SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2008, Seite 04

Die Erben von Ebert, Noske und Scheidemann

Das dramatische Ende der Ypsilanti-Kandidatur

von HEINER HALBERSTADT

Wenn man den Darstellungen rechtskonservativer Kreise folgt, ist es gelungen, große politische Gefahr für Hessen abzuwenden. Am Dienstag, den 4.November, nach der Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin, hätte sie die Gründung der Sozialistischen Volksrepublik Hessen verkündet. Tausende Kommunisten wären aufmarschiert und hätten rote Fahnen geschwenkt.
Das Verdienst, diesen drohenden Einbruch in die deutsche Geschichte und den Absturz der Demokratie verhindert zu haben, kommt nicht etwa der Bundeswehr oder den Notstandsgesetzen zugute. Es waren vier Schröder-Getreue und den Belangen der deutschen politischen Ordnung und Wirtschaft ergebene Sozialdemokraten, die die politische Notbremse zogen und den Zug zum DDR- Nachfolgestaat zum Halten brachten. Es waren also wieder mal Sozialdemokraten, die — wie einst Ebert, Noske und Scheidemann — sich tapfer und nur ihrem Gewissen folgend, der aufkommenden roten Flut entgegen gestellt haben.
Was hat diese sog. „Viererbande” — (Dagmar Metzger, Jürgen Walter, Silke Tesch und Carmen Everts) — nun wirklich zu ihrem „Aufstand” getrieben? War es ausschließlich die kritische Unterstützung der Regierung durch die LINKE? Auf der Presse-Konferenz am Montag, den 3.November, beriefen sich die „Aussteiger” auf die „quälerisch zustandegekommene Gewissensentscheidung” Der Zeitpunkt der „Offenbarung” war allerdings zu vordergründig und die Mimik zu leidend verkrampft, um glaubwürdig zu erscheinen.
Konkreter wäre krimiartig zu fragen: Wem diente die Tat? Die Antwort liegt nahe. Aber ist sie auch schlüssig, oder löst sie nur spekulative Vermutungen aus? Die politische und persönliche Biografie der abtrünnigen Vier liefert dazu einige interessante Anhaltspunkte.

Wer sind die abtrünnigen Vier?

Der Schwiegervater von Dagmar Metzger, Günther Metzger, ist ein führender Kopf des „Seeheimer Kreis” Der bündelt bundesweit die SPD-Rechte ideologisch und personell. Dem gehört auch Dagmar Metzger seit längerem an. Auch ihr Ehemann und Schwager sind auf dieses rechtskonservativ-neoliberale SPD-Spektrum fixiert.
Jürgen Walter, der eigentliche Organisator des politischen Torpedo-Unternehmens, hatte seine politische Lebens- und Karriereplanung bereits seit längerem auf einen Aufstieg zum hessischen Parteivorsitz und von dort aus weiter in ein maßgebliches Ministeramt in Hessen oder in Berlin angelegt. 2003 kam ihm unerwartet die bis dahin wenig bekannte Genossin Andrea Ypsilanti in die Quere.
Ypsilanti wurde mit knapper Mehrheit statt seiner auf dem Landesparteitag 2006 zur Landesvorsitzenden gewählt. Sie hatte es geschickt verstanden, überdauerte Linkstraditionen in der hessischen SPD wieder zu wecken. Der seitdem tief gekränkte Jürgen Walter, der nicht nur als Anwalt intensive Kontakte zu Wirtschaftskreisen pflegt, orientierte sich seitdem erkennbar in Richtung Große Koalition, von der er doch noch persönlichen Erfolg erhoffte. Im Inneren der SPD arbeitete er deshalb unermüdlich auf eine Niederlage von Ypsilanti hin, um danach die hessische SPD auf seinen Weg zu bringen. Es gelang ihm als Stellvertreter im Landes- und Fraktionsvorstand, seine eigentlichen Intentionen sorgfältig hinter einer scheinbar einsichtsvollen Konzilianz gegenüber der Ypsilanti-Mehrheit in den hessischen SPD-Führungsgremien zu verbergen.
Der Industriekauffrau Silke Tesch gelang im Januar 2008 erstmals der Einzug in den Hessischen Landtag, im Kreis Marburg- Biedenkopf überrollte sie mit ihrer Direktkandidatur den CDU-Fraktionsvorsitzenden Christian Wagner, einen ultrarechten Antikommunismus-Kämpen. Tesch hatte im Wahlkampf keine Hemmungen, sich dabei einer vor allem im Marburger Raum noch erhaltenen linken Grundstimmung zu bedienen.
Gleich nach der Wahl avancierte sie aber zur Sprecherin der auf eine Große Koalition (ohne Koch!) fixierten rd. 20-köpfigen „Aufwärts-Runde” in der SPD-Fraktion; das „Aufwärts-Logo” bezieht sich auf die von Schröder hinterlassene Legende 2010.
Carmen Everts, Politologin, hat ihre Dissertation über „Extremismus” in Zwickau an der dortigen TH geschrieben. Darin folgte sie ihrem Doktorvater Prof. Eckard Jesse. Dessen Grundthese ist die „Erkenntnis”, die SED/PDS sei, was ihren (extremistischen), d.h. antidemokratischen und autoritären Gehalt angehe, mit rechten, faschistoiden Gruppen und Strömungen gleichzusetzen.
Bevor Everts Abgeordnete wurde, arbeitete sie für Walter, den sie von früher Jugend her kennt, als wissenschaftliche Assistentin in der SPD-Fraktion im Landtag.
Allen vier, die der Wahl von Ypsilanti eine explosiv platzierte Absage erteilten, ist eine grundsätzliche und weitgehende Aversion gegenüber einer kritischen Gesellschaftstheorie und Geschichtsauffassung zu eigen. Sie ist zudem durchdrungen von einem zum Teil wahnhaft- manischen Antikommunismus. Für solche Leute ist tendenziell alles LINKE nur eine verkleidete Variante des weiter bedrohlich operierenden Weltkommunismus. Was darüber hinaus die vier politischen Mineure und ihresgleichen eint, ist ein stark ausgeprägtes subjektives Aufstiegsbedürfnis, und Aufstieg ist für sie eben nur im neoliberalen Milieu möglich.
Diese geradezu manische Aversion, ja der Hass gegen die und das Linke in unterschiedlichen Stufungen und Ausprägungen, hat sich besonders in Deutschland im Laufe seiner Geschichte entwickelt und entfaltet. Die rechte Hegemonie der herrschenden Oberschicht von Kapital, Industrie und obrigkeitsstaatlicher Administration hat sich bislang erfolgreich durch die gelungene Abwehr jeder demokratischen Strömung erhalten. Die Minimierung der Ausbreitung rationaler Aufklärung beeinträchtigte dauerhaft die kritische Denkfähigkeit bis in weite Kreise der Bevölkerung hinein; auch wenn dies im krassen Gegensatz zur realen sozialen Klassenlage der Beherrschten stand.

