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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2008, Seite 04

Hartz IV nur 132 Euro?

Ein Professor dreht durch

von Paul B. Kleiser

An der Technischen Universität Chemnitz wurde unter Leitung vom Wirtschaftswissenschaftler Prof. Friedrich Thießen eine Studie erstellt, die zum Ergebnis kommt, dass 132 Euro Hartz IV für Erwachsene (heute 351 Euro) und 79 Euro für Kinder (heute 211 Euro) ausreichen würden. Maximal sollten monatlich 278 Euro zur Verfügung gestellt werden.
Wie kommt der neunmalkluge Professor zu solchen Zahlen? Indem er einfach annimmt, für Kleidung und Schuhe müssten 17 Euro, für Körperpflege 14 Euro, für Freizeit, Unterhaltung und Kultur 1 Euro (!) im Monat ausreichen. Also nix Theater und Kino — und wofür braucht ein Hartz-IV-Empfänger eine Tageszeitung? Für die Kommunikation sollen 2 Euro genug sein — anscheinend stellt die Post die Briefmarken für Bewerbungen kostenlos zur Verfügung. Da seiner Logik nach das „unglaubliche Überangebot an Gebrauchtmöbeln” vernachlässigt wird, reichen 7 Euro monatlich für „Gebrauchsgegenstände” (Ob es seiner Meinung nach auch ein Überangebot an Waschmaschinen oder Kühlschränken gibt, hat er uns nicht verraten!)
Da sich die Hartz-IV-Empfänger kaum wehren können, ist es einfach und bei einigen Berufszynikern wohl auch schick, sie an den Pranger zu stellen. Gerade betreibt Bild eine große Kampagne gegen die „Sozialbetrüger”, die natürlich vorzugsweise auch noch aus dem Ausland ("So werden Polen zu Deutschen gemacht”, 2.9.2008) kommen. Im Fernsehen machen sich „Sozialfahnder” auf die Suche nach realen oder vermeintlichen Sozialschmarotzern. Vor kurzem empfahl Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin frierenden Sozialhilfeempfängern, sich bei steigenden Heizkosten wärmere Pullover zuzulegen. Das erinnert stark an die verblichene Marie Antoinette, die angesichts fehlender Brotlieferungen ihrem Volke empfahl, doch einfach auf Kuchen umzusteigen.
Dass man mit Neid und Missgunst gerade bei ärmeren Bevölkerungsteilen Politik machen kann, ist nicht neu. Und dass die neoliberalen Ideologen, die mittlerweile gut 90% der deutschen Lehrstühle in den wirtschaftswissenschaftlichen Fächern besetzen, schon viel zu viele Studentenhirne umgedreht haben, dürfte eine beklagenswerte Tatsache sein. Denn ihr misanthropisches Menschenbild glaubt, Unterstützungsleistungen des Staates führten nur zur Faulheit, daher müsse man stets die Peitsche der Kürzungen und des Arbeitszwanges schwingen. (Thießen ist sicher ein Extrembeispiel, aber für 30% Kürzung von Hartz IV sind sie fast durchweg, angefangen mit Prof. Sinn vom IFO-Institut...)
Wir hätten da folgenden Vorschlag: Als C4-Professoren bekommen diese Herren (ohne Nebeneinkünfte) rund 6500 Euro monatlich, bei C3 sind es etwa 1000 Euro weniger — sorgen wir dafür, dass sie ein Jahr lang mit dem jetzigen Hartz-IV-Satz von 351 Euro auskommen müssen. Da Menschen bekanntlich vor allem durch eigene konkrete Erfahrungen lernen, wäre die heilsame Wirkung fast sicher garantiert...


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