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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2008, Seite 20

"Von der Landkarte tilgen"?

Die Strategie der Verfälschungen gegenüber dem Iran wird fortgesetzt

von Anneliese Fikentscher/Andreas Neumann

"Irans Aussage von der Zerstörung Israels darf in der Übersetzung nicht verloren gehen.” Das ist am 22.Juni 2008 die Überschrift eines Artikels in der Jerusalem Post von Joshua Teitelbaum vom Jerusalem Center for Public Affairs. Würde die Behauptung, der Iran wolle Israel (per Atombombe) zerstören, „verloren gehen” — so müssen wir schließen —, würde ein mit großem Aufwand aufgebautes Bedrohungsszenario in sich zusammenbrechen, und einem Krieg gegen den Iran würde jegliche Legitimation entzogen. Deshalb schlägt Teitelbaum Alarm. Seine Ausführungen sind ein wesentlicher Teil der israelischen Reaktionen auf die Offenlegung der Tatsache, dass angebliche Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinejad das Ergebnis verfälschender Übersetzung sind.
Im Zentrum des Bedrohungsszenarios steht nach wie vor die angebliche Äußerung Ahmadinejads vom 26.Oktober 2005, der Iran wolle Israel von der Landkarte tilgen, wolle Israel (per Atombombe) dem Erdboden gleichmachen. Wir haben mehrfach nachgewiesen, dass diese angebliche Äußerung einer Verfälschung entspringt. Tatsächlich hat der iranische Präsident seiner Erwartung Ausdruck verliehen, dass das Regime, das Jerusalem besetzt hält — das zionistische Regime, wie er es oft nennt —, verschwinden werde. Ihm zu unterstellen, er wolle Israel — und damit die Juden — vernichten, ist, als würde man behaupten, die Forderung nach dem Ende des Apartheidregimes sei gleichbedeutend mit der Forderung nach Vernichtung Südafrikas.
Zahlreiche Medien in Deutschland haben den Fehler eingestanden, darunter auch zwei Nachrichtenagenturen: AP und dpa. AFP sieht immerhin in der Verwendung des Begriffs „Landkarte” einen Fehler. Wilm Herlyn, Chefredakteur von dpa, schrieb am 13.6.: „Die dpa wird in Zukunft bei der Berichterstattung darauf achten, dass der iranische Präsident, Mahmud Ahmadinedschad, nicht die Auslöschung Israels oder dessen Tilgung von der Landkarte gefordert hat."
Auch die Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online, der NDR (insbesondere tagesschau.de) und das ZDF haben den Fehler eingestanden. Der Intendant des ZDF versichert, dass alle Kolleginnen und Kollegen seines Hauses über diesen Vorgang Kenntnis erhalten haben und künftig die korrekte Übersetzung berücksichtigen werden.
Am 1.Juni 2008 weist der Kabarettist Georg Schramm, alias Oberstleutnant Sanftleben, in der ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt” auf die Falschübersetzung hin, wertet sie als Bestandteil der Propaganda für einen Krieg, bei dem der Iran zunächst von Israel angegriffen und über die beiden benachbarten, bereits unter Kontrolle gebrachten Länder Irak und Afghanistan in die Zange genommen werden solle, und bei dem es um die Aneignung von Ressourcen wie Öl und Gas gehe. Und dann kommt er zu einer entscheidenden Aussage: „Dieser Satz [den der iranische Präsident tatsächlich formuliert hat] ist eine völkerrechtlich korrekte Forderung. Da haben die katholischen Bischöfe vor ein paar Wochen sich noch viel drastischer über die israelische Ghetto-Politik geäußert.” Das Ende eines völkerrechtswidrigen Zustands, wie er seit 1948 mit der Vertreibung und Ausgrenzung der palästinensischen Bevölkerung Schritt für Schritt entstanden ist, ist eine Zielvorstellung, die jedem an Frieden interessierten Menschen aus dem Herzen sprechen muss.

