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Seit fünf Jahren bietet der „Espace Masolo” ehemaligen Kindersoldaten und Straßenkindern Halt und
Perspektiven.
Juli 2008 in Salzburg, Szene-Festival. In einer der Höhlen, den „Kavernen” des
Mönchsbergs, ein neu adaptierter Raum aus dem 16.Jahrhundert, steht ein langer, schön ausgeleuchteter Tisch. Darauf tummeln sich rund 30 cm hohe Figuren aus
Eisen, Tiere, Hubschrauber, Menschen mit Waffen, Menschen die lesen, Menschen ohne Kopf oder ohne Glieder. Geschaffen hat sie der junge Serge Amisi aus der
Demokratischen Republik Kongo, ein ehemaliger Kindersoldat. Auf einer Leinwand läuft ein Videoinstallation von Thierry de Mey, belgischer Filmemacher und
Komponist. Serge Amisi erklärt hier in seinem Atelier in Kinshasa zwanzig seiner Skulpturen. Dieses Atelier ist ein Raum im „Espace Masolo”, eine
Struktur in Kinshasa, die Straßenkinder und ehemalige Kindersoldaten betreut.
Man muss sich Zeit nehmen, um die eigene kleine Welt zu erkunden, die Amisi hier mit seinen Figuren
geschaffen hat. Seine Skulpturen sind sehr konkret, Tiere, Menschen und viele Soldaten. Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass fast keiner der Soldaten Köpfe hat.
Der junge Künstler und ehemalige Kindersoldat Serge Amisi steht schüchtern neben seinen
Skulpturen, die Freude über das große Interesse ist ihm deutlich anzusehen. Er ist nicht allein nach Salzburg gekommen, so weit allein zu verreisen macht ihm
Angst. Serge Amisi ist mit seinem Mentor, Hubert Mahela, Autor und Gründer des „Espace Masolo” sowie seinem jungen Freund Yaoundé
Mulamba, wie Serge ein ehemaliger Kindersoldat und Puppenspieler, gekommen.
Die Spannung steigt. Endlich stellt Thierry de Mey den Künstler und seine Figuren vor. Der Belgier,
Komponist, Filmemacher und Intendant des „Charleroi Danses Festivals”, kennt Serge Amisi schon länger, die ausgestellten Skulpturen kommen alle
aus seiner eigenen Sammlung. Das Szene-Salzburg, ein seit über zwanzig Jahr existierendes Tanztheaterfestival, arbeitet schon lange mit Thierry de Mey zusammen, von
ihm kam die Anregung, die kongolesischen Künstler nach Salzburg zu bringen. Die Szene hat in diesem Sommer einen Schwerpunkt zu Kinshasa organisiert.
Die teils sehr filigranen Skulpturen schweißt Serge fast ausschließlich aus Eisenabfällen, die er auf der Straße aufliest. Übersetzt von
Thierry, erklärt er die einzelnen Figuren. Da ist der Hubschrauber, ein Militärhubschrauber, der ihn, als er noch klein und Soldat war, richtig Angst einjagte.
Daneben sind Tiere und viele Männer mit Waffen, Soldaten. Sie haben keinen Kopf, denn „sie handeln ohne Sinn und Verstand” erklärt Amisi.
Vielen von den Soldaten fehlt ein Arm oder ein Bein. Serge Amisi, der viel jünger aussieht als seine 22 Jahre, ist es sehr wichtig, primär als Künstler
wahrgenommen zu werden und nicht als ein ehemaliger Kindersoldat, der Skulpturen macht, um mit seinem Erlebten fertig zu werden. Er sagt das auch sehr deutlich dem
Salzburger Publikum.
Begonnen hat Serge Amisi seine künstlerische Laufbahn im „Espace Masolo” in Kinshasa. Von 1996 bis 2001 war er Soldat, rekrutiert, wie so viele
andere Kinder, von den Truppen Laurent Kabilas. „Espace Masolo” ist der verkürzte Name für das „Centre de Ressources de
Solidarité Artistique et Artisanale”, „Zentrum künstlerischer und handwerklicher Solidarität” In ihm vereinten im Mai 2003 drei
kongolesische Künstler — die Puppenspielerin Malvine Velo, der Erzähler Hubert Mahela und der Schauspieler Lambert Mousseka — bereits
bestehende Initiativen. Am Anfang stand nicht die große Kunst, sondern der Wille, völlig orientierungslosen, auf der Straße lebenden Kindern Halt zu
geben. Das begann, so Lambert Mouseka, zuallererst damit, den Kindern Hygiene beizubringen: „Sie waren völlig orientierungslos, verwahrlost, keiner hatte
sich bisher um sie gekümmert. Sie hatten keine Vorstellung, worauf es ankommt, wenn man ein Ziel erreichen will. Das erste, was wir gemacht haben: Wir haben sie zur
Sauberkeit erzogen. Dann haben wir ihnen beigebracht zuzuhören. Und über die gemeinsame künstlerische Arbeit haben sie sich dann auch
verändert."
