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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2008, Seite 07

Weder Kohle noch Kernkraft

Atomstrom bleibt die schmutzigste Energieform — Proteste richten sich heute gegen beides

von Angela Klein

Wer die Kohle nicht will, muss Atomenergie wollen — und umgekehrt. Immer wieder wird dies behauptet — von den interessierten Konzernen ebenso wie von Teilen der Bundesregierung. Die Behauptung suggeriert: Die Verfechter eines vollständigen Umstiegs auf erneuerbare Energien stecken in einer Sackgasse: ihre Vorstellungen seien nicht durchsetzbar.
In großformatigen Anzeigen wirbt die Kernkraftindustrie damit, Atomstrom sei CO2- frei. Das stimmt nicht. Diese Behauptung bedient sich desselben Tricks wie die vor 25 Jahren, Atomenergie sei besonders billig: Es wird nur die Endphase der Atomstromherstellung betrachtet. Bei der Spaltung von Uran entsteht kein CO2, das ist richtig. Beim Bau von Atomkraftwerken, bei der Förderung von Uran und bei den verschiedenen Schritten der Brennelementeherstellung fällt aber sehr wohl Kohlendioxid an, deutlich mehr als bei erneuerbaren Energien. Je nach Güte des Uranerzes schwanken die Emissionen zwischen 30 und 126 Gramm pro Kilowattstunde; allein moderne Gaskraftwerke mit Wärmeauskopplung kommen auf 119 Gramm, Windräder nur auf 19 Gramm.
Weltweit ist die Energiewirtschaft mit 45% der größte Emittent von CO2.

Hochwertiges Uranerz reicht bei gleich bleibendem AKW-Park auf dem Stand von 2006 bis zum Jahr 2016, also gerade noch 8 Jahre! Danach muss in erheblichem Umfang auf niedrigwerteres Uran zurückgegriffen werden. Im Jahr 2070 ist nach heutigen Berechnungen der Punkt erreicht, wo die Produktion von Atomstrom mehr Energie frisst als sie selber produziert.

In weniger als einer Generation ist damit die Energiegewinnung aus der Kernspaltung sowieso am Ende. Ihre Hinterlassenschaft in Form von Atommüll belastet die Erde aber noch um Tausende von Jahren! Mehr als 50 Jahre nach Inbetriebnahme des ersten AKW gibt noch auf keinem Land der Welt ein sicheres Endlager für hochradioaktive Abfälle.

Der Umgang mit gering- und mittel-radioaktivem Abfall im Endlager Asse zeigt, wie verantwortungslos damit umgegangen wird. 124000 Fässer wurden dort in eine Salzmine eingelagert, von der „die Wissenschaft”, die ja angeblich immer alles weiß, behauptete, er sei trocken. Nun hat sich aber gezeigt, dass seit 1988 (!) aus dem Salz Wasser austritt und die Fässer rosten. Die Kombination von Rost und radioaktivem Abfall kann Brände oder Explosionen verursachen, radioaktives Wasser kann dadurch ins Grundwasser gelangen und unabsehbare Flächen verseuchen (siehe auch Artikel auf Seite 6).

Atomenergie ist nicht sicher: über hundert Störfälle werden jedes Jahr gezählt.

Atomstrom verbrennt die Energie äußerst ineffizient, ebenso wie Strom aus Kohle. Der Wirkungsgrad eines Großkraftwerks, ob mit Uran oder mit Kohle befeuert, beträgt 30—40%, d.h. fast zwei Drittel der genutzten Energie gehen verloren und heizen unseren Planeten auf.

Als im Jahr 2002 die Schröder-Regierung ein Gutachten über erneuerbare Energien in Auftrag gab, konterten CDU und FDP mit einem Szenario, das die erneuerbaren Energien ab 2010 abstellen und stattdessen 60 neue Atomkraftwerke bauen wollte. Der Anteil der Kernenergie an der Stromproduktion sollte auf 82% steigen. Es wurden 60 Standorte benannt (siehe Karte).

In der Wirklichkeit läuft es (zum Glück) etwas anders. Die AKW-Industrie hat seit der Katastrophe von Tschernobyl kaum Neubauten durchsetzen können, nur längere Laufzeiten. Der seit den 80er Jahren geplante Bau in Belene (Bulgarien) kommt nicht voran, weil die Geldgeber (UniCredit, HVB und Deutsche Bank) nach Protesten ihrer Kunden die Kredite zurückgezogen haben.
2005 begann der Bau eines Europäischen Druckwasserreaktors in Finnland (durch Areva und Siemens). Der Bau verzögert sich, weil Hunderte von Verstößen gegen die Sicherheitsauflagen registriert wurden, das treibt die Kosten in die Höhe. Pikanterweise ist die Bayrische Landesbank mit 1,95 Milliarden Euro ein Hauptgeldgeber — zu einem Dumpingkredit von 2,6%! Bei der EU-Kommission ist jetzt eine Klage wegen illegaler Staatssubvention anhängig. Die Kommission hat noch nicht entschieden.

Trotz allem gibt es in der BRD eine einflussreiche Lobby, die die Atomkraft wieder hoffähig machen will. Roland Koch hat sie zu einem Wahlkampfthema in Hessen gemacht; Wolfgang Clement wirbt im Auftrag der RWE Power AG, in deren Aufsichtsrat er sitzt, für Atomkraft. Selbst Sigmar Gabriel sagt, wenn man ihn nicht die Kohlemeiler bauen lässt, kommen mehr AKWs.

Auch die EU unterstützt die Atomindustrie, vor allem via den Euratom-Vertrag. In Art.1 fordert dieser „den schnellen Ausbau der Atomindustrie” Alle EU-Staaten sind automatisch Mitglieder von Euratom. Das Europaparlament hat kein Mitspracherecht über den Haushalt von Euratom. Der betrug im Zeitraum 1999—2006 1,35 Milliarden Euro; für den Zeitraum 2007—2013 ist er auf 2,75 Milliarden Euro erhöht worden.
Friedens- und Umweltgruppen fordern deshalb immer dringender die Kündigung des Euratom-Vertrags!

Quellen:
www.greenpeace.de/themen/ atomkraft;
www10.antenna.nl/wise;
www.bund.net/bundnet/themen_und_projekte/klima_energie.



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