Keine Pläne des Iran, Israel anzugreifen

Es gibt immer wieder die Argumentation, an den (falsch wiedergegebenen) Äußerungen des iranischen Präsidenten müsse etwas dran sein, da er gegen die Verfälschung keinen Einspruch erhebe. Eine derartige Behauptung ist eindeutig falsch. „Der Iran hat keine Pläne, Israel anzugreifen.” Das sagte Ahmadinejad am 8.7.2008 in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur, wo er am Gipfel der Gruppe der islamischen Entwicklungsländer teilnahm. Er antwortete damit auf die Frage, ob der Iran beabsichtige Israel zu zerstören und das jüdische Volk auszulöschen. Weiter sagte er: „Die Zionisten werfen uns Vorbereitungen auf einen möglichen Angriff vor. Das ist aber eine Lüge. Die iranische Nation hat nie in ihrer Geschichte jemanden angegriffen."
Im Rahmen eines Interviews mit dem italienischen Fernsehen RAI während seines Aufenthalts in Rom Anfang Juni 2008 wird ihm vorgehalten, er habe bei mehreren Gelegenheiten bekräftigt, dass Israel dazu bestimmt sei, „von der Oberfläche der Erde zu verschwinden” Er wird dann gefragt: „Meinen Sie nicht, dass diese Positionen in irgendeiner Weise dazu beitragen, den Iran von der internationalen Gemeinschaft zu isolieren?” Darauf antwortet er u.a.: „Was ich über das zionistische Regime gesagt habe, war vor allem eine Ankündigung. Was ich ankündigte, war, dass dieses Regime sich bald auflöst und zusammenbricht."
Bereits vier Tage nach der Rede des iranischen Präsidenten, der das Landkarten-Zitat untergeschoben wurde, war es Ayatollah Khamenei, der den falschen Anschuldigungen entgegentrat und klarstellte, dass es seitens des Iran keinerlei Absichten gebe, Israel mit Atomwaffen anzugreifen. Er kritisierte den „Tumult”, der im Zusammenhang mit Ahmadinejads Rede vom 26.Oktober 2005 inszeniert worden sei:
"Der Einfluss der Zionisten auf die westlichen und europäischen Staaten führt leider solche Tumulte herbei. Und dann nutzen sie auch noch die Gelegenheit aus, dies mit einem ‘Atomenergie-Problem‘ in Verbindung zu bringen! Jener Ignorant, der dies zum ersten Mal sagte ... hat gar nicht verstanden, dass die Atomwaffe für die Beseitigung von Regierungen und Systemen und Regimen nicht taugt: Systeme und Regime verschwinden nicht mit [Hilfe] der Atomwaffe; die Atomwaffe kann nur Menschen und Landstriche vernichten.”
Damit machte Khamenei mehr als deutlich, dass das Verschwinden eines Regimes und die Vernichtung eines Landes zweierlei sind, und letzteres vollkommen außerhalb seiner Gedankenwelt liegt. Ähnlich wie Ahmadinejad sagte Khamenei den „Zusammensturz des zionistischen Regimes” voraus.
Es ist bewusste Unterdrückung von Information, wenn über derartige Klarstellungen nicht berichtet wird.

Iran sehnt das Ende eines illegalen Zustands herbei

Eine weitere Entgegnung, mit der wir mehrfach konfrontiert worden sind, besteht in dem Hinweis auf Meldungen der iranischen Nachrichtenagentur IRNA, die selber die Formulierung „wipe off the map” (also „von der Landkarte tilgen") verwenden würde. Dieser Hinweis ist insofern richtig, als es tatsächlich zutrifft, dass IRNA diese Formulierung in ihrem englischsprachigen Angebot verwendet hat — wenn auch nur selten, möglicherweise sogar nur ein einziges Mal. Falsch ist allerdings die Behauptung, dass diese Formulierung dem tatsächlich Gesagten entspricht.
Laut IRNA-Meldung vom 3.6.2008 soll der iranische Präsident gesagt haben: „...das zionistische Regime, das ein Usurpations- und illegales Regime und ein Krebsgeschwür ist, muss von der Landkarte getilgt werden.” Und: „...das zionistische Regime sieht seinem absoluten Ende entgegen ... das korrupte Element wird von der Landkarte getilgt werden.” Dies sind zwei Sätze aus Äußerungen, die korrekt wie folgt wiedergegeben werden müssten: „Oh lieber Imam [= Khomeini], du hattest [einst] zu sagen geruht, dass das zionistische Regime ein Usurpations- und illegales Regime und ein Krebsgeschwür ist, das von der Seite des Zeitenlaufs verschwinden muss. Heute nun entbiete ich Ihnen respektvoll meine Antwort: Diese erleuchtende und wegweisende Rede und dieses Ihr Sehnen sind an der Schwelle, Frucht zu tragen: das zionistische Regime hat die Philosophie für seine Existenz aus der Hand gegeben ... Das zionistische Regime befindet sich in einer absoluten Sackgasse und Ihr Wunsch (Imam Khomeini) wird bald Wirklichkeit und dieser Keim der Verderbnis wird verschwinden.” Das ist natürlich keine Hommage an Israel, aber es ist auch keine Androhung eines vernichtenden Schlags (mittels Atombombe). Der iranische Präsident sehnt mit deutlichen Worten das Ende eines illegalen Zustands herbei.
Des weiteren müssen wir sehen: Das falsche Landkarten-Zitat aus der Rede vom 26.10.2005 ist nur die Spitze eines Eisbergs. Es sieht ganz nach einer bewusst entwickelten Strategie aus, in deren Rahmen Äußerungen des iranischen Präsidenten wieder und wieder systematisch entstellt werden. Betrachten wir einige Beispiele.

