SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2008, Seite 05

"Wir sind über ihre Stöckchen nicht gesprungen"

Willi van Ooyen über die Aussichten der LINKEN nach dem Scheitern einer Regierung Ypsilanti

Das Zustandekommen einer von der Partei DIE LINKE tolerierten Landesregierung in Hessen ist zu Fall gekommen, nachdem vier Landtagsabgeordnete der SPD, die zum rechten Flügel gehören, einen Tag vor der Abstimmung im Landtag erklärt haben, sie würden Andrea Ypsilanti nicht zur Ministerpräsidentin wählen.Für DIE LINKE war der Beschluss, Ypsilanti zu wählen, um Koch abzulösen, mit etlichen Fallstricken versehen: Sie durfte nicht für das Scheitern des Vorhabens verantwortlich gemacht werden — das ist ihr gelungen, sie musste zugleich gegenüber einer rot-grünen Regierung Eigenständigkeit bewahren.

Die SoZ sprach mit WILLI van OOYEN, Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Hessischen Landtag.

Ihr habt ja schon Glück gehabt, dass es so gelaufen ist, wie es jetzt gelaufen ist?
Es war sicher problematisch, dass wir, weil wir den Widerspruch in der SPD gesehen haben, nicht ernsthaft glauben konnten, dass eine solche Regierung tragfähig sein würde. Man hat aber immer wieder den Versuch unternommen, uns dafür den schwarzen Peter zuzuschieben. Man baute immer höhere Hürden auf, da war die Stasi-Frage, die Demokratiefrage, wie stehen Sie zum Verfassungsschutz — um uns ja über irgendwelche Stöckchen springen zu lassen, die wir aber genüsslich ausgelassen haben. Das zwang die SPD dann, sich neu zu bewegen, auf die Grünen zu. Es war der resistente Flügel in der SPD, der es für eine bösartige politische Entgleisung hielt, wenn wir in irgendeiner Form politischen Einfluss gewinnen würden — schon gar angesichts der drohenden Finanz- und Wirtschaftskrise. Das war der Punkt, wo Koch und die SPD gemeinsam die Reißleine gezogen haben.

Meinst du damit, Andrea Ypsilanti ist in letzter Minute an der heraufziehenden Wirtschaftskrise gescheitert?
Das wäre eine Erklärung, aber man hätte es sicher schon vorher gerne bereinigt, sozusagen mit einer Schuldzuweisung an uns. Sicherlich gab es in den herrschenden Kreisen die Meinung, dass so eine linke und vielleicht labile Regierung nicht geben darf. Als nichts mehr anderes möglich war, um politisch begründen zu können, warum eine Landesregierung in Hessen nicht unter unserem Einfluss stehen darf, musste man dann diese vier Menschen an die Front schicken,.

Das heißt, es hat Einfluss von außerhalb der SPD gegeben?
Ja, das hat es mit Sicherheit. In Hessen war sicher die Flughafenfrage entscheidend. Das ging bis hinein in die Gewerkschaften, die als Antipoden aufgetreten sind gegen das von uns sehr klar benannte Nein zum Ausbau der Flughäfen Frankfurt und Kassel — die haben dann auch die Grünen zum großen Teil mitgetragen. Mit einer zeitlichen Verzögerung fand das auch Eingang in die Koalitionsvereinbarung. Hieran kann man klar erkennen, welchen Einfluss es gegeben hat. Sicher spielte auch die Finanzkrise eine Rolle, die wir jetzt zu spüren kriegen — wenn ich nur an die Automobilindustrie hier in Hessen denke, die auch bundesweit jetzt den Notstand ausgerufen hat.

Die Tatsache, dass das Vorhaben einer linkeren Regierung von rechts aufgekündigt wurde, müsste für euch doch positiv sein?
Ob es positiv ist, das weiß ich noch nicht zu sagen. Ich gehe davon aus, dass wir erst mal mit in den Sog geraten, weil uns eine gewisse Nähe zur Sozialdemokratie unterstellt wird. Wir werden kämpfen müssen, dass wir den Einfluss, den wir in Hessen aufgebaut haben, auch weiterhin halten können. Aber ich gehe davon aus, dass uns das gelingen wird.

Wo siehst du Anzeichen, dass euer Einfluss schwächer geworden sein könnte?
Viele in der LINKEN hatten Angst, dass es eine Sozialdemokratisierung der LINKEN geben wird. Das war die eine Seite. Andererseits galten wir auch als Hoffnungsträger, es wurden Erwartungen damit verbunden, dass so eine neue Formierung in der Bundesrepublik zustande kommt, und wir werden natürlich, ob wir wollen oder nicht, mitverantwortlich für das Scheitern gemacht.

Von welcher Seite?
Vor allem von Seiten derjenigen, die Hoffnungen in eine solche Regierung hatten. Es ist ja nicht nur die Behauptung einer linken Position massgeblich, sondern auch das Zutrauen, dass sich politisch was ändern kann — das war der Motor, der die Hoffnungen der Menschen hier in Hessen angetrieben hat.

