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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2008, Seite 11

Absage an kollektive Legalisierungen

Europäische Innenminister verabschieden „Einwanderungspakt"

von Bernard Schmid, Paris

Anfang Juli versammelten sich die Innenminister der 27 Staaten der Europäischen Union in Cannes, um den von EU- Ratspräsident Nicolas Sarkozy vorgeschlagenen „Einwanderungspakt” zu verabschieden. Das französische „Ministerium für Einwanderung und nationale Identität”, das ihn ausgearbeitet hat, wurde von Sarkozy im Mai 2007 neu eingerichtet und mit seiner „rechten Hand”, Brice Hortefeux, besetzt.
Wesentlicher Bestandteil des Pakts ist der „Verzicht auf massive Legalisierungsoperationen für illegale Einwanderer” Im Hintergrund steht der Streit zwischen Frankreich und Spanien: Paris erhebt seit nunmehr drei Jahren heftige Vorwürfe gegen Premierminister Zapatero (abgeschwächt auch gegen Rom, als Romano Prodi noch Ministerpräsident war), weil deren Regierungen mehreren hunderttausend auf ihrem Staatsgebiet lebenden Menschen nachträglich Aufenthaltspapiere gegeben hatten.
Die italienische und insbesondere die spanische Regierung fanden dabei durchaus ihr Interesse: Spanien, das unter dem 1975 verstorbenen Diktator Franco noch überwiegend ein Agrarland war, hat seit 1990 einen sprunghaften Wachstumsschub erfahren. Sieben Millionen Zuwanderer haben in den letzten beiden Jahrzehnten dazu beigetragen, Industrie und Dienstleistungsgewerbe auf- und auszubauen, die Bauwirtschaft anzukurbeln und entvölkerte dörfliche Gebiete im Landesinneren wieder zu besiedeln.
Viele dieser Einwanderer waren „illegal”, meist kamen sie aus spanischsprachigen Staaten Lateinamerikas wie Ecuador und Peru bzw. aus Osteuropa. Ihr Platz in der Nationalökonomie gilt der Mehrheit der politischen Klasse Spaniens inzwischen als unverzichtbar. Gleichzeitig war die nachträgliche „Legalisierung” der bisherigen „illegalen” Einwanderer im Interesse des Staates, weil nun Sozialbeiträge für sie gezahlt wurden und die Sozialversicherungskassen damit in die schwarzen Zahlen kamen.
In Frankreich sieht man dies auf Regierungsseite völlig anders. „Illegale” Einwanderer sind für viele Branchen wie die Bauindustrie, das Gaststätten- und Reinigungsgewerbe unerlässlich, man verweigert ihnen meist jedoch die Legalisierung bzw. gewährt sie nur ausnahmsweise nach „Einzelfallprüfung” Trotzdem werden auch in Zukunft irreguläre Einwanderer in den genannten Branchen beschäftigt werden, eine Rechtsposition und der Zugang zu sozialen Sicherheitssystemen, die mit einer „Legalisierung” ihres Aufenthalts verbunden wären, wird ihnen jedoch verweigert. Sie bleiben in einer prekären rechtlosen Situation und sind vom Arbeitgeber vollkommen abhängig.
An der Frage des Umgangs mit Einwanderern entzündete sich deshalb ein heftiger Streit in der EU, leicht vereinfacht könnte man sagen: Paris und Berlin gegen die Länder Südeuropas.
Der Streit wurde weitgehend zugunsten der französischen Position entschieden. Allerdings erreichte Spanien nach längerem Widerstand die Aufnahme einer oberflächlichen Kompromissformulierung in die entscheidende Passage des Beschlusses. So verabschiedete die europäische Innenministerkonferenz folgenden Satz: Der Ministergipfel „kommt überein, sich im Rahmen der nationalen Gesetze auf fallweise und nicht allgemeine Legalisierungen aus humanitären oder wirtschaftlichen Gründen zu beschränken."
Dadurch hat sich, völlig eindeutig, die französische Position zugunsten von „Einzelfallprüfungen”, die je nach politischem Gusto ausfallen, und gegen kollektive „Legalisierungs"regeln durchsetzen können.
Sämtliche französischen Zeitungen, ob nun Sarkozy-kritisch oder -unkritisch, werteten die Verabschiedung des „Einwanderungspakts” durch die europäische Innenministerkonferenz als faktischen Triumph für Sarkozy und Hortefeux.
Der „Pakt” beinhaltet neben dem Ausschluss kollektiver und allgemein gehaltener „Legalisierungs"regelungen zugunsten von „Einzelfallprüfungen” noch weitere wichtige Punkte. Da wird etwa dem Zuzug ökonomisch „nützlicher” Migranten (zulasten von Familienzusammenführung und Asylrecht) der Vorzug gegeben. Auch sollen die Zuwanderer verpflichtet werden, nicht nur die jeweilige Landessprache der betreffenden EU-Länder zu lernen und zu beherrschen, sondern auch deren „nationale Identität” zu studieren und zu respektieren. Die Wortwahl widerspiegelt haargenau die unsägliche Namensgebung des Ministeriums „für Einwanderung und nationale Identität”, das die Herren Sarkozy und Hortefeux eingerichtet haben.


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