"Welle der Moral” wird zu „Anschlagswelle"

In Meldungen von tagesschau.de vom 26. und 27.10.2005 wird aus der Rede vom 26.10.2005 wie folgt zitiert: „Es gibt keinen Zweifel: Die neue Anschlagswelle in Palästina wird das Stigma im Antlitz der islamischen Welt ausradieren.” Der Sprachendienst des Deutschen Bundestags übersetzt allerdings wie folgt: „Ich zweifle nicht daran, dass die neue Welle, die im geliebten Palästina begonnen hat, und welche wir heute in der islamischen Welt beobachten, eine Welle der Moral ist. Sie hat die gesamte islamische Welt erfasst und wird sehr bald den Schandfleck aus dem Schoß der islamischen Welt beseitigen.” Aus einer Welle der Moral wird also eine Welle von (Terror-)Anschlägen. Auch das ist eine unverantwortliche Verfälschung, die als bösartig angesehen werden muss.

"Vermodern” wird zu „Vernichtung"

Am 14.4.2006 vergleicht Ahmadinejad laut IRNA das „zionistische Regime” mit einem vermodernden, morschen Baum, der mit dem nächsten Sturm fallen werde. Abcnews macht daraus „Irans Führer: Israel wird vernichtet werden”, und AFP: „Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat dem Staat Israel mit der Vernichtung gedroht. Der jüdische Staat sei ‘auf dem Weg zur Vernichtung‘."

"Verschwinden” wird zu „Auslöschung"

Am 12.12.2006 hat der iranische Präsident laut IRNA gesagt: „So wie die Sowjetunion verschwunden ist, wird auch das zionistische Regime verschwinden, und die Menschheit wird befreit sein.” Daraus wird bei AP: „Ahmadinedschad: Israel wird ausgelöscht wie einst die Sowjetunion”

"Zerfall” wird zu „Vernichtung"

Bahman Nirumand weist in der Juni-2008-Ausgabe des Iran-Report darauf hin, Ahmadinejad habe am 14.Mai 2008 gesagt, die Feierlichkeiten zum 60-jährigen Bestehen Israels würden den Staat nicht vor seinem „Zerfall” bewahren. Dieser Begriff sei in Teilen der deutschen Presse mit „Vernichtung” oder „Tod” übersetzt worden.

"Geruhen zu sagen” wird zu „befehlen"

In einem Papier, das mit Nachdruck in die Öffentlichkeit gebracht wird, befasst sich Joshua Teitelbaum vom Jerusalem Center for Public Affairs mit Äußerungen des iranischen Präsidenten. Er gibt dem Reigen der Falschübersetzungen des Landkarten-Zitats jetzt eine ganz neue Wendung. Er lässt den Imam „befehlen”, „dass dieses Jerusalem besetzende Regime von den Seiten der Zeit getilgt werden muss”, es müsste aber heißen: „Unser lieber Imam [Khomeini] hatte zu sagen geruht, das Regime, das Jerusalem besetzt hält, müsse aus den Annalen der Geschichte verschwinden.” Teitelbaums Formulierung „Befehlen, dass ... muss...” ist schon rein grammatikalisch falsch. Was Teitelbaum erdichtet, klingt wie die Wiedergabe eines Einsatzbefehls zu einer Vernichtungsaktion. Es ist eine bösartige Unterstellung anderer Art. „Zu sagen geruhen” ist kein Befehl. Es ist ein traditioneller Ausdruck der Ehrbezeugung gegenüber geschätzten Personen.

