SoZ - Sozialistische Zeitung |
Großmachtpolitik im 21.Jahrhundert dreht sich zentral um die Kontrolle der Erdöl- und Erdgasvorkommen auf der
ganzen Welt. Die Ausbeute der Lagerstätten, die Kontrolle der Transportwege und deren militärische Absicherung bilden einen
„militärisch-industriellen Komplex”, der die Grundzüge von Diplomatie und Kriegführung nach dem Fall der Mauer
bestimmt. Dabei tanzt längst nicht alles nach der Geige der USA oder der EU; ihnen sind auf dem eurasischen Kontinent mächtige Gegenspieler
entstanden.
Die anhaltende Krise im Kaukasus ist eng verbunden mit der strategischen Kontrolle
über Energiepipelines und Transportwege. Es gibt Hinweise, dass der georgische Angriff auf Südossetien am 7.August sorgfältig geplant
war. In den Monaten vor dem Angriff gab es auf hoher Ebene Konsultationen Georgiens mit den USA und der NATO. Eine Woche vorher fanden US-
amerikanisch-georgische Manöver statt (vom 15. bis 31.Juli 2008). Schließlich ging dem Angriff auch ein Gipfeltreffen der GUAM, ein von USA
und NATO unterstütztes regionales Militärbündnis, voraus.
Anfang Juni fand ein regionales Gipfeltreffen der GUAM in der georgischen Stadt Batumi statt. GUAM ist eine ständige internationale Organisation,
der Georgien, Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien angehören; sie wurde 1997 in Kiew ins Leben gerufen. Seit 2006 hat sie sich in
„Organisation für Demokratie und wirtschaftliche Entwicklung — GUAM” umbenannt.
GUAM hat wenig mit „Demokratie und wirtschaftlicher Entwicklung” zu
tun. Es ist de facto ein Anhängsel der NATO. Die USA und das atlantische Bündnis benutzen es dazu, ihren Einfluss im Kernland der ehemaligen
Sowjetunion zu erweitern. (Siehe Karte 1.)
Das Hauptziel von GUAM als Militärallianz ist der Schutz der Energie- und
Transportkorridore vom Kaspischen Meer nach Westeuropa zugunsten angloamerikanischer Ölgiganten. Dieses Netzwerk von Korridoren soll
Westeuropa mit Zentralasien und dem Fernen Osten verbinden (siehe dazu weiter unten zur Seidenstraßenstrategie). Die GUAM-Staaten erhalten von den
USA und der NATO Militärhilfe und Ausbildung.
Die Militarisierung dieser Korridore ist ein zentrales Element in den Planungen der USA
und der NATO. Dazu gehört auch das Bestreben, Georgien und die Ukraine zu Mitgliedern der NATO zu machen.
Das Thema des Gipfeltreffens am 1./2.Juli in Batumi unter der Leitung des georgischen
Präsidenten Saakaschwili lautete „Europas Osten integrieren"; es ging darum, wie Moskaus Einfluss im Kaukasus und Osteuropa
unterminiert werden könne. An dem Gipfeltreffen nahmen neben den Staatspräsidenten von Aserbaidschan, Georgien und der Ukraine auch die
Präsidenten Polens und Litauens teil. Moldawiens Staatsoberhaupt verweigerte den Besuch.
Die US- und NATO-Einrichtungen in Osteuropa, inkl. des Raketenabwehrsystems, stehen
in einer direkten Verbindung zu den geopolitischen Entwicklungen im Kaukasus. Eine knappe Woche nach der Bombardierung Südossetiens durch
georgische Truppen unterzeichneten die USA und Polen ein Abkommen, das es den US-Luftstreitkräften ermöglicht, US-Raketenabwehr auf
polnischem Boden zu installieren.
Von den Medien weitgehend ignoriert fand am 1.Juli am Rande des GUAM-Treffens auch
ein „US-GUAM-Gipfeltreffen” statt, zu dem US-Vizeaußenmister David Merkel anreiste. Es gab auch private Treffen am 1. und 2.Juli in
der Residenz des georgischen Präsidenten.
