SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2008, Seite 10

Modell Deutschland 2.0

Ordoliberalismus als Kapitalismusmodell

von ANGELA KLEIN

Mit erhobenem Zeigefinger reiste Angela Merkel nach Washington — und war dort ganz still.
Mit den Finanzkrisen der Welt ist es wie mit den Wäldern Kaliforniens: regelmäßig brennen sie, richten enorme Verheerungen an, man kennt auch die Brandstifter, aber es reicht immer nur zur Feuerwehr. Die Hedgefonds und Investmentbanken haben die Finanzwelt in Brand gesteckt. Die G20 haben sich versammelt und beim Dinner ein sorgenvolles Gesicht gemacht.
Angela Merkel verbreitete zu Hause viel Theaterdonner: Sie hat wieder Ludwig Erhard und den staatlichen Ordnungsrahmen bemüht. Sie hat den Fehler in den USA ausgemacht: unzureichende Regeln für die Finanzmärkte, falsche Zinspolitik... Und gemahnt: Das darf sich nicht wiederholen. „Kein Land, kein Produkt, kein Spekulant darf in Zukunft unbeaufsichtigt bleiben.” Sie kann sich rühmen, dass Formulierungen wie diese Eingang in die Abschlusserklärung gefunden haben. Aufsicht ist ein dehnbarer Begriff; ob und was auf dem Folgetreffen im April kommenden Jahres wirklich vereinbart werden wird, ist noch offen. In andern Punkten wie den Eigenkapitalvorschriften biss sie auf Granit.

Der Katalog

Da das Kind am Hudson River in den Brunnen gefallen ist, hat Angela Merkel die Latte hoch gehängt:

— Mehr Finanzaufsicht: Der IWF soll zu einer Art internationaler Finanzaufsicht ausgebaut werden; er soll Sanktionen verhängen dürfen wie die WTO (die hat ein eigenes Schiedsgericht dafür). Vor allem für die ärmeren Länder eine schreckliche Perspektive. Der IWF ist kein supranationales Organ, sondern war immer vorwiegend ein Instrument US-amerikanischer Politik. Vielleicht bekommt er Konkurrenz in Form der „Bank des Südens”
Der Ruf nach mehr staatlicher Aufsicht ist zwar zu begrüßen, er verkündet aber nur die halbe Wahrheit. Es ist ja nicht so, als gebe es in den USA keine Bankenaufsicht: es gibt deren sogar vier auf Bundesebene, hinzukommen noch die Aufsichtsbehörden der einzelnen Bundesstaaten. Das hat aber nichts geholfen, weil sie nach und nach an der Spitze mit Befürwortern der Deregulierung besetzt wurden. In Deutschland ist dasselbe passiert: Es war Jörg Asmussen, der verhindert hat, dass die Finanzaufsicht sich auch auf die Geschäfte außerhalb der Bilanzen erstreckt: „Den Instituten [dürften] keine unnötigen Prüf- und Dokumentationspflichten entstehen”, damit die deutsche Finanzwirtschaft auf dem globalen Markt gute Chancen hat. Asmussen ist Staatssekretär von Steinbrück und saß im Verwaltungsrat der BaFin. Steinbrück hat sein Vorgehen gedeckt. Wer mistet den Stall der BaFin aus?
Informationen an sich sind nichts wert, wenn man mit ihnen nichts macht. Was machte Angela Merkel damit, dass sie wusste, in Deutschland hat es diese Geschäfte ebenso gegeben? Ja, hätten man denn „einfach zusehen sollen, wie eine große Bank nach der anderen abwandert"? Deutschland musste doch als starker Finanzplatz erhalten bleiben! Eben.

— Schattenbanken: Riskante Produkte sollen — teilweise! — in der eigenen Bilanz gehalten werden. Und die Steueroasen sollen geschlossen werden — wenigstens in Europa. An dem Punkt scheint man tatsächlich ernst machen zu wollen. Peer Steinbrück ist hinter Liechtenstein her; die USA haben erstmals die Schweizerische UBS, die größte Vermögensverwalterin der Welt, dazu verdonnert, amerikanische Steuersünder zu melden. Das ist ein mittleres Erdbeben; wenn man die Milliardenverluste der UBS in dieser Krise hinzunimmt, ist das ein erstes dickes Fragezeichen über dem Finanzplatz Schweiz.
Allerdings: All die Derivate und anderen „kreativen” Finanzinstrumente werden nicht verboten; Spekulation ist weiterhin legal und legitim — nur verspekulieren darf man sich nicht, das ist unfein. Merkel will diese „Produkte” künftig von einer Agentur prüfen lassen — eine Art Finanz-TÜV. Das fordern allen Ernstes auch Linke, wie man überhaupt feststellen muss, dass diese in vielerlei Hinsicht kaum über das hinausgeht, was die herrschenden Klassen schon angekurbelt haben.

— Ratingagenturen: Dieser Vorschlag ist wieder heiße Luft: eine schärfere Aufsicht der Ratingagenturen. Besser wäre, man würde sie schließen. Ratingagenturen sind private und ausschließlich gewinnorientierte Unternehmen. Sie sind abhängig von ihren Auftraggebern und vergeben deshalb Bewertungen, die bestimmte Marktteilnehmer interessieren. Der Wechsel von der Bank zur Agentur, ins Ministerium und wieder zurück ist fliegend. In den USA nennt sich dieser monopolartige Komplex Treasury- Wall-Street-Komplex (Treasury ist das Finanzministerium). Eine ordentliche öffentliche Kontrolle macht Ratingagenturen überflüssig.

— Höheres Eigenkapital: Die USA sollen gefälligst Basel II beitreten. In der Washingtoner Erklärung steht davon nichts. Basel II ist ein internationales Abkommen, das von den Banken eine höhere Eigenkapitalquote fordert, nämlich 8%. Das ist ein Rekordtief. In der Mitte des 19.Jahrhunderts lag die Eigenkapitalquote amerikanischer Banken im Durchschnitt bei 50%; bis Ende der 20er Jahre fiel sie auf 12%. Basel II war Voraussetzung für die Einführung des Euro; die USA sind dem Abkommen nie beigetreten.
Die sinkende Eigenkapitalquote hat damit zu tun, dass es heute Einlagenversicherungen und Finanzkontrollen gibt, die es früher nicht gab. Das bedeutet aber auch: Wenn denen ein Risiko entgeht — und es sind ihnen viele entgangen — haftet die Bank nur noch ein bisschen, am meisten aber der Steuerzahler. Wenn die Bank groß genug ist, ist der Staat erpressbar. Die Einlagenversicherung hat dazu geführt, dass die Banken größere Risiken eingehen.
Man könnte sagen: Die Banken sollen ausschließlich selber für ihre Risiken gradestehen. Im Pleitefall aber gilt die Regel: Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. So kann man verfahren, wenn die Einleger vorwiegend vermögende Leute sind. Bei allen Banken aber, die das sog. Massengeschäft betreiben, müssen die Kundeneinlagen sicher sein. So viel Sicherheit gibt es nur bei einer umfassenden öffentlichen Kontrolle, die diesen Namen verdient. Nicht eine wie die BaFin, die nicht mal unabhängig ist, weil sie dem Finanzminister untersteht. Eine wirksame öffentliche Kontrolle der Banken muss mindestens arbeiten wie der Bundesrechnungshof: „unabhängig, selbstständig und weisungsfrei”, sie muss dem Parlament Bericht erstatten, zu allen Unterlagen der Banken freien Zutritt haben, und sie darf nicht zur Geheimhaltung verpflichtet sein.

Das darf sich nicht wiederholen? Solange das Kreditwesen nicht in öffentlicher Hand, unter öffentlicher Kontrolle und gesetzlich dem Gemeinwesen verpflichtet ist, wird es sich wiederholen. Die geforderte höhere Transparenz bedeutet ja bisher nur, dass Politiker mehr wissen wollen von dem, was Banker so treiben. Nicht, dass sie ihnen das verbieten.


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