Holocaustleugnung?

Auch hinsichtlich der Behauptung, der iranische Präsident leugne den Holocaust, spricht alles dafür, dass dieser Vorwurf nicht zutrifft. Mahmud Ahmadinejad stellt die Verbrechen Israels, den Holocaust an der palästinensischen Bevölkerung — wie er es mit scharfen Worten benennt — in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Die Formulierung, dass das „Massaker an den Juden” ein „Märchen” sei — wie vielfach verbreitet worden ist — entspringt einer (bösartigen) falschen Übersetzung. Ahmadinejad spricht über den Mythos, der im Zusammenhang mit dem Holocaust zur Legitimation neuer Verbrechen geschaffen wurde.

Bundeszentrale verfälscht erneut

Die Bundeszentrale für politische Bildung, die ihr sog. Antisemitismus-Dossier zunächst lange Zeit (bis zum April 2008) mit dem Satz „Mit seiner Äußerung, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen, sorgte Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Oktober 2005 weltweit für Empörung” eingeleitet hatte, und gezwungen war, sich von dieser Falschbehauptung zu verabschieden, hat diese jetzt durch eine neue Falschbehauptung ersetzt: „Immer wieder sorgt Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad für Aufsehen durch seine israelfeindlichen und antisemitischen Äußerungen. Mal bedroht er das Land wie in seiner Rede auf der Konferenz ‘Eine Welt ohne Zionismus‘ im Oktober 2005: ‘Diese Phase wird nicht lange dauern und wenn wir sie erfolgreich hinter uns gebracht haben, wird die Eliminierung des zionistischen Regimes glatt und einfach sein...‘"
Auch hier wird wieder eine Aussage durch Verfälschung erzeugt. Tatsächlich müsste Ahmadinejads Äußerung wie folgt wiedergegeben werden: „Dies ist eine kurze Phase. Wenn wir sie mit Erfolg hinter uns gebracht haben, wird — so Gott will — der Prozess des Verschwindens des Regimes, das al-Qods [= die Heilige, Jerusalem] besetzt hält, und die Einrichtung der nationalen Regierung Palästinas ein glatter und einfacher Vorgang sein."
Ein gravierendes Problem besteht darin, dass Grundlage der vom Sprachendienst des Bundestags gefertigten Übersetzung die Wiedergabe der Rede bei IRNA ist. Diese Wiedergabe enthält aber nur Auszüge mit kommentierenden Überleitungen und gibt insbesondere die hier betrachtete Passage nur unvollständig wieder. Die Passage „Einrichtung der nationalen Regierung Palästinas” fehlt in der IRNA-Version. Das ergibt sich aus einem Vergleich mit der mit Copyright-Vermerk versehenen Fassung, wie sie auf der Webseite president.ir lange Zeit verfügbar war.
Es ist also irreführend, wenn die Bundeszentrale die Seite mit der Rede mit „Die umstrittene Rede Ahmadinedschads im Wortlaut” überschreibt. Sie suggeriert damit fälschlich, es handele sich um die vollständige Originalrede. Es spricht alles dafür, dass der Sprachendienst bzw. sein Auftraggeber, die Bundeszentrale, die Quellenlage überhaupt nicht recherchiert hat.
Es gibt offensichtlich Kreise in Israel, den USA und anderen verbündeten Ländern, die ein gesteigertes Interesse an einem Angriff auf den Iran haben. In diesem Zusammenhang sind die Verfälschungen von Äußerungen Ahmadinejads zu sehen. Diese Verfälschungen dienen dem Ziel, die Bedrohungssituation auf den Kopf zu stellen. Der potenzielle Täter stellt sich als Opfer dar, dem ein „atomarer Holocaust” droht. Derjenige, dem tatsächlich ein (atomarer) Angriff droht, soll als Täter hingestellt werden. Darum geht es.


Dank für Hinweise, Übersetzung, Sprachanalysen und Unterstützung unterschiedlicher Art an: A.Schmidt, Katajun Amirpur, Sabine Schiffer, Dieter Keiner, Bahman Nirumand, Armin Fiand und Thomas Immanuel Steinberg. Die Quellen der Zitate sind auf der Webseite der Arbeiterfotografie Köln ( www.arbeiterfotografie.com) angegeben.


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