Kaum zwei Wochen nach dem Gipfeltreffen hielten US-Truppen und georgische Truppen auf der Militärbasis Vaziani nahe Tiflis ein gemeinsames
Manöver „Immediate Response” ab. Daran beteiligt waren 1000 US-Soldaten sowie 600 georgische Soldaten. Auf US-Seite nahmen
Soldaten der Luftwaffe, der Armee, der Nationalgarde und Marines teil. Auch Soldaten aus der Ukraine und Aserbaidschan waren beteiligt, und unerwartet
auch aus Armenien, das eigentlich ein Verbündeter Russlands und Gegenspieler Aserbaidschans ist. Das Manöver folgte einem Irakkrieg-Szenario,
es sollte jedoch auch eine Basis für die Zusammenarbeit zwischen aserbaidschanischen und armenischen Truppen schaffen. Verantwortlich für die
Koordinierung des Manövers war Brigadegeneral William B. Garrett, Kommandant der Südeuropäischen Taskforce der US-
Streitkräfte. Aus den Militärübungen wurde eine Generalprobe für die bevorstehende Militäroperation.
Russland begann am 5.Juli im Nordkaukasus weitgehende Militärübungen, an
denen rund 8000 Soldaten, 700 bewaffnete Einheiten und 30 Flugzeuge beteiligt waren (laut Georgian Times, 28.7.). Sie fanden unter dem Namen
„Caucasus Frontier 2008” statt. Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministerium räumte ein, die Übungen seien eine Reaktion
auf eine „Eskalation der Spannung in den georgisch-abchasischen und georgisch-ossetischen Konfliktzonen”, Russlands Nordkaukasischer
Militärbezirk sei „bereit, den russischen Friedenstruppen in Abchasien und Südossetien, falls das notwendig sein sollte, beiseite zu
stehen.” (Georgian Times, 28.7.; Ria-Novosti, 5.7.)
Die im Militärbezirk Nordkaukasus stationierten Einheiten der 58. Armee und
4.Luftdivision leiteten danach den russischen Gegenangriff gegen die georgischen Streitkräfte in Südossetien am 8.August.
Russland ist Teil des Drushba-Pipelinenetzwerks: Diese Pipeline verläuft durch Weißrussland, also an der Ukraine vorbei (siehe die Karten 2).
Das baltische Pipelinesystem (BPS), das ebenfalls vom staatlichen russischen
Ölkonzern Transneft betrieben wird, verbindet Samara mit dem russischen Ölterminal Primorsk im Golf von Finnland. Es liefert Rohöl aus
Westsibirien an den nord- und westeuropäischen Markt.
Ein weiteres strategisches Pipelinesystem, das vornehmlich von Russland kontrolliert wird,
ist das Kaspische Pipelinekonsortium (CPC). Das CPC ist ein Joint Venture zwischen Russland und Kasachstan, unter Beteiligung von Ölfirmen aus dem
Mittleren Osten.
Das BPS ist eingebunden in die Atyrau-Samara-Pipeline (AS), ein Joint Venture zwischen
der russischen Transneft und Kasachstans nationalem Pipelinebetreiber KazTransOil. Die AS-Pipeline ist wiederum mit dem CPC verbunden, das Rohöl
aus dem Ölfeld Tengis an der Nordostküste des Kaspischen Meers von Atyrau im westlichen Kasachstan zum russischen CPC-Terminal nahe
Noworossisk am Schwarzen Meer transportiert.
Am 10.Juli 2008, eine knappe Woche nach dem GUAM-Gipfeltreffen, verkündeten
Transneft und KazTransOil, dass sie darüber verhandeln, die Kapazität der Atyrau-Samara-Pipeline von 16 auf 26 Millionen Tonnen Öl pro
Jahr zu erweitern.
Ein zentrales Thema beim US-GUAM-Treffen im Juli war die Route der Odessa-Brodski-
Plotsk-Pipeline (OBP, siehe die Karten 3 ). Sie soll Öl aus Zentralasien über Odessa nach Nordeuropa transportieren, vorbei an russischem
Territorium. Eine Verlängerung der OBP zum polnischen Hafen Gdansk am baltischen Meer wird ins Auge gefasst.
Die GUAM-Regierungen trafen auch Vereinbarungen über die zukünftige
Entwicklung des GUAM-Transportkorridors (GTC), der die umstrittene Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (BTC) ergänzt (siehe Karte 4). Letztere verbindet
das Kaspische Meer mit dem östlichen Mittelmeer über Georgien und die Türkei, ohne russisches Territorium zu berühren. Die BTC-
Pipeline wird von einem Ölkonsortium betrieben, das BP anführt.
Der GTC-Korridor soll die Hauptstadt Aserbaidschans, Baku, am Kaspischen Meer mit
dem georgischen Hafen von Poti/Batumi am Schwarzen Meer verbinden. Von dort soll das Öl zum ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa geleitet und
von Odessa über See- und Landwege nach West- und Nordeuropa geführt werden.
