SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2008, Seite 11

Riester im Strudel der Finanzkrise

Die kapitalgedeckte Altersvorsorge schaufelt sich ihr eigenes Grab

von DANIEL KREUTZ

Auch Riesterrente, Rüruprente, Lebensversicherungen, Betriebsrenten fallen der Finanzkrise zum Opfer — u.a. deshalb, weil die Pensionsfonds zu den größten Spekulanten am Finanzmarkt gehören.
Für die gesetzliche Rentenversicherung gibt es keine unmittelbare Gefährdung durch die Finanzmarktkrise, wohl aber für die private Altersvorsorge einschließlich der staatlich geförderten Riester- und Rürup-Produkte.
So lautet die aktuelle Botschaft der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Wirtschaftswoche — das sind Medien, die mit ihrer publizistischen Tätigkeit keinen geringen Anteil an der Schleifung sozialstaatlicher Regulierungen im Allgemeinen und der gesetzlichen Altersversorgung im Besonderen hatten. Wo sie früher für die private Altersvorsorge getrommelt haben, mit Renditeverheißungen, die die gesetzliche Rentenversicherung alt aussehen ließen, herrscht plötzlich Ernüchterung.
Bei Riester- Fondssparplänen, die mit besonders hohen Zinserwartungen lockten, sind nur die eingezahlten Beträge sicher, bei Rürup-Fonds (für Selbstständige) nicht mal die. Bei 30 Jahren Laufzeit und einer durchschnittlichen Teuerungsrate von 3% wird die Kaufkraft dieses Grundstocks um 61% entwertet. Die Verzinsung hängt vollständig von den Launen des Finanzmarkts ab.
Lebensversicherungen, Riester- /Rürup-Rentenversicherungen und Betriebsrenten als Direktversicherung (Entgeltumwandlung) sichern einen Garantiezins. Der liegt schon deutlich unterhalb der Inflationsrate und wird nur für 70—75 % der eingezahlten Prämien (nach Abzug der „Kosten") gewährt. Nicht nur der Garantiezins allein, auf den sich die Verzinsung bei einigen Anbietern bereits reduzierte, ist unter Berücksichtigung der Inflation „in jedem Fall ein Verlustgeschäft” für die Versicherten, sondern auch die derzeitige Durchschnittsverzinsung von 5,4%. Doch auch die ist nur durch den Griff in die Rücklagen der Versicherer möglich, weil die Nettoverzinsung ihrer Anlagen schon seit 2001 unterhalb der ausgeschütteten Beitragsverzinsung liegt. Mit den Rücklagen sinkt die Widerstandsfähigkeit in der nächsten Krise.
Betriebsrenten in Form der Direktzusage (einer bestimmten Renten- oder Beitragshöhe) auf Basis betrieblicher Rückstellungen sind ebenfalls krisenanfällig — vor allem dann, wenn sie in Pensionsfonds ausgelagert sind. Die Verzinsung der Pensionspläne der DAX- und MDAX- Unternehmen ist massiv eingebrochen; der Metall-Pensionsfonds (u.a. Opel, Miele, EADS) rutschte schon 2007 ins Minus.
Die aktuelle Finanzkrise ist bereits der zweite heftige Schlag in nur sechs Jahren für die Lebensversicherer und Pensionskassen in Deutschland, die 1,1 Billionen Euro verwalten. Schon das Platzen der Technologieblase 2002 brachte mit Gerling und der Mannheimer zwei Versicherungskonzerne in Schieflage; 2004 wurden bei Gerling und der Commerzbank die Betriebsrenten gekürzt. Die Lebensversicherer, die knapp ein Drittel der Versichertengelder in Bankschuldverschreibungen gesteckt haben, hängen „voll im Risiko” bei möglichen Bankpleiten.
Weil die Prämieneinnahmen bislang die Ausschüttungen für fällige Policen erheblich übersteigen, steht die Liquidität der Versicherer — anders als die der Banken — noch nicht in Frage. Allein der Markführer AllianzLeben kann insgesamt 100 Millionen Euro täglich neu anlegen. Das aber wird sich ändern, wenn künftig die Leistungen derjenigen fällig werden, die den Privatvorsorgeboom von heute speisen.
Zwar sind die Garantieleistungen über Sicherungssysteme der Wirtschaft — Protektor bei den Lebensversicherern und der Pensionssicherungsverein bei Betriebsrenten — abgesichert. Ob diese aber einer Krisenspirale standhalten, die aus den Rückkopplungseffekten von Finanzdesaster und Rezession oder aus dem gleichzeitigen Absturz mehrerer Großbanken entstehen könnte, ist fraglich. In den USA haben öffentliche und private Pensionsfonds in den vergangenen 15 Monaten 2 Billionen Dollar verloren. Der Rechnungshofpräsident des US-Kongresses befürchtet, dass die Versicherten deshalb länger arbeiten müssen. Ein Abgeordneter des Repräsentantenhauses erklärt: „Es ist ganz klar, dass das amerikanische Rentensystem der Finanzkrise zum Opfer fallen kann.” Und der neoliberale EU-Sozialkommissar Spidla warnt davor, die Folgen der Finanzkrise auf die Altersvorsorge zu unterschätzen.
Nicht zuletzt sei daran erinnert: Es sind vor allem die renditehungrigen Billionen der privaten Pensionsfonds, die — gestern in den USA und heute in Europa — die Finanzmärkte fluteten und dort hochspekulative Anlageformen durchsetzten. Das System der kapitalgedeckten Privatvorsorge schaufelt sich so sein eigenes Grab.
Die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung funktioniert dagegen grundsätzlich ohne Finanzmarkt. Sie stützt sich als Solidarsystem auf die reale Arbeit und Wertschöpfung der Beschäftigten. So könnte noch heute gelten: „Die Rente ist sicher.” Wenn man die GRV nicht demontiert hätte, um die Unternehmer zu entlasten und die Finanzmärkte zu speisen, wenn man sie nicht zusammen mit Löhnen und Beschäftigung von der Wirtschaftsentwicklung abgehängt hätte, um die Akkumulation privaten Kapitals und Reichtums zu beflügeln. Die Krise unterstreicht die zwingende Notwendigkeit einer Umkehr zur solidarischen, hälftig vom Arbeitgeber finanzierten gesetzlichen Rentenversicherung, die den Lebensstandard im Alter sichert.


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