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Woher kommt die wachsende Feindseligkeit gegen Muslime?
Manche sagen, das liegt nur an der Außenpolitik der islamischen Staaten. Andere sagen, das liegt nur an der islamischen Theologie. Die
Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.
Es wäre absurd, zu leugnen dass die Außenpolitik die
Anziehungskraft des Terrorismus steigert. Muslime können aber auch nicht ignorieren, dass es eine intolerante, sektiererische Strömung
im Islam gibt, die den Terrorismus mit falschen religiösen Bezügen rechtfertigt.
Die terroristische Drohung kann nur verringert werden durch eine gemeinsame
Anstrengung von uns allen. Als Muslime müssen wir auch die sektiererischen Perversionen unseres Glaubens bekämpfen. Dieser Kampf
kann wirksam nur aus dem Inneren der muslimischen Tradition geführt werden, also von den Muslimen selbst.
Wir führen diesen Kampf aber mit zusammengebissenen Zähnen,
wenn man Muslime spüren lässt, dass der Kampf gegen den Terrorismus nur Teil eines breiteren Angriffs auf ihren Lebensstil ist. Die
Debatten über Integration und Identität richten sich ja gegen unsere Kleidung, unseren Lebensstil, unsere Kultur und Organisationen,
überhaupt unseren Platz in der Gesellschaft.
Dieses Gefühl, dass wir belagert werden, hat eine defensive Reaktion
hervorgebracht: die Weigerung, unsere eigenen Probleme anzuerkennen aus Angst, damit unseren Angreifern in die Hände zu spielen. Es hat
Menschen ermutigt, ihre ideologischen Schotten dicht zu machen statt sie abzuwerfen.
Ein Ausdruck davon ist die Leichtigkeit, mit der große Teile unserer
Gemeinde auf Verschwörungstheorien zurückgreifen, wenn sie den 11.September erklären sollen oder den Angriff auf den
Flughafen von Glasgow (am 1.Juli 2007). Statt sich die fürchterliche Wahrheit einzugestehen, dass Personen aus unserer eigenen Gemeinde
für solche Barbarei verantwortlich sein könnten, müssen es die Anderen gewesen sein, die uns damit noch mehr verunglimpfen
wollen.
Es war lang genug die Rede von „sie” und „wir”
Im Kampf um unsere Bürgerrechte brauchen wir Verbündete.
Du bist die einzige muslimische Frau im Stadtrat von Birmingham?
Ja. Als ich auf der Liste von RESPECT in den Rat gewählt wurde, war das ein kleines Stück Geschichte. Nicht nur für
Respect, die damit einen bedeutenden Durchbruch erzielte — wir sind auf Anhieb drittstärkste Kraft geworden! —, auch für
die Stadt. Es war ein kleiner Schritt für die Linke in einer Stadt, wo zu viele Menschen nach rechts gegangen sind. Es war eine
erdrückende Niederlage für meine Gegner. Sie war nur möglich, weil wir den traditionellen Konservatismus herausgefordert haben,
der Frauen das Recht abspricht, in der Öffentlichkeit führende Positionen zu bekleiden. Und die alte Ordnung, in der unsere Gemeinden
nur als Reservoir für Wählerstimmen behandelt werden. Das war nur möglich, weil wir Menschen um eine progressive Botschaft
von Antirassismus und sozialer Gerechtigkeit herum versammelt haben.
Birmingham hat eine große und politisch sehr aktive muslimische
Gemeinde. Ihre Vertreter sind ausschließlich Männer, die durchweg davon überzeugt sind, dass dies so richtig ist und der
natürlichen Ordnung entspricht; sie sind sehr entschlossen, diesen Zustand beizubehalten. Die Tatsache, dass ich eine Frau war, hat für
meinen Wahlsieg eine große Rolle gespielt.
Für meine Gegner war dies ein Stein des Anstoßes. Vertreter der
Labour Party wie auch der Liberalen stachelten diese konservative Haltung in der muslimischen Gemeinde in Bezug auf Frauen noch an. Auf
Wahlversammlungen drängten sie muslimische Männer, nicht für eine Frau zu stimmen, das sei „un-islamisch” Die
Tatsache, dass ich nicht den Nachnamen meines Mannes angenommen habe, galt als Ausweis meiner unzureichenden Unterwürfigkeit. Statt
sich mit mir ernsthaft auseinander zu setzen, musste sich meine Familie Schmähungen über mich als Mutter, Tochter und Ehefrau
anhören. Die Schmach, von einer Frau herausgefordert zu werden, bewog die örtlichen Unterstützer der Liberalen und der Tories,
unter der Hand sogar für Labour zu werben.
Wie hat man in deiner Gemeinde darauf reagiert?
Bei den Älteren und religiös Konservativeren kamen diese Reden an, nicht so aber bei den Frauen. Immer wieder, wenn ich an eine
Haustür klopfte, an der ein Plakat „Wählt Labour” hing, sagte mir die Frau des Hauses: „Unser Vater ist
für Labour, aber wir wählen ander.” Gruppen muslimischer Frauen klapperten die Straßen ab mit Wahlmaterial unter dem
Arm und agitierten ihre Schwestern. Am Wahltag war Respect die einzige Partei mit einer sichtbaren weiblichen Präsenz in den Wahllokalen.
