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Das Schiff, das am 29.Oktober im Hafen von Gaza eintraf, hatte eine besondere Fracht geladen: 6 Kubikmeter Medikamente und
26 Passagiere, darunter Ärzte wie der palästinensische Parlamentarier Mustafa Barghouti und Menschenrechtsaktivisten wie
die Friedensnobelpreisträgerin Mairead Maguire. Mit der Crew waren es 60 Personen aus 15 Ländern. Es war das dritte Schiff
dieser Art — eine Initiative des Free Gaza Movement.
Anfang August dieses Jahres stachen zwei Schiffe mit Aktivisten des Free Gaza Movement von
Zypern in See. Sie waren unterwegs nach Gaza, um die von Israel und der „Internationalen Gemeinschaft” über die
Bevölkerung des Küstenstreifens verhängte Blockade zu durchbrechen. Zwei Jahre Vorbereitungen und eine im
vergangenen Jahr abgeblasene Aktion dieser Art lagen da schon hinter ihnen. Nur wenige Monate später gelang es ihnen, das dritte
Schiff nach Gaza zu steuern — mithin etwas, was alle arabischen Potentaten, die Vereinten Nationen, die EