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Das Massenprodukt Auto hat große Probleme. Der Markt ist übersättigt, die
Einkommen schrumpfen, und das Produkt ist ein Klimakiller ersten Ranges. In der Autoindustrie
stehen weltweit Kurzarbeit und Massenentlassungen an. Die Automobilarbeiter kommen um eine
Diskussion über die Zukunft des Autos nicht mehr herum.
Lars Henriksson arbeitet bei Volvo in Göteborg. Er ist
zugleich, was sehr selten ist, aktiv in der Bewegung zur Rettung des Klimas.
Die Krise hat die
Automobilindustrie schwer getroffen; im Juni kündigte Volvo Auto, das seit 1999 zu Ford
gehört, 1200 Entlassungen in Schweden an, 600 davon sind Arbeiter aus dem Werk Torslanda
in Göteborg. Im September erklärte die Geschäftsleitung, es müssten
mindestens noch 900 zusätzlich entlassen werden. Auch in der Lkw-Produktion von Volvo
wurde Stellenabbau angekündigt.
Lars Henriksson hat daraufhin
eine ungewöhnliche Initiative ergriffen: Er will Klimaaktivisten und Automobilarbeiter an
einen Tisch bringen. Seine Idee: Die Jobs könnten gerettet werden, wenn statt
umweltzerstörender Autos, die sich nicht einmal verkaufen lassen, andere,
umweltverträgliche Produkte hergestellt würden. Lars Henriksson hat diese Idee auch
unter seinen eigenen Kollegen propagiert.
In einem Beitrag für die Betriebszeitung Kvasten (Der Besen) schreibt er:
"Die zusätzlichen
Entlassungen, mit denen die Geschäftsleitung kürzlich rausrückte, 900 mehr als
bisher angekündigt, haben die Stimmung im Betrieb noch weiter gedrückt. Weniges ist
so niederdrückend wie wenn man in einer schwierigen Situation nicht in der Lage ist was
zu tun. Die Frage ist: Können wir mehr tun als nur das Beste hoffen?
Grundsätzlich haben wir
zwei Möglichkeiten: Wir können nichts tun und die Geschäftsleitung weiter
machen lassen wie bisher. Wir können die Arme verschränken in der Hoffnung, dass der
Sturm vorübergeht und wir heil herauskommen. Wenn wir überlegen, wie die Bosse das
Unternehmen bisher geführt haben, und wie es aussieht in der Welt mit dem Bankenkrach,
der Klimaerwärmung und dem allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang, ist das
wahrscheinlich keine gute Idee. Niemand von uns wird unbeschadet davon kommen — weder
die, die entlassen werden, noch die, die meinen, diesmal sind sie noch davon gekommen. Was
können wir dann tun? Die Probleme sind enorm und die Antworten liegen alles andere als
auf der Hand, aber aufgeben wäre die schlechteste Antwort. Wir sollten zumindest
anfangen, gemeinsam über unsere Zukunft zu reden.
Eine vernünftige
Maßnahme wäre, die Arbeitswoche zu verkürzen ohne den Lohn zu kürzen. Es
ist verrückt, dass einige länger und härter arbeiten sollen, während
andere zur Muße verdammt werden. Statt den Leuten Arbeitslosengeld zu bezahlen, damit sie
nicht arbeiten, könnte man das Geld dafür verwenden, dass alle von uns weiter
arbeiten, aber weniger Stunden. (Die hohen Gehälter der Manager könnten dafür
leicht ein wenig reduziert werden, ohne dass sie deswegen gleich ins Pfandhaus müssen...)
Das kriegen wir nicht in einer
Kaffeepause geregelt und erfordert wahrscheinlich politische Entscheidungen; aber irgendwo
müssen wir ja anfangen. Der große Vorteil ist, dass eine solche Entscheidung, ist
sie einmal gefällt, leicht umzusetzen ist. Keine umfängliche Konversion ist
nötig und hätte sicher sogar noch positive Effekte, weil es weniger Krankheitstage
gäbe. Die Forderung ist auch nicht so abwegig. Die schwedischen Gewerkschaften sind mal
mit der Forderung nach einer kürzeren Arbeitswoche groß geworden, und viele
Gewerkschaften in Europa haben später dafür gekämpft — und gewonnen.
Eine größere Frage ist, ob es langfristig möglich sein wird, auf die
Herstellung von Autos noch eine Lebensperspektive aufzubauen. Mit immer weniger Öl und
immer größeren Klimaproblemen wird es in nicht allzu weit entfernter Zukunft nicht
länger tragbar sein, Autos zu bauen, gleichgültig wie gut, billig oder
umweltfreundlich sie sein werden. Das ist keine Frage, auf die sich eine schnelle
und leichte Antwort geben lässt. Aber wenn wir nur rumsitzen und darauf hoffen, dass sich
irgendjemand darum kümmert, sind die Chancen groß, dass wir bald alle ohne Arbeit
dastehen. Die Produktion zu ändern, mag uns allen unmöglich erscheinen, weil wir auf
der niedrigsten Ebene des Unternehmens arbeiten. Aber die Wahrheit ist eher, dass wir die
einzigen sind, die das tun können.
Von den Managern können
wir keine Hilfe erwarten. Deren Loyalität zum Unternehmen oder dem Werk reicht nicht
weiter als das nächste besser bezahlte Jobangebot.
Was uns ein bisschen Hoffnung
machen kann, ist dass wir eine Organisation haben, unsere Gewerkschaft. (Selbst wenn viele von
uns sich fragen, wo sie in diesen Tagen bleibt...) Unter anderem für so große Fragen
haben wir unsere Gewerkschaft. Und da wir jetzt vor einer ernsten Gefährdung unserer
Zukunft stehen, ist es die Pflicht der Gewerkschaft zu handeln. Nicht so, dass sie die
Regierung um mehr Unterstützung für eine Produktion bittet, die sich überlebt
hat. Die IF Metall, die schwedische Organisation der Automobilarbeiter, sollte stattdessen in
Diskussion mit Verkehrsexperten und anderen treten, die besser Vorschläge für eine
künftige Produktion haben, als Luxusautos für die Reichen und Mächtigen der
Welt zu bauen.
Aber auch hier können wir
nicht darauf zählen, dass jemand unsere Arbeit tut. Die Diskussion muss von uns
geführt werden, von den Mitgliedern. Wenn sie bei den Funktionsträgern und
Hauptamtlichen stecken bleibt, wird sich nicht viel bewegen.
Sicher haben wir
Werktätigen noch viele andere Anregungen. Damit sie ins Gewicht fallen, muss die
Gewerkschaft anfangen, wie eine Gewerkschaft zu handeln. Informieren über das, was
passiert, aber vor allem zuhören und eine Diskussion in Gang bringen, was wir tun sollen.
Fordern, dass wir eine Extrastunde Mittagspause kriegen und Treffen in der Kantine
organisieren. (Das dürfte nicht zu schwer sein, jetzt wo das Werk mehrere Tage
stillsteht.) Wenn die Volvo-Gewerkschaftsgruppe das nicht tun will, können es
Unterabteilungen von ihr tun. Wenn auch sie dagegen sind, können wir Versammlungen in den
Pausen in verschiedenen Abteilungen organisieren und verlangen, dass unsere Vertreter zu uns
kommen."
Soweit die Betriebszeitung. Am
5.November moderierte Lars Henriksson eine Veranstaltung mit Umweltaktivisten und
Verkehrsexperten in Göteborg zum Thema „Rettet die Jobs — rettet den
Planeten” Im Flugblatt dazu schreibt er: „Jetzt haben wir die große Chance,
die Produktion zu konvertieren, in Produkte, die für die Gesellschaft nützlich und
dauerhaft umweltverträglich sind. Und Arbeitsplätze schaffen! Es ist nicht
länger möglich zu sagen: Wir bauen mehr Autos."
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