Für uns war die Einheit in unseren Zielen wichtiger als die Frage, wen man kennt, zu welcher Familie man gehört oder welcher etablierten
Partei man zum größten persönlichen Nutzen die eigenen Grundsätze verkaufen kann. In unserer Kampagne kam ein neues
Selbstvertrauen, Stolz und Einheit zum Ausdruck, von allen Teilen unserer Gemeinde. Das Selbstvertrauen war unter Frauen am stärksten.
Es ist ungewöhnlich, dass Muslime einen Zugang zu einer linken Partei finden.
Die Verbindung zwischen der „sozialistischen Linken” und der „islamischen Rechten” wird sogar als
„unnatürlich” bezeichnet. Es gibt Leute, die sind unfähig zu sehen, dass es Menschen gibt, die aus ihrem Glauben heraus
für soziale und politische Gerechtigkeit eintreten, und solche, die dies aus säkularen Gründen tun. Die würden eher eine
Mauer bauen als eine Brücke.
Natürlich gibt es unter der Milliarde oder mehr Moslems in der Welt
solche, die nur rückwärts schauen können. Ihre Erfahrungen mit der „westlichen Moderne” ist eine der kolonialen
Unterdrückung und heutigen imperialistischen Ausbeutung. Man muss sich nicht wundern, dass dies politische Strömungen
hervorbringt, die fortschrittlichen Kräften im Westen den Rücken kehren.
Aber der Wind dreht sich, und er steht nicht gut für die, die uns spalten
wollen.
Das Beispiel der weltweiten Antikriegsbewegung war eine treibende Kraft
für das Bündnis zwischen der Linken und Muslimen. Es ist aber eine tiefer reichende Entwicklung, denn der neokonservative Traum von
der grenzenlosen Militär- und Wirtschaftsmacht Amerika trifft immer stärker auf Widerstand. Der gemeinsame Nenner zwischen denen,
die den Alptraum des Krieges, Armut und Unterdrückung ablehnen, wächst.
Du trägst das Kopftuch und trittst zugleich für die Rechte der Frauen ein. Wie passt das zusammen?
Muslimische Frauen mit Kopftuch werden häufig als unterdrückte Opfer karikiert, die von der Kontrolle durch ihre Männer
erlöst werden müssen. Gleichzeitig wird ihnen vorgeworfen, von ihnen gehe eine Bedrohung aus, sie sollten aufhören, die
überwiegend tolerante) Mehrheit einzuschüchtern, sie würden die Frauen, die so hart für ihre Freiheiten gekämpft
hätten, unter Druck setzen.
Was muslimische Frauen selber dazu zu sagen haben, scheint wenig zu
interessieren. Man lässt es nicht gelten, wenn sie sich aus freien Stücken dafür entschieden haben. Das wird ihnen höchstens
als Dummheit und Unfähigkeit zu eigenen Entscheidungen ausgelegt, meist aber wird unterstellt, sie würden dazu gezwungen. Das
stimmt vielleicht in Ländern wie Saudi-Arabien, Afghanistan oder Iran, in einem Land wie Großbritannien aber stimmt das einfach nicht.
Hier bildet die muslimische Gemeinde eine kleine Minderheit von etwa 2% der Gesamtbevölkerung. Ironischerweise ist die Entscheidung, einen
Schleier oder ein Kopftuch zu tragen, häufig eher ein Ausdruck einer individuellen Entscheidung der Frau als Ergebnis des Drucks der Familie.
Viele tragen es sogar gegen den ausdrücklichen Wunsch der Familie, die sich Sorgen macht, dass sie damit als Minderheit noch sichtbarer wird.
Meine Eltern haben nie von mir verlangt, dass ich das Kopftuch trage; weder meine Mutter noch meine Schwester tragen es. Ich bin meinen eigenen
Weg gegangen, als ich mich mit verschiedenen Glaubenstraditionen auseinander gesetzt habe. Ich habe mich frei für den Islam und das
Kopftuch entschieden.
Das bedeutet nicht, dass es in den muslimischen Gemeinden keine kulturelle und
patriarchale Unterdrückung gibt. Es gibt sie, und viele von uns fordern sie heraus. Ich verteidige das Recht der Frauen, selber zu wählen,
ob sie Kopftuch oder Schleier tragen wollen. Ich verteidige aber auch ihr Recht, das nicht zu tun.
Angeblich soll das Tragen eines Kopftuchs ein politisches Bekenntnis darstellen.
Wenn muslimische Frauen nach dem 11.September aber einem Druck ausgesetzt waren, dann dem, keine als islamisch erkennbare Kleidung zu tragen.
Zwei enge Freundinnen von mir, die das Kopftuch getragen haben, wurden verbal und physisch angegriffen; eine hat es deswegen sein gelassen.
Muslimische Frauen fühlten sich verwundbar, und diese Medienkampagne hat das nur noch schlimmer gemacht.
Wir müssen vielmehr Alarm schlagen, dass ein solches Klima der
Intoleranz geschaffen wird. Einige gehen sogar so weit dass sie sagen: muslimische Frauen provozieren selbst die Angriffe durch Rechtsradikale
durch das offene Zur-Schau-Stellen ihrer Identität. Das ist so wie wenn man früher zu jungen Frauen in Miniröcken, die von
Machos angegriffen wurden, gesagt hat: Du hast das doch gesucht!
Ich bin stolz, als Kopftuch tragende Frau im Rat der Stadt zu sitzen. Mich haben
viele Männer unterstützt, die bis dato dagegen waren, dass Frauen führende öffentliche Positionen bekleiden. Es hat sich
durch meine Kandidatur schon viel verändert.
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