SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2008, Seite 02

Eine neue Energiebasis für

ein anderes Wirtschaftsmodell

von ANGELA KLEIN

Das Auto. Sinnbild des Wohlstands der kleinen Leute. Geschwindigkeitsrausch. Freie Fahrt für freie Bürger. Sommerurlaub im Süden mit Familie und Stau auf der Autobahn. Stolz der deutschen Industrie und Exportartikel Nr.1. Statussymbol. Könnte ein Handy das ersetzen? Lächerlich.

Monokultur. Säule des Massenkonsums. Durch das Auto ist der Kapitalismus im 20.Jahrhundert erst massenfreundlich geworden, hat ein ganzes Wirtschaftsmodell geprägt. In Deutschland ist es das Rückgrat der Wirtschaft — um das Auto dreht sich alles, incl. Maschinenbau und Elektroindustrie. In den USA bildet es sogar die einzige nennenswerte verbliebene Industriebasis, nachdem Kohle, Stahl und weitgehend auch Computer nach Asien ausgelagert wurden.

Grenzen des Wachstums I. Nach dem Höhenflug kommt der Absturz: es gibt zu viele Autos. Der Markt ist übersättigt.
Produktionssteigerungen waren zuletzt nur noch möglich, weil für die Luxusschicht Überfluss produziert wurde: der SUV fürs Wochenende, der Smart für die City, der Zweit- und der Drittwagen für die Kinder. Darunter sind richtige Dreckschleudern mit 14,5 Liter pro 100 km...
Und er war möglich, weil der Konsum über den tatsächlichen Bedarf hinaus ausgeweitet wurde, durch die Überschuldung der mittleren und unteren Käuferschichten in den USA. Dort haben GM, Chrysler und Ford ihre Autos in den letzten Jahren immer mehr auf Raten verkauft, manchmal mit Null Prozent Zinsen, und haben sich Rabattschlachten geliefert. Die Kreditkartenindustrie steht jetzt vor einem ähnlichen Debakel wie die Hypothekenbranche; billiges Geld gibt es nicht mehr, und wem das Haus unterm Hintern weggezogen wird, der kauft sich kein neues Auto. Das sind Millionen.

Grenzen des Wachstums II. Der Absturz kommt auch noch ganz anders: Angesichts der Klimaveränderungen und schwindender Ölreserven brauchen wir dringend eine Energierevolution, sagt die Internationale Energieagentur. Immer drängender werden die Forderungen aus der Wissenschaft, und immer ignoranter die Politik. Greenpeace hat errechnet, dass Audi, Porsche und VW in 2007 (wegen der Luxusmodelle) mehr klimaschädigende Autos verkauft haben als 2002. Erklärungen für die Rettung des Klimas sind wohlfeil, aber getan wird nichts. Die Ölreserven reichen noch 40—60 Jahre, dann ist sowieso Schluss. Und es ist nicht nur das Öl: es ist auch der Verbrauch an Stahl, der nicht in derselben Weise fortgesetzt werden kann. Wegen den CO2-Emissionen, die bei der Herstellung eines Autos entstehen, auch bei der dazu notwendigen Stahlproduktion. Der ökologische Rucksack eines Autos wird auf das Zehn- bis Zwanzigfache seines Eigengewichts geschätzt — das sind bei einem Golf der Mittelklasse 20—30 Tonnen.

Umsteuern. Es ist längst höchste Zeit, dass etwas getan wird. Jetzt ist die Chance da, jetzt muss sich alles neu aufstellen, neue Strategien entwickeln. Jetzt muss die Wende zu einer dritten industriellen Revolution geschafft werden — zu einer neuen energetischen Grundlage des Wirtschaftens. Wenn jetzt Geld in die Hand genommen werden soll, dann dafür, und für nichts anderes.
Wenn Opel also eine Milliarde auf die Hand kriegt, dann muss die mit der Auflage verbunden sein, in kürzester Frist einen Antrieb zu entwickeln, der ohne fossile Brennstoffe auskommt. Und es müssen Verkehrsmodelle entwickelt werden, bei denen das Privatauto in der Garage ersetzt wird durch Vehikel, die von allen genutzt werden können und auf Abruf rund um die Uhr im Einsatz sind.
Die Umstellung auf eine Wirtschaft, die weitgehend frei ist von fossilen Brennstoffen, kostet viel Geld, sagt Mike Davis. Das vorhandene Geld darf jetzt nicht verschleudert werden in unsinnigen Ausgaben wie die Stützung einer Automobilproduktion, die wir uns schon lange nicht mehr leisten können.

Die Arbeitsplätze. Rettet eine Milliarde Euro Arbeitsplätze bei Opel? Das Unternehmen hat sich die Milliarde erschlichen. Noch ist nicht abzusehen, ob es sie überhaupt braucht. Angeblich hat es nicht mal Liquiditätsschwierigkeiten. Es hat auf Vorrat gehandelt, für den Fall, „dass die Bedingungen schlechter werden” Man stelle sich vor, ein hoch verschuldeter Familienvater tritt vors Fernsehen und bettelt: Haste mal ne Mark?
Arbeitsplätze werden damit nicht gerettet. Die einzige Auflage, die die Regierung macht, ist, dass das Geld nicht in den USA verschwindet. Eine Auflage, die Arbeitsplätze zu sichern, gibt es nicht. Da will die Regierung sich „nicht in den Wettbewerb einmischen”
Wenn, dann geht es darum, einen unmittelbaren Kollaps zu verhindern, damit Opel, das in der Wirtschaftskrise 1929 von GM aufgekauft wurde, in der Wirtschaftskrise 2008 aus GM wieder herausgelöst und an einen andern Autokonzern verkauft werden kann. Kapitalkonzentration heißt das Gebot der Stunde. Das Management lässt sich von der Regierung eine neue Unternehmensfusion bezahlen, und das bedeutet: Kosten senken und Arbeitsplätze abbauen.

Die Milliarde Euro ist kein Investitionsprogramm für die Beschäftigten. Sie ist eine Geldspritze zur Stärkung der eh schon Starken, zur Bereinigung des Automobilmarkts. Die Einbrüche, die auf die Beschäftigten in der wichtigsten Säule der deutschen Industrie zukommen, werden gewaltig sein. Business as usual, betriebliche Abwehrkämpfe und unspezifische, nicht mit Auflagen und Kontrollen versehene Investitionsprogramme helfen nicht mehr. Steuergelder müssen für ein ganz anderes Beschäftigungsprogramm ausgegeben werden, und das heißt: Eine neue Energiebasis für ein anderes Wirtschaftsmodell. Das schafft Arbeitsplätze — auch für ehemalige Autobauer.


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