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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2008, Seite 15

Lebensschützer

trauen sich wieder

von Gisela Notz

Abtreibung, sexuelle Freiheit und Homosexualität sind die Kernthemen der christlichen Fundamentalisten.
Wer von Islamismus und von anderen religiösen Fundamentalismen spricht, muss auch den christlichen Fundamentalismus in Augenschein nehmen. Im Zentrum stehen die Aktivitäten der selbst ernannten „Lebensschützer” Immer wieder gibt es Aktionen wie Gottesdienste für „Ungeborene Kinder”, Mahnläuten und das Aufstellen von „1000 Kreuzen für das Leben” Abtreibung wird als der „neue Holocaust” bezeichnet und die „sexuelle Freizügigkeit” beklagt. Wer für sexuelle und reproduktive Rechte der Frauen eintreten, den machen sie für „den Tod von im Schnitt 300000 Kindern pro Jahr (Schätzung) mitverantwortlich” und damit auch für die „zunehmende Veralterung, da diese Kinder in der Zukunft fehlen werden” (Aktion Leben e.V. 2004). 2007 betrug die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche 116871, das waren 14000 weniger als 2006!
Abtreibungsgegner agieren keineswegs am Rande, sie nehmen wesentlich auf die Gesetzeslage Einfluss, u.a. darauf, dass der §218 noch immer im Strafgesetzbuch steht. Sie trommeln wieder für eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers angesichts der „relativen Abtreibungshäufigkeit”, obwohl längst bekannt ist, dass wie immer geartete Strafen nicht zu weniger Schwangerschaftsabbrüchen führen. Durch restriktive Gesetze wird der Schwangerschaftsabbruch nur zu einem sozialen und gesundheitlichen Problem für Frauen.
Haben sich Frauen für einen Abbruch entschieden, müssen sie auch heute oft noch Nöte, Ängste und Erniedrigungen durch verlogene und wenig hilfreiche gesellschaftlich verordnete Moralvorstellungen ertragen. Das Angebot möglichst guter ärztlicher Leistungen bei Schwangerschaftsabbruch ist nicht selbstverständlich. Oft werden Frauen als Bittstellerinnen behandelt, die Aufklärungspflicht über Risiken, die es vor jedem operativen Eingriff gibt, wird von manchen ÄrztInnen zur moralischen Verunsicherung der Frauen benutzt. Konfessionell und politisch unabhängige Schwangerschaftsberatungsstellen und medizinische Zentren, die sich jenseits aller ideologischen, moraltheologischen und fundamentalistischen Grundsatzdebatten für einen unverkrampften Umgang mit Sexualität und Schwangerschaft einsetzen und eine medizinisch schonende, professionelle und wohnortnahe Versorgung gewährleisten, haben immer wieder gegen die sog. „Lebensschützer” zu kämpfen.

"Die heilige Familie"

Christliche Fundamentalisten gehen nicht nur gegen die Selbstbestimmung der Frau vor. Sog. „Lebensschützer” und andere religiöse Eiferer versuchen, die „alte Ordnung” mit der „heiligen Familie” zu rekonstruieren. Hier nur einige Beispiele: Auf dem Regensburger Kongress „Freude am Glauben” riefen die Teilnehmer am 12.6.2005 zur „sexuellen Gegenrevolution” auf. Den „68ern” warfen sie vor, durch die „Beseitigung aller Beschränkungen der sexuellen Triebbefriedigung” das moralische Fundament der Gesellschaft zerstört zu haben. Das moralische Fundament sei die Kernfamilie, mit monogamer, auf Fortpflanzung ausgerichteter Ehe und Hausfrauenmutter. Wie schon früher in der Geschichte beklagen sie die Krise der Familie. Möglicherweise haben die „68er” einen Anteil daran, dass die traditionelle Familie durch vielfältige andere Lebensformen ergänzt wird und die Realität anders aussieht, als es sich reaktionäre Kräfte wünschen.
Zur „alten Ordnung” gehört für die christlichen Fundamentalisten freilich auch die Heterosexualität. Vom 30.März bis 4.April 2008 fand in Bremen das Christival statt. Die Jugendverbände der evangelischen Kirchen feierten — finanziert vom Bundesfamilienministerium — ein großes fröhliches Glaubensfest unter dem Motto „Jesus bewegt”, zu dem etwa 20000 Jugendliche kamen. Das aus diesem Anlass gegründete Bündnis „No Christival” kritisierte vor allem zwei Seminare von den insgesamt 300 Veranstaltungen und Gottesdiensten: In einem sollte Homosexualität als therapierbare Störung dargestellt werden. Homosexualität sei aber „aus biblischer Sicht Sünde und keine zielführende Sexualität”, erklärte Pastor Olaf Latzel bei der Diskussion am Vorabend. Der Widerstand führte dazu, dass zumindest diese Veranstaltung abgesagt wurde.
Ein Seminar gegen Abtreibung, hinter dem die radikalen Lebensschützer des Heidelberger Vereins „Die Birke” standen, fand hingegen statt. Es trug den Titel „Sex ist Gottes Idee — Abtreibung auch?” Laut Selbstauskunft des Vereins stellt eine mögliche Abtreibung eine Gefahr dar, die Annahme des Kindes hingegen eine Chance. Das gelte für jede Abtreibung, auch wenn sie Folge einer Vergewaltigung sei.
Dahinter steckt das Interesse, Frauen kontrollieren zu wollen. Die meisten Gruppen bringen demografische Argumente ins Spiel, verweisen auf die niedrige Geburtenrate. Aber keine Frau bekommt ein Kind mit der Absicht, die Rentenkassen zu füllen.
Für die Zukunft gilt es, um freie Zusammenschlüsse unter freien Menschen ohne Unterdrückung und Gewalt und um deren eigene Entscheidung für oder gegen ein (eigenes) Kind zu kämpfen: Selbsternannte Lebensschützer und christliche Fundamentalisten brauchen wir nicht.


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