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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2008, Seite 22

Weiße Lilien

Drehbuch und Regie: Christian Frosch, Start: 11.09.2008

Hannah ist Teil des Überwachungssystems in Neustadt, in dem insgesamt 50000 Menschen leben und arbeiten. Zusammen mit ihrem gewalttätigen Ehemann Branco wohnt sie in einem der kontrollierten Hochhausappartements und ist Angestellte bei dem „Sicherheitssystem” der Stadt. Als sie den Scherbenhaufen ihrer Ehe nicht mehr länger ertragen kann, zieht sie aus: hoch in das 11.Stockwerk, in dem die besser gestellten Leute leben. Kaum dort eingezogen, werden ihr die enormen Ausmaße des Kontrollsystems erst richtig bewusst. Von ihren Nachbarn fühlt sie sich beobachtet und bedrängt, ihre beste Freundin hat Geheimnisse vor ihr und es erscheint ihr, als ob sie von dem internen Sicherheitssystem zunehmend mehr ausspioniert wird.
Was sich wie die Beschreibung aus dem Leben einer Frau in einer der modernen Schlafstädte rund um europäische oder US-amerikanische Metropolen anhört, ist die Story des Films Weiße Lilien von Christian Frosch. Die Menschen in Neustadt eint nur die Abwehr gegen die Welt außerhalb der Wohnfabrik, die im Film nur grob als Horror dargestellt wird. Dabei soll sich bald herausstellen, dass der wahre Schrecken in der Neustadt Einzug gehalten. Die Selbstmorde häufen sich, Menschen verschwinden spurlos oder werden vom allmächtigen Sicherheitssystem verhaftet.
Die Angst geht um in Neustadt und verschont auch Hannah nicht, die ihre Arbeitskollegin für ihre resolute Art heimlich bewundert. Bis die dann selber verhaftet und gezwungen wird, mit einer elektronischen Fußfessel in ihrer Wohnung zu bleiben. Sie flüchtet in Alkohol und Selbstmord.
Gegenkräfte scheint es in der oberflächlich heilen Welt von Neuland nicht zu geben. Dafür sorgt ein Selbsterfahrungskurs mit esoterischem Einschlag für das nötige positive Bewusstsein der Neustadt-Bewohner. Der Schlüsselsatz lautet: Wir müssen zusammenhalten. Doch schließlich stellt sich heraus, dass es doch noch Widerstandskräfte in dieser total verwalteten Welt geben muss. Auf den Gründer von Neustadt wird ein Attentat verübt, das er schwerverletzt überlebt. Doch seit dem ist er an den Rollstuhl gefesselt. Hannah finde im Buch eines Zufallsbekannten ein aufschlussreiches Foto zum Attentat. Schließlich gibt es auch eine Gruppe, die sich mit zivilen Ungehorsam gegen das programmiete Leben von Neustadt wehrt. Ihnen gelingt es, dem allmächtigen Sicherheitsdienst ein zu überlisten und eine Protestaktion auf der Dachterrasse von Neustadt zu organisieren.
In diesen Szenen vermittelt der Film einen gnadenlosen Realismus. Gerade, weil er die Welt der Überwachung nicht im abgeleierten Stil von Orwells 1984 darstellt, ist der Film interessant. „Auf der anderen Seite ist nicht der Orwell‘sche totalitäre Staat entstanden, der Interesse daran hätte, eine klare Ideologie und Lebensweise in die Menschen einzuhämmern und Abweichungen zu bestrafen Im Gegenteil: Individualisierte Lebensentwürfe sind zum Standard geworden. Weiße Lilien ist ein Zukunftsfilm, in dem nicht die Science im Vordergrund steht, sondern die Social-fiction”, schreibt der Filmkritiker Georg Seeßlen in seiner kenntnisreichen Einführung. Der Film ist realistisch bis in die Wortwahl der Sozialtechnokraten von Neuland. Wenn sie davon sprechen, dass man die Störer und Armen entfernen müsse, erinnert dass, an Wortmeldungen des damaligen Präsidentschaftskandidaten Sarkozy nach den Unruhen in den französischen Vorstädten.
Im letzten Teil allerdings entwickelt sich der Film zu einem Horrorthriller und verliert jeden Realismus. Mehr soll nicht verraten werden. Damit auch noch etwas Spannung die Motivation zu einem Kinobesuch erhöht. Es gäbe auch sonst genügend Gründe, diesen Film, der nur einen Schritt neben der Realität steht, zu sehen.

Peter Nowak


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