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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2008, Seite 04

Berliner Interessen im Südkaukasus

Ein Landkorridor fürs Öl

von Hans Georg

Mit umfassenden diplomatischen Initiativen und der Entsendung eines Sonderbeauftragten interveniert die Bundesregierung im bewaffneten Konflikt zwischen Georgien und Russland. Man sehe sich dort „in besonderer Verantwortung”, erklärt das Auswärtige Amt.
Die drei südkaukasischen Staaten, darunter Georgien, gehören zu den besonderen Interessengebieten der Berliner Außenpolitik: Sie bilden einen prowestlichen Staatengürtel südlich von Russland und eröffnen dem Westen den direkten Zugang zu den Energieressourcen des Kaspischen Beckens.
Die aktuellen Kriegshandlungen bedrohen nicht nur die deutsche Stellung in dem Gebiet; sie lassen außerdem die Spannungen zwischen Russland und den USA eskalieren und gefährden damit das Bemühen Berlins, durch gleichzeitige Zusammenarbeit mit Washington und Moskau die eigene Position zu stärken — nach Art traditioneller Schaukelpolitik. Die Bundesregierung ist in Versuche zur Eindämmung der Abspaltungskonflikte schon seit den 90er Jahren involviert.
Den Interventionen des deutschen Außenministers in den bewaffneten Konflikt zwischen Georgien und Russland hat sich am Wochenende auch Bundeskanzlerin Merkel angeschlossen. Nach einer „bedingungslosen Waffenruhe” seien sämtliche militärischen Kräfte „auf ihre Stellungen vor Ausbruch der Kampfhandlungen” zurückzuziehen, forderte die Kanzlerin, die die Aktivitäten der französischen EU- Ratspräsidentschaft im Südkaukasus mit den Berliner Konzepten abstimmte.
Berlin hat starke Interessen im Südkaukasus, die durch die Kriegshandlungen zwischen Georgien und Russland ernsthaft bedroht werden. Sie kreisen um die Eigenstaatlichkeit Georgiens, die Deutschland nach der Sezession Tbilissis aus der Sowjetunion als erster Staat weltweit anerkannte. Seitdem bildet das Land gemeinsam mit Armenien und Aserbaidschan einen Staatengürtel südlich von Russland, der dem unmittelbaren Zugriff Moskaus entzogen und für westlichen Einfluss offen ist, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Mit dem Amtsantritt des gegenwärtigen georgischen Staatspräsidenten Michail Saakaschwili nach dem von Berlin unterstützten Umsturz Ende 2003 orientierte vor allem Tbilissi bedingungslos auf die EU und die USA. Dies hat nicht nur geostrategische, sondern auch hohe ökonomische Bedeutung, weil die südkaukasischen Staaten einen schmalen Landkorridor zwischen Russland und dem Iran bilden; über ihn können die äußerst umfangreichen Energieressourcen des Kaspischen Beckens nach Westen abgeführt werden, ohne dass Moskau oder Teheran die Kontrolle darüber bekämen. Die aktuelle Forderung Berlins, Russland solle seine Truppen von georgischem Territorium zurückziehen, hat ihren Ursprung auch in der Sorge um den Fortbestand des prowestlichen Staatengürtels im Südkaukasus.
Dennoch stößt die georgische Militäroffensive der vergangenen Woche, die den Einfluss Russlands auf die Teilrepublik Südossetien entscheidend schwächen sollte, in Berlin auf deutliche Kritik. Hintergrund sind innerwestliche Streitigkeiten um die Kaukasuspolitik. Washington plädiert für ein offensives Vorgehen in Osteuropa und Zentralasien und verlangt die Aufnahme Georgiens in die NATO; damit soll die Einbindung Tbilissis in die westlichen Bündnissysteme unumkehrbar werden.
Die Bundesregierung verweigert sich diesem Ansinnen bislang. Zuletzt hat die Bundeskanzlerin beim NATO-Gipfel Anfang April gegen US-amerikanisches Drängen eine weitere Annäherung Georgiens an das Kriegsbündnis verhindert. Ursache ist nicht nur die Befürchtung, die deutsch-russische Zusammenarbeit könne ernsten Schaden nehmen, wenn die NATO sich noch weiter nach Osten ausdehnt. Die USA zielten darauf, „weitere proamerikanisch orientierte Länder in das Bündnis zu bringen”, um dort die eigene Dominanz auszudehnen, warnte die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) schon Ende 2006.
Die jetzt von Russland zurückgeschlagene georgische Militärintervention entspricht dem offensiven Kurs Washingtons, das mehr als 100 Militärberater in Georgien stationiert hat. Sie wird daher von Berlin, das den eigenen Einfluss wahren will, nicht unterstützt. Bei einer Eskalation der Spannungen zwischen Moskau und Washington geriete Deutschland in Schwierigkeiten, seine westlichen Beistandspflichten mit der deutsch-russischen Zusammenarbeit in Einklang zu bringen. Daher besteht die Bundesregierung neben dem Rückzug der russischen Truppen auch auf dem Abzug des georgischen Militärs aus Südossetien und damit auf der Herstellung des bisherigen Status quo. Gelingt es, dies durchzusetzen, kann sich Berlin Hoffnungen auf größeren Einfluss bei den Verhandlungen um die Zukunft der Sezessionsgebiete Südossetien und Abchasien machen.
Die deutschen Aktivitäten in den umstrittenen Regionen reichen bis in die erste Hälfte der 90er Jahre zurück. Seit 1994 sind Soldaten der Bundeswehr im Rahmen der UN-Beobachtermission UNOMIG in Georgien im Einsatz. UNOMIG wurde mehrere Jahre lang von einem Berliner Diplomaten geleitet, der auch Vorschläge zur Eindämmung der Sezessionskonflikte unterbreitete. Auch eine OSZE-Mission in Südossetien stand zeitweise unter deutscher Führung. Ihre Aufwertung ist jetzt erneut im Gespräch.

Dieser Beitrag erschien auf www.german-foreign-policy.com


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