Die BTC-Pipeline, die im Jahr 2006 auf dem Höhepunkt des Krieges im Libanon in
Betrieb genommen wurde, hat die Geopolitik im östlichen Mittelmeer dramatisch verändert. Dieses ist nun durch einen Energiekorridor mit dem
Kaspischen Becken verbunden. Die in Moskau erscheinende Tageszeitung Komersant schrieb dazu am 14.7.2006: „Die BTC-Pipeline verändert
beträchtlich den Status der Länder der Region und zementiert eine neue prowestliche Allianz. Nachdem die Pipeline zum Mittelmeer geführt
worden ist, hat Washington praktisch einen neuen Block mit Aserbaidschan, Georgien, der Türkei und Israel errichtet."
Israel ist nunmehr Teil der angloamerikanischen Militärachse, die die Interessen der
westlichen Ölgiganten im Mittleren Osten und in Zentralasien schützt. Es überrascht nicht, dass Israel militärisch mit Georgien und
Aserbaidschan kooperiert.
In aller Regel beschränkt sich die westliche Medienberichterstattung auf die
Nachricht, dass die BTC-Pipeline „Öl zu den westlichen Märkten” bringt. Selten wird berichtet, dass Teile des kaspischen Öls
direkt nach Israel geleitet werden. In diesem Zusammenhang ist auch eine israelisch-türkische Unterwasserpipeline ins Auge gefasst, die Ceyhan mit dem
israelischen Hafen von Ashkelon und von dort durch Israels Hauptpipelinesystem mit dem Hafen Eilat am Roten Meer verbindet. Israels Ziel ist nicht nur,
kaspisches Öl für den Eigenbedarf zu erwerben, sondern auch eine Schlüsselrolle beim Transport des kaspischen Öls nach Asien zu
spielen. Die strategischen Implikationen dieser Umleitung von Öl aus dem Kaspischen Meer nach Südasien sind weitreichend.
Die Seidenstraßenstrategie (Silk Road Strategy — SRS) ist ein wesentlicher Bestandteil der US-Außenpolitik seit dem Ende des Kalten
Krieges; sie wurde dem US-Kongress im Jahr 1999 als Gesetz vorgelegt, allerdings nie verabschiedet.
Die Seidenstraßenstrategie wird als „transeuropäisches
Sicherheitssystem” definiert und verlangt die „Militarisierung des eurasischen Korridors” als integralen Bestandteil des „Great
Game” Das erklärte Ziel des Gesetzesvorschlags ist es, die Wirtschaftsmacht der USA entlang eines ausgedehnten geografischen Korridors zu
entwickeln. Das US-Abgeordnetenhaus hat das SRS-Gesetz 1999 zwar verabschiedet, es erlangte jedoch nie Gesetzesrang. Dennoch wurde es unter der Bush-
Regierung de facto zur Grundlage des US-NATO-Interventionismus, verbunden mit dem Ziel, die ehemaligen Sowjetrepubliken im Südkaukasus und
Zentralasien unter die Einflusssphäre der USA zu bringen.
Der eurasische Ölkorridor spannt sich vom östlichen Mittelmeer bis zu
Afghanistan und Chinas Westgrenze, um die Kontrolle über große Öl- und Gasreserven zu sichern, Pipelinerouten und Handelswege zu
schützen. Die Invasion Afghanistans im Oktober 2001 war ein Meilenstein zur Durchsetzung dieses strategischen Ziels der USA in Zentralasien.
Afghanistan grenzt an die chinesische Westgrenze. Es ist zudem eine strategische Landbrücke, die den riesigen Ölreichtum des Kaspischen Beckens
mit dem Arabischen Meer verbindet. Der Prozess der Militarisierung unter der SRS ist weitgehend gegen China, Russland und dem Iran gerichtet.
Die SRS verlangt „die Entwicklung starker politischer, ökonomischer und
Sicherheitsbindungen der Länder des Südkaukasus, Zentralasiens und des Westens, um die Stabilität in dieser Region zu fördern, die
politischem und wirtschaftlichem Druck aus dem Süden, Norden und Osten ausgesetzt ist.” (Russland im Norden; Irak, Iran, und der Nahe Osten
im Süden; China im Osten.) Und weiter: „Die Anwendung einer neoliberalen Politik, unterstützt durch den IWF und die Weltbank, als
wesentlicher Bestandteil der SRS, die eine offene Marktwirtschaft zu fördern sucht, wird positive Anreize für internationale private Investoren
schaffen, ein erhöhtes Handelsvolumen und andere Formen wirtschaftlicher Aktivität ... Die Südkaukasusregion und Zentralasien
könnten soviel Öl und Gas produzieren, dass sich die Energieabhängigkeit der USA von der wenig verlässlichen Golfregion
verringert.” (Silk Road Strategy Act, 1999.)
Das SRS-Gesetz versteht unter „Region des Südkaukasus und
Zentralasien” die Länder Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.
Die SRS zielte also darauf ab zu verhindern, dass die ehemaligen Sowjetrepubliken eigene wirtschaftliche, politische und militärische Kooperationen
aufbauen bzw. Verbindungen zu China, Russland und dem Iran knüpfen. Mit dem GUAM-Abkommen 1997 sollten die ehemaligen Sowjetrepubliken in
eine militärische Kooperation mit den USA und der NATO gebracht werden.
Die USA haben ihr erklärtes Ziel jedoch nicht in Gänze erreicht:
Während die Ukraine, Aserbaidschan und Georgien de facto US-Protektorate geworden sind, sind Kirgisistan, Kasachstan, Tadschikistan, Armenien und
Weißrussland geopolitisch mit Moskau verbündet.
Nur wenige Tage nach dem GUAM-Gipfel in Batumi verkündeten China und
Kasachstan den Beginn des Baus einer 1300 km langen Gaspipeline. Die Einweihungszeremonie fand bei Almati nahe der Grenze zu Kirgisistan statt. Die
Pipeline, die in mehreren Bauphasen errichtet wird, soll ab 2010 Gas transportieren. „Die neue Transitroute ist Teil eines größeren
Vorhabens, zwei parallele Pipelines zu errichten, die China mit Zentralasiens riesigen Gasvorkommen verbinden. Die Pipeline wird mehr als 7000 km lang, sie
führt von Turkmenistan durch Usbekistan und Kasachstan in die nordwestliche chinesische Region Xinjiang. Usbekistan hat mit dem Bau seines
Abschnitts in diesem Monat begonnen, Turkmenistan schon im letzten Jahr.” Chinas National Petroleum Corporation, das führende Unternehmen
im Konsortium, „hat Abkommen mit staatlichen Öl- und Gasfirmen in Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan unterzeichnet und ihnen einen
Anteil von 50% an ihren jeweiligen Pipelineabschnitten zugesichert”
Das KPC-Pipeline-Projekt berührt strategische Interessen der USA in Eurasien. Es
unterminiert die Seidenstraßenstrategie. KPC ist Teil einer konkurrierenden eurasischen Transport- und Energiestrategie, die vom SCO-CSTO-
Militärbündnis abgesichert wird.
SCO und CSTO sind zwei regionale Militärbündnisse: die Shanghai
Cooperation Organization (SCO) und die Collective Security Treaty Organization (CSTO). Die SCO ist ein Militärbündnis zwischen Russland,
China und einigen ehemals zentralasiatischen Sowjetrepubliken: Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan. Der Iran hat Beobachterstatus in der
SCO.
Die CSTO vereint folgende Mitgliedsländer: Armenien, Weißrussland,
Kasachstan, Kirgisistan, Russland, Tadschikistan und Usbekistan. Sie spielt eine Schlüsselrolle für die Transport- und Energiewege und arbeitet
eng mit der SCO zusammen.
Seit 2006 führen die Mitgliedsländer der SCO und der CSTO gemeinsame
Manöver durch, zudem arbeiten sie aktiv mit dem Iran zusammen. Im Oktober 2007 unterzeichneten CSTO und SCO ein „Memorandum of
Understanding” und legten damit den Grundstein für eine militärische Kooperation. Dieses Abkommen, das in den westlichen Medien
kaum erwähnt wurde, beinhaltet die Schaffung einer regelrechten Militärallianz zwischen China, Russland und den anderen Mitgliedstaaten.
Organisatorisch getrennt, bilden diese beiden regionalen Militärbündnisse dennoch faktisch einen einzigen Militärblock, der dem
Expansionismus der USA und der NATO in Zentralasien und im Kaukasus begegnet.
Noch ist die amerikanische Seidenstraße unterbrochen: die ostwärts
verlaufenden Wege, die Zentralasien mit China verbinden, werden noch von der SCO-CSTO kontrolliert. Dies zu ändern, würde unweigerlich
Chinas territoriale Souveränität verletzen.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |