SoZ - Sozialistische Zeitung |
Der Unrast-Verlag plant die Herausgabe einer Reihe über
„Dissidenten der Arbeiterbewegung”, die der sozialdemokratische Mainstream und sein
„marxistisch-leninistischer Zwilling” zu Kritikern ihrer Arbeiterbewegung werden ließen.
Die Herausgeber hoffen, dass die Illusionslosigkeit und Klarheit der Texte Hilfestellungen geben
können, in einer Zeit in der in Deutschland soziale Kämpfe wieder auf der Tagesordnung stehen.
Der erste Band der Reihe ist dem 2007
verstorbenen holländischen Linkskommunisten Carlo Brendel gewidmet. Brendel radikalisierte sich in der
Weltwirtschaftskrise und stieß 1934 zu der von den Theoretikern Anton Pannekoek und Hermann Gorter
geprägten „Gruppe Internationaler Kommunisten” Der Titel des Buches Die soziale Revolution
ist keine Parteisache entstammt einer Schrift von Otto Rühle, der damit eine frühe Kritik
formulierte, wie die Hauptströmungen der Arbeiterbewegung den Parteibildungsprozess der Klasse
begriffen.
Im Mittelpunkt des Buches stehen sowohl
bekannte als auch erstmals ins Deutsche übersetzte Aufsätze. Der Linkskommunismus hatte seine
politische Hochzeit in revolutionären Situationen, in der sich die Arbeiterklasse selbständig in
Räten organisieren konnte und sich Menschen Dinge zutrauten, an die sie im Alltag nicht zu träumen
wagten. Hier deckten sich die theoretischen Vorstellungen des Rätekommunismus am ehesten mit der realen
Praxis des Klassenkampfes. Doch auch bei der Analyse von Streikbewegungen der Arbeiterklasse in
nichtrevolutionären Zeiten zeigt sich Carlo Brendel als gut informierter Beobachter, nicht nur in
Aktionen, an denen er selbst teilnahm oder mit den Akteuren das Gespräch suchte, sondern auch bei
Bewegungen, die er nur von fern beurteilen konnte.
Exemplarisch für Brendels Sichtweise
ist seine Darstellung des Arbeiteraufstands in der DDR 1953 als proletarische Klassenbewegung. Einen breiten
Raum nimmt die Beurteilung der russischen und der chinesischen Revolution ein, die nach dem Ende des sog.
Realsozialismus und der Niederlage der Kulturrevolution in China erneut einen neuen Reiz hat. Für
Brendel und die Linkskommunisten stand eine proletarische Revolution aufgrund der unterentwickelten
Klassenverhältnisse weder in Russland noch in China auf der Tagesordnung. Auch wenn die Geschichte dort
keineswegs den bekannten Gang nehmen musste, spricht ihr Ergebnis durchaus für Brendels Analyse. Am
Ende entstand eine autoritäre Entwicklungsdiktatur mit der Lohnarbeit als Basis. Die Rolle der
bolschewistischen Partei ähnelt darin der der Jakobiner in der französischen Revolution. Für
die Linkskommunisten ist der Sozialismus dagegen im Kern ein sozialer Prozess, in dem die Arbeiterklasse die
Produktionsmittel wirklich vergesellschaftet und sich damit auch als Klasse aufheben kann. Diese Aufgabe
kann ihr keine Partei abnehmen und auch kein Staat, dessen Aufgaben die Gesellschaft selber übernehmen
muss.
In der Konsequenz interessieren sich Brendel
und Genossen auch viel mehr für Bewegungen, in denen sich neue Ansätze der Selbstorganisation der
Klasse herausbilden, als für den Aufbau politischer Parteien, die auf Stellvertreterlogik und den Staat
fixiert sind. Durchaus von aktuellem Wert sind Brendels Beobachtungen des Eisenbahnerstreiks in Holland
2000, bei denen die Arbeiter eigene kollektive Strukturen schufen, um sich den Streikverlauf nicht von den
Gewerkschaftsvorständen aus den Händen nehmen zu lassen. Bei der berechtigten Abgrenzung von
politischen Avantgarden und gewerkschaftlichen Apparaten, die oft wenig Interesse daran haben, das
selbständige Denken und Handeln der Arbeiter zu fördern, scheint mir Brendel allerdings eine etwas
realitätsfremde Vorstellung davon zu entwickeln, wie revolutionäres Handeln entsteht. So schreibt
er in seinem Aufsatz über den Arbeiteraufstand 1953 in der DDR: „Wir erkennen daraus, dass es im
Klassenkampf nicht drauf ankommt, was die Arbeiter über ihre eigene Aktionen denken, sondern dass es
nur darum geht, was die Arbeiterklasse ist und was sie aus diesem Grund gezwungen ist zu tun."
Das erweckt den Eindruck, als besitze die
Arbeiterklasse bereits den Bauplan für eine andere Gesellschaft wie ein genetischer Code, der sich
selbst entfalten wird, wenn es an der Zeit ist und ihn politische Beeinflussungen von außen daran nicht
hindern. Aus der Lage der Arbeiterklasse ergibt sich jedoch nicht notwendig emanzipatives Klassenhandeln. Ob
und wie gehandelt wird, ist auch das Ergebnis politischer Einflussnahme „von außen” Die
kann von anderen in einem Konflikt steckenden Arbeiter kommen, oder von außen stehenden,
unterstützenden Arbeitern, die bereits wichtige „Voraus"erfahrungen gemacht haben, oder auch
von Leuten, die über Ideen und Kenntnisse verfügen, die außerhalb des Erfahrungshorizonts der
kämpfenden Akteure liegen. Und natürlich bleiben die vielfältigen Kanäle der
Einflussnahme durch die herrschende Ordnung immer präsent. So fügt sich das zusammen, „was
die Arbeiter über ihre Aktionen denken”, ob sie daran teilnehmen oder nicht, ob sie an ihren
Erfolg glauben und was sie sich dabei vornehmen. Die Dynamik der Aktion kann das beeinflussen, aber nicht
grundsätzlich infrage stellen.
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