Diese Hoffnungen haben sich an einigen wichtigen Punkten kristallisiert: die Flughäfen Frankfurt und Kassel, keine Privatisierung, die Frage eines Mindestlohns...
Der Mindestlohn spielte zwar eine große Rolle, das ging auch durch das Parlament, wenn auch nicht in der Höhe, in der wir ihn wollten (wir wollten die Initiative dann aber nicht abbrechen). Jedenfalls waren SPD und Grüne bereit, eine solche Bundesratsinitiative anzusteuern. Zudem wollten wir die Abschiebung von Afghanistanflüchtlingen verhindern, wir wollten die Rückkehr in den Tarifvertrag der Länder und die Abschaffung der Studiengebühren — das ist passiert. Das war ganz wesentlich, weil das die Leute direkt gespürt haben, ebenso die Abschaffung der Studiengebühren. Das waren so Marksteine, die die Hoffnung begründet haben, dass bei diesem Prozess für die Menschen konkret was herumkommt.

Mit der Finanzkrise wäre ja schon noch einmal eine Bugwelle auf euch zugerollt, bei der man nicht weiß, ob der Geist dieses Koalitionsvertrags gehalten hätte. Wie siehst du das?
Ja, der Koalitionsvertrag selber ist ein sehr labiles Gerüst, mit sehr vielen Absichtserklärungen. Wir haben immer gesagt, dass man ihn konkretisieren muss, bspw. in Form von Haushaltsberatungen, bei denen man dann deutlicher sieht, ob das in die richtige Richtung geht oder nicht, oder durch die Gesetzesvorhaben, die jetzt anstehen. Dann hätte man klarer gesehen, wohin die Reise gehen soll. Das war aus dem Koalitionsvertrag alleine so nicht erkennbar.

Wie war denn eure Marschrichtung in Bezug auf die Haushaltsverhandlungen? Hattet ihr euch da auf etwas festgelegt?
Wir hatten vier zentrale Punkte klar gestellt: Es darf keinen Sozialabbau und keine Privatisierungen geben, es darf im ökologischen Bereich kein weiteren Abbau im weitesten Sinne geben. Das waren unsere grundsätzlichen Positionen. Wenn es sich um erkennbare Verbesserungen für die Menschen in Hessen gehandelt hätte, dann hätten wir natürlich zugestimmt. Das betraf auch die Bildungspolitik: Längere gemeinsam lernen war z.B. so eine Position, die von den Grünen nur schwer angenommen wurde, von der SPD und uns jedoch deutlicher getragen wurde. Das sind so Punkte, an denen wir glaubten deutlich machen zu können, dass eine Linke im hessischen Parlament auch SPD und Grüne in solidarische Gesellschaftszusammenhänge einbinden kann.

Gewinnt ihr ein bisschen was aus dem Desaster der SPD oder nicht?
Ich gehe schon davon aus, das wir unser Ergebnis von 5,1% steigern können. Aber dazu muss es jetzt Anstrengungen geben, dazu muss sich die Partei bewegen, dazu müssen sich Menschen bewegen, dazu müssen die sozialpolitischen Forderungen eine größere Rolle spielen, und wir brauchen natürlich auch den außerparlamentarischen Kampf. In diesem Zusammenhang ist es sehr gut, dass die Schüler in den letzten Tagen massiv eine andere Bildungspolitik auf die Straße gegangen sind. Wir hätten uns gewünscht, dass die Umverteilungsfrage bei der IG Metall mit den 8% realer angegangen wird als mit den 4,2%, die dann dabei herausgekommen sind. Das sind alles Dinge, die wir jetzt weiter stabilisieren müssen. Denn ohne dass die Menschen ihre resignative Stimmung, dass alles schlechter wird und dass man nichts machen kann, überwinden, werden wir uns nicht großartig weiterentwickeln können.

Da scheint mir der Hase im Pfeffer zu liegen. Wie wird die LINKE sichtbar, wenn sie mal nicht in parlamentarische Spielchen verwickelt ist?
Na gut, wir werden jetzt natürlich auch mit Aktionen in der Finanzkrise aktiv sein. Wir werden andererseits unsere zuverlässigen politischen Positionen noch einmal deutlich machen. Wir sind zuverlässig sozial, und treten zuverlässig für die Armen und die Geschundenen dieser Gesellschaft ein. Das werden Erkennungszeichen sein, die wir auch außerhalb des Parlaments und auf verschiedenen Ebenen vertreten. Auf der lokalen und der kommunalen Ebene müssen wir genauso aktiv sein wie auf der Landesebene, um deutlich zu machen, dass wir uns für die einsetzen, die am meisten unter den Krisenerscheinungen leiden werden.

Habt ihr dafür schon ein Konzept?
Wir haben mehrere Ideen entwickelt. Im Grunde genommen geht es darum, wie man auf der einen Seite diejenigen, die Weihnachten kaum Möglichkeiten haben zu feiern, mit einer zusätzlichen Subvention oder Alimentation unterstützen kann — bspw. indem man jedem Hartz-IV-Empfänger 50 Euro gibt, damit auch sie ein Weihnachtsfest feiern können; das ist die eine Seite. Und wie man auf der anderen Seite politisch gegen die soziale Spaltung vorgeht. Wir werden eine Kampagne machen, dass es jetzt Millionärsabgaben geben muss. Damit wollen wir deutlich machen, dass das Geld ja nicht alles vergraben oder verbrannt ist, sondern dass es Leute gibt, die an der Zockerei subjektiv verdient haben. Die müssen zur Kasse gebeten werden.


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