Bewegung gegen den Lissabon-Vertrag werden

Der Sozialforumsprozess gerät in die Kritik, weltweit, aber auch europaweit. Das „Netzwerk der Netzwerke” weitet sich zwar nach wie vor aus, es gehen von ihm aber nicht die Impulse an Gegenwehr aus, die erforderlich wären.
Selbst aus Gewerkschaftskreisen kommt inzwischen eine solche Kritik. Ein Diskussionsbeitrag des Internationalen Gewerkschaftsbunds über die Zukunft des Weltsozialforums stellt dazu einige Überlegungen an und endet mit dem bemerkenswerten Vorschlag: „Wir denken, dass die Zukunft des Forums von seiner Fähigkeit abhängt, sich in zwei Richtungen weiter zu entwickeln: einerseits den offenen Raum beizubehalten, wie er in der Charta von Porto Alegre beschrieben wird; andererseits eine politische Positionierung zu wagen. Die Herausforderung besteht darin, ob wir es vermögen, aus unseren Unterschieden nicht eine Quelle der Zersplitterung, sondern eine Kraft zu machen, die uns erlaubt, im politischen Geschehen eine größere Rolle zu spielen."
Das kommende Europäische Sozialforum in Malmö könnte einen Schritt in diese Richtung gehen. Erstmals steht ein Europäisches Sozialforum im Zentrum der Mobilisierung der Gewerkschaftsjugend — und das nicht nur in Deutschland. Zweitens ist die Versammlung sozialer Bewegung inzwischen Teil des Sozialforums und nicht mehr nur angehängt. Was dort beschlossen werden kann, wird durch einen organisierten Diskussionsprozess auf den europäischen Vorbereitungstreffen aber auch auf der Webseite http://openesf.net vorbereitet.
Drittens aber birgt das irische Nein zum Lissabon-Vertrag die Chance, dass nun ein Ruck durch die sozialen Bewegungen in Europa geht, die Iren mit ihrem Nein nicht allein zu lassen. Es ist ganz offenkundig, dass die Eurokraten sich über die vorwiegend ablehnende Meinung der Bevölkerung hinweg setzen wollen und ihre undemokratischen Regeln dazu nutzen, die Iren zu isolieren und ihr Nein als „unfreundlichen, uneuropäischen und inkompetenten Akt” hinzustellen versuchen, an dem Europa sich nicht aufhalten dürfe. Es kommt also darauf an zu zeigen, dass die Mehrzahl der Bevölkerung in Europa so denkt wie die Iren und der EU- Vertrag deshalb ad acta zu legen ist.
Auf dem Vorbereitungstreffen in Kiew Anfang Juni war diese Klammer so noch nicht sichtbar. Es wurden dort verschiedene Vorschläge für gemeinsame europaweite Mobilisierungen vorgetragen, einer so wichtig wie der andere:
Da ist der EU-Gipfel im März 2009, wenn Tschechien den Ratsvorsitz übernimmt. Die tschechische Regierung steht dem Lissabon-Vertrag skeptisch bis ablehnend gegenüber, eine Verfassungsklage ist beim Obersten Gericht anhängig. Der EU-Gipfel kann eine Gelegenheit sein, soziale Mindeststandards wie z.B. einen europäischen Mindestlohn in Europa einzufordern.
Da ist der NATO-Gipfel anlässlich des 60.Jahrestags des atlantischen Bündnisses im April. Die Feierlichkeiten werden in Straßburg und Kehl stattfinden. In Deutschland und Frankreich laufen deshalb die Vorbereitungen für Gegenmobilisierungen auf Hochtouren; aber auch in anderen Ländern haben die Linke und die Friedensbewegung allen Grund, gegen die NATO zu mobilisieren — wie in der Ukraine, wo der Beitritt zur NATO vorbereitet wird, oder in Irland, dessen Neutralität durch den EU-Vertrag ausgehebelt würde.
Da ist der G8-Gipfel im Juli in Italien — diesmal auf der Insel Maddalena vor Sardinien, ein zugleich luxuriöses und hoch militarisiertes Gelände. Und der Regierungschef heißt diesmal wie schon 2001 Berlusconi.
Und im Dezember findet der UN-Gipfel für Umwelt und Entwicklung in Kopenhagen statt, was alle auf den Plan ruft, die den unverantwortlichen Umgang mit der Natur endlich stoppen wollen
Für das darauf folgende Jahr 2010 gibt es zwei Vorschläge für Märsche durch Europa gegen Armut und Gewalt: einer kommt von der Europäischen Armutskonferenz (EAPN), der zweite von Weltfrauenmarsch.
In Kiew wurde der Vorschlag gemacht, in Malmö eine gemeinsame Kampagne zu beschließen unter dem Titel „Change Europe!”, unter dem die verschiedenen Mobilisierungen zusammengefasst werden könnten. Es wird in Malmö zu diskutieren sein, ob es darüber hinaus möglich ist, sie auch unter der Überschrift „Nein zum Vertrag von Lissabon!” zusammenzufassen. Ein solches Nein wäre die wirkliche, den realen Verhältnissen gerecht werdende politische Klammer, der gemeinsame Nenner all der verschiedenen sozialen und politischen Kämpfe, die heute gegen die neoliberale Ordnung in Europa geführt werden. Zugleich konfrontiert es die Bewegungen, aber auch Parteien mit der Notwendigkeit, eine Antwort zu geben, die sich auf der Höhe der Herausforderung bewegt: nämlich im europäischen Rahmen.
Auch darüber wird in Malmö die Diskussion fortgesetzt. In deren Zentrum stehen die Perspektiven für ein anderes Europa. Dafür gibt es nun mit den 10 Punkten von Attac und der Charta der Grundsätze für ein anderes Europa zwei Entwürfe, die sich politisch im Wesentlichen darin unterscheiden, für wie „reformfähig” die EU gehalten wird. Die Charta liegt inzwischen in mehreren Sprachen vor (www.europe4all.org). Dis bisherige Debatte darum drehte sich vorwiegend um Forderungen nach europaweiten Standards bei den sozialen, politischen und Bürgerrechten. Ausgeblendet wurde bislang die Frage nach wirtschaftlichen und institutionellen Alternativen. Je lauter das Nein zum EU-Vertrag aber wird, desto weniger wird man es sich jedoch leisten können, diese Frage weiter auszublenden.


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