Dreimal die Woche werden die Kinder im Rechnen, Lesen und Schreiben unterrichtet. In Salzburg
erzählt mir der Mitgründer Hubert Mahela, einer der Hauptschwerpunkte des Zentrums sei das Puppenspiel. In Werkstätten entwerfen, nähen und
bauen die Kinder und Jugendlichen die Figuren selber. Der Name des Zentrums, „Espace Masolo”, nimmt auf das vielschichtige Wort Masolo (singular:
Lisolo) bezug: das heißt „Dialog, Diskussion, Konferenz” und bezeichnet die Geschichten, die sich Kinder erzählen und oft in den Staub der
staubigen Straße zeichnen. Diese Kunstform gibt den Kindern eine wunderbare Gelegenheit, handwerkliche Fertigkeiten wie Nähen und Tischlern zu lernen.
Doch das „Spielzeug”, wie sie es anfangs wahrnehmen, ist für sie auch ein Weg,
über sich selber, ihre Vergangenheit und Zukunft nachzudenken. Schon seit 2003 wird die Arbeit des Zentrums durch einen vielfältigen Austausch mit der Stadt
Straßburg ermöglicht. „Emmaus Strasbourg”, eine Vereinigung ehemaliger Obdachloser, veranstaltet jährlich eine Verkaufsaktion, um
Gelder für Masolo aufzutreiben. Ebenso wichtig ist jedoch die künstlerische Zusammenarbeit. Gilbert Meyer vom Toho-bohu-Theater gibt den jungen
Künstlern vom Espace eine Plattform, ebenso wie das Theatre jeune public, das im November das Stück „Ça va!” einiger Künstler von
Masolo zeigen wird.
Serge Amisi firmiert hier als einer der Maskenbauer. Ein Bildhauer aus Straßburg, der
gebürtige Schweizer Daniel Depoutot, der gewaltige Skulpturen und Maschinen aus Eisen baut, gab dem Zentrum einen entscheidenden Impuls, als er 2004 im Espace
Masolo den Kindern und Jugendlichen Schweißen und Metallarbeit beibrachte. Während Serge Amisi hier sein künstlerisches Ausdrucksmedium fand,
lernten andere hier einfach handwerkliche Fähigkeiten. Nicht nur Straßburger Künstler sind in Kinshasa aktiv, die Stuttgarter Künstlerin Stefanie
Oberhoff arbeitet ebenso regelmäßig mit den Kindern und Jugendlichen von Masolo. Aus ganz alltäglichen Materialien wie Styropor, Pappe, Stoffen,
Affenschädeln, die die Kinder in ihrer Umgebung finden, entstehen so Figuren und Marionetten.
Mittlerweile verfügt der „Espace Masolo” über eine Nähwerkstatt, eine
Schweißerwerkstatt, ein Maleratelier, einen Proberaum für Theaterproduktionen. Neben Straßburg waren sie schon bei der Ruhrtriennale mit einem
szenischen Labor zu Gast, sowie im vergangenen Herbst beim Charleroi Danses Festival im Rahmen eines Kongo-Schwerpunkts.
Auch das diesjährige Salzburger Szene-Festival hat einen Kongo-Schwerpunkt gestaltet. Es gab einen Abend, an dem traditionelle kongolesische Küche
Dokumentarfilme aus Kinshasa einbettete, eine Videoarbeit zum Kongo-River, und an einem Abend war traditionelle kongolesische Musik mit „Do it yourself"-
Tonanlage (so das Programmheft) geplant. Als die Musiker jedoch kein Visum erhielten, zeigte man Puppentheater des „Espace Masolo” — das war
möglich, weil, wie erwähnt, Serge Amisi nicht allein kommen wollte. Mit selber hergestellten Marionetten — Stabpuppen — sehen wir auf einer
Puppenbühne im dazu großartig geeigneten Keller der Mönchsberger Kaverne die „Aventures extraordinaires dOulala”, die
außergewöhnlichen Abenteuer von Oulala.
Oulala ist ein junger Mann, der sich von allen anderen Figuren durch seine grüne Gesichtsfarbe
unterscheidet, er ist ohne Vergangenheit und Halt. Er reist durch die DR Kongo, trifft Soldaten, Wanderprediger und sogar die Frau seiner Träume, die er — erst
nach Bestehen mehrerer Abenteuer — heiraten will. Die Bühne ist aus hellgrünem Stoff, ich fühle mich an frühe Kasperltheater erinnert. Ab 8
Jahren geeignet, heißt es im Programm, und tatsächlich sind einige Kinder im zahlreich erschienen Publikum. Die Puppen sprechen französisch, und eine
Erzählerin liest vor jedem weiteren Abenteuer Oulalas vor, was passieren wird. Nicht nur die Kinder amüsieren sich köstlich. Das Theater ist sehr
vielschichtig und entführt in eine ganz und gar fremde, durch die märchenhafte Sprache und das ausgezeichnete Spiel jedoch sehr gut verständliche Welt.
Der Wunsch von Serge Amisi erfüllt sich voll und ganz auch hier: rasch vergisst man die traurige
Vergangenheit der Künstler, so vollkommen ist man vom Spektakel eingenommen.
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