Die hessische SPD

Die hessische SPD hat in der Gesamtpartei, eine mehrheitlich nach links tendierende Position inne. Sie hat dies periodisch, immer wieder augenfällig gemacht. Das reicht vom Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) über die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) bis zur Gestaltung der Hessischen Verfassung nach 1945 und zum „Reformentwurf eines konstruktiven Sozialismus”, verfasst unter der federführenden Mitwirkung des SPD-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Georg-August Zinn und noch lange Zeit darüber hinaus. Dazu kommt der orientierende Einfluss von linken Persönlichkeiten wie Willi Birkelbach, Phillip Pless, Wolfgang Abendroth, Heinz-Joachim Heydorn, Otto Brenner, Hans Matthöfer und manch anderen.
Zum Godesberger Programm brachten die südhessischen Parteitagsdelegierten einen sozialistisch orientierten Gegenentwurf ein, dem immerhin rund ein Drittel der damaligen Parteitagsdelegierten zustimmten.
Es ist nicht zu übersehen, dass der Schwenk hin zum Neoliberalismus auch in Hessen gravierende Folgen zeitigte und eine Neuorientierung der ideologischen Substanz programmatisch, organisatorisch und personell kräftig mitbestimmte. Aber die gegenwärtige ökonomische und finanzielle Systemkrise hat mindestens rudimentär in der hessischen SPD wieder einige kritische Einlagerungen geweckt. Das kommt, wenn auch verklausuliert, in dem programmatischen Text Soziale Moderne von Andrea Ypsilanti zum Vorschein. Eine nicht geringe Reihe von daraus resultierenden progressiven Positionen sind in den Koalitionsentwurf von SPD/Grüne eingegangen. Manches davon war auch kompatibel mit einer Reihe von Wahlforderungen der LINKEN. Dies war es in Wirklichkeit, was die heftigen, politisch und persönlich aggressiven Angriffe der Vertreter der herrschenden Politik und Meinungsmacher auslöste.

Vorausblick

Es wäre nun allerdings eine schlimme Sache, wenn dieser quasi linke Ansatz in der geteilten hessischen SPD wieder erstickt würde. Deshalb lautet meine Empfehlung: Keine Feindschaft und auch kein überhebliches Niedermachen, sondern strategisch klug angelegte Erkundung und evtl. daraus resultierende Offerten für eine weitere partielle Kooperation mit dem links tendierenden Flügel der SPD.
Die Blickrichtung nach vorn auf parallele, aber auch unterschiedliche Wegabschnitte kann beispielhaft in einen Bezug gesetzt werden mit dem, was in den leider gescheiterten SPD/Grüne-Koalitionsvertrag bereits eingegangen ist. Dessen programmatischer Inhalt wurde von unseren Parteigremien erkennbar und nachvollziehbar mitgestaltet. Deshalb muss im anstehenden Wahlkampf auch immer deutlich gemacht werden, durch wen und was das Projekt „Neue Politik in Hessen” gescheitert ist und was der hessischen Bevölkerung dadurch (vorerst) verloren gegangen ist.
Heiner Halberstadt war bis 1995 Mitglied der SPD Frankfurt am Main. Als der Unterbezirk ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn eröffnete, trat er aus der SPD aus. 1998 trat er in die PDS ein, war Mitarbeiter von Fred Gebhardt im Bundestag und Stadtverordneter in Frankfurt. Am 17.Mai dieses Jahres ist Halberstadt 80 geworden.


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