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Die 17.Sommeruniversität, die die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), die französische Sektion der
IV.Internationale, vom 22. bis 27.August in Port Leucate in der Nähe von Perpignan veranstaltete, war zugleich ihre letzte. Denn ab dem kommenden
Februar gibt es die LCR nicht mehr.
Über 1300 Teilnehmende plus gut 100 Kinder waren gekommen; die Ferienanlage
platzte aus allen Nähten; etwa 300, die sich zu spät eingeschrieben hatten, mussten abgelehnt werden. Die im Vergleich zu den vorigen Jahren fast
verdoppelte Teilnehmerzahl ist vor allem auf das Projekt „Neue Antikapitalistische Partei” zurückzuführen, das die LCR seit etwa
einem Jahr betreibt. Bisher haben über 10000 Menschen ihr Interesse bekundet, in einer solchen Partei mitzuarbeiten, darunter auch zahlreiche
französische Intellektuelle.
Auffallend war, dass der Altersdurchschnitt der Beteiligten deutlich unter 40 Jahren lag und
in bestimmter Weise einen Querschnitt der lohnabhängigen Bevölkerung darstellte. Die Sommeruni konnte sich diesmal auch der Aufmerksamkeit
der Medien gewiss sein: Fast alle wichtigen französischen Zeitungen und Zeitschriften sowie verschiedene Fernsehanstalten berichteten von Port Leucate.
Traditionell hat die Sommeruniversität drei Aufgaben: die Vermittlung von
Grundlagenwissen (politische Ökonomie, Geschichte der Arbeiterbewegung, der antikolonialen Befreiungsbewegungen usw.); die Analyse konkreter
Fragen der französischen und internationalen Politik (die neoliberalen „Reformen”, die Rolle der Gewerkschaften und der reformistischen
Parteien, die Lage in Palästina, in Algerien, in China, in wichtigen Ländern der EU, in Lateinamerika usw.; und die Diskussion über aktuelle
Klassenkämpfe: Streiks bei Post, Bahn und Telekom, die Bewegungen in den Banlieues, die Kämpfe der Schüler und Studierenden gegen
die Kürzungen im Ausbildungsbereich...
Diesmal ging es aber auch um die Frage: Was sollen wesentliche Elemente für ein
Programm der neuen Partei sein? Höhepunkt war eine gemeinsame Veranstaltung von (zumeist) jungen Leuten aus den Bewegungen mit Olivier
Besancenot, dem Präsidentschaftskandidaten der LCR 2002 und 2007. Im Herbst will die LCR eine Kampagne zur Anhebung des Mindestlohns um 300
Euro monatlich beginnen; außerdem möchte sie durchsetzen, dass Entlassungen in Betrieben, die Gewinne machen, verboten werden.
Weil er der einfachen Bevölkerung aus der Seele spricht, zählt Besancenot
heute laut Meinungsumfragen zu den beliebtesten Politikern Frankreich; laut Paris Match vom 17.Juli 2008 haben 52% der Franzosen eine gute, 10% sogar eine
„sehr gute” Meinung von ihm. Es dürfte in der Geschichte nicht allzu häufig vorgekommen sein, dass ein Revolutionär
solche Werte erreicht. Diese Entwicklung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) mehr und mehr als
die eigentliche Opposition gegen die Politik der Regierung gesehen wird, weil die Sozialistische Partei (PS) in zahlreiche Flügel gespalten ist und Sarkozy
einige PS-"Elefanten” hat einbinden können: Bernard Kouchner als Außenminister, Dominique Strauss-Kahn als Direktor des IWF.
"Wir brauchen eine Linke, die dieses Namens würdig ist und sich nicht
entschuldigt, dass sie antikapitalistisch ist und die Welt verändern möchte. Die Stärke von Sarkozy besteht darin, dass die (reformistische)
Linke ausfällt”, sagt Besancenot. Das hat auch die Süddeutsche Zeitung entdeckt, sie schreibt am 5.9.:
"Die Trotzkisten nutzen die Gunst der Umstände und die Popularität
ihres jungen Anführers Olivier Besancenot: Sie werden demnächst eine neue Partei gründen. Dieser junge Mann, Briefträger im
bürgerlichen Leben, hat sich vorgenommen, die linke Szene neu zu definieren. Und seine Chancen stehen nicht schlecht, denn die eigentliche linke Kraft,
die Parti Socialiste (PS), zeigt sich ohnmächtig und unfähig, der oktroyierten Geschlossenheit der Präsidentenpartei UMP etwas
Gleichwertiges entgegenzusetzen. Der Trotzkist Besancenot ist populärer als alle Front-Figuren der Sozialisten, die sich um die Nachfolge von François
Hollande balgen."
Die antikapitalistische Bewegung wächst aber nicht nur wegen der Popularität
von Besancenot, es gibt auch einen starken Zustrom von jungen Leuten, die vorher zumeist nicht politisch aktiv gewesen sind: Über die Hälfte der
Mitglieder der LCR ist heute (im Gegensatz zu PS und PCF) unter 40 Jahre alt! Auch ihre soziale Zusammensetzung hat sich seit 2001 erheblich
verändert: Ein Viertel der Mitglieder sind prekär Beschäftigte und Arbeitslose, darunter sind viele junge Leute, denen es trotz guter
Qualifikation nicht gelingt, eine ordentliche Beschäftigung zu bekommen. Dadurch ist die LCR heute als einzige linke Partei auch in den Banlieues
verankert.
Dies führe dazu, hörte man in Port Leucate, dass die neue Partei im Aufbau in
gewisser Weise eine dreifache Rolle übernehmen müsse: sie müsse gleichzeitig Verein, Gewerkschaft und Partei werden. „Die neuen
Mitglieder sind ungeduldig und wollen an allen Fronten kämpfen”, schreibt Le Monde am 24./25.8. „Dies stellt für die LCR eine
große Herausforderung dar, denn sie muss ein Funktionieren und eine Sprache finden, die dieser Mitgliedschaft angepasst sind."
Im Herbst soll eine große Konferenz die Weichen für die Gründung der
neuen Partei stellen. Ende Januar wird sich die LCR dann auflösen und die neue antikapitalistische Partei gegründet werden; deren Name steht noch
nicht fest. Sie wird wohl schnell die drei- bis vierfache Mitgliederzahl der LCR erreichen.
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