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Der 3.Armuts- und Reichtumsbericht, der im Herbst im Bundestag behandelt wird, stellt eine ziemlich vordergründige
Rechtfertigung der Agenda 2010 und der sozialdemokratischen Politik im Rahmen der Großen Koalition in Berlin dar. Er versucht, mit Zahlen zu
untermauern, was die politische Botschaft der SPD auch im Bundestagswahlkampf des kommenden Jahres sein wird:
— die Agenda 2010 hat mehr Beschäftigung gebracht und den
Wirtschaftsaufschwung seit 2006 unterstützt. Deswegen ist der Aufschwung nicht an der Bevölkerung vorbeigegangen — wie diese
dummerweise meint;
— die beste Absicherung gegen Armut ist Arbeit, die sozialste Politik deshalb eine,
die Menschen in Erwerbsarbeit bringt — gleichgültig, wie diese aussieht und ob sie ein existenzsicherndes Einkommen verschafft. Hartz IV ist
deshalb ausgesprochen sozial, auch wenn die Betroffenen das partout nicht einsehen wollen (aber die gehen eh nicht wählen);
— für diejenigen, die trotz allem auf Transferleistungen angewiesen sind, gibt
es immer noch genug Sozialstaat — mehr als in den meisten anderen Ländern der EU.
Diese Melodie pfeift auch der neu gekürte Kanzlerkandidat Steinmeier in einem
Interview mit der Süddeutschen Zeitung (13.9.2008):
"Wir haben in einer wirtschaftlich verzweifelten Situation Auswege formuliert, um die
Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Das ist in großem Umfang gelungen. 1,6 Millionen Arbeitslose weniger! ... Bei der Armut ist uns eine
Trendwende gelungen: Von 2005 bis 2006 ist der Anteil der Menschen, die in Armut leben, erstmals wieder gesunken — um 1,2 Millionen
Menschen!” Und ergänzt, gegen DIE LINKE gemünzt: „Bei den Populisten von links und rechts kriegen die Menschen letztlich nur
Steine statt Brot."
An soviel Zuversicht muss die neue Messmethode schuld sein, die auch neue Zahlen hervorbringt. Sie sind mit den alten gar nicht vergleichbar, denn
gemäß der alten Erhebungsmethode ist der Anteil der Armen bis heute kontinuierlich gestiegen!
So kommt der Armuts- und Reichtumsbericht von Olaf Scholz mit 13% Armen aus,
während das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung mit der alten Erhebungsmethode auf 18% kommt, die Kinderarmut sogar bei 26% sieht
(bei Scholz sind es 12%).
Die Methode zur Ermittlung der Daten wurde 2005 in der EU geändert (siehe auch
Seite 6). Auf wundersame Weise verringert sich dadurch die Zahl der Armen. Steinmeier sagt also die Unwahrheit, wenn er sagt, es sind weniger.
2005 war das Jahr, in dem die Hartz-Gesetze in Kraft traten. Die Arbeitslosenhilfe wurde abgeschafft, das Niveau von ALG II gegenüber der
früheren Sozialhilfe gesenkt, die Bezugsdauer von ALG I gekürzt; für die Rentnerinnen und Rentner gab es Nullrunden und
Rentenkürzungen.
Auch viele Beschäftigte spürten vom Aufschwung nichts. Die Nettolohn- und
Gehaltssumme sank 2005 gegenüber 2004, und in 2006 noch einmal gegenüber 2005. 2006 lagen die Reallöhne im Schnitt etwa 4,5%
niedriger als im Jahr 2000 — trotz längerer Arbeitszeiten und höherer Arbeitsintensität.
Von alledem weiß Olafs Bericht nichts. Der Armuts- und Reichtumsbericht der
Großen Koalition profitiert beim Thema „Armut” von der Tatsache, dass seine Daten im Wesentlichen noch aus der Zeit vor Hartz IV
stammen. Das lässt die Lage in besserem Licht erscheinen. Und ab 2005 wird anders gemessen — da liegt die Armutsgrenze dann nur noch bei
781 Euro statt wie vorher bei 880 Euro.
Anders ist es beim Thema Beschäftigung. Da möchte sich die Koalition mit den Federn des Aufschwungs schmücken, der
bekanntermaßen bei brummender Konjunktur einen Rückgang der Erwerbslosenzahlen gebracht hat. Deshalb schafft sie es, hier auch Zahlen von
2006 und 2007, ja sogar 2008 zusammenzutragen. Die frohe Botschaft lautet: „Mit über 40 Millionen Erwerbstätigen wurde im April 2008
ein historischer Höchststand erreicht.” Wer sagt, dass das alles nur geringfügige Beschäftigungen waren? „Selbst die
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nahm in 2007 um 500000 zu!”, heißt es im Bericht.
Wie dumm, dass 623000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Oktober 2007
so wenig verdienten, dass sie ergänzend ALGII beantragen mussten! Aber diese Zahl steht nicht im Armuts- und Reichtumsbericht, die steht in einer
Stellungnahme der Diakonie (www.eva-stuttgart.de/armutsbericht.html)
Ist das nicht wunderbar? Belegt nicht das Beschäftigungsniveau von 2007, gekoppelt mit dem Armutsniveau von 2005, dass „die
Reformbilanz der Bundesregierung sich sehen lassen” kann, wie es im Bericht heißt? Ja, nicht einmal Vollbeschäftigung möchte der
Kanzlerkandidat da ausschließen — wenn das so weiter geht und „die Weltkonjunktur” nicht dazwischen kommt. Die
täglichen Meldungen über die Streichung von Tausenden von Arbeitsplätzen müssen in Zeitungen stehen, die Steinmeier nicht liest.
Wie können sich kluge Leute nur selber so täuschen? Falsche Frage: Sie täuschen nicht sich, sie täuschen uns. Sie wenden einen
einfachen Trick an: Sie manipulieren die statistischen Methoden und sind mit einem Federstrich 4 Millionen Arme los. Und sie vermeiden peinlich, die Daten
nach den Auswirkungen ihrer Politik zu befragen.
Die Grenzen für solche Rosstäuscherei sind eng gesteckt. In der DDR
mögen die Menschen Steine bekommen haben, sie hatten aber auch Brot. Hierzulande ist das Brot steinhart geworden. Und wem das nicht schmeckt,
für den hagelt es Steine — ganz ohne Brot. Es sei denn, man rottet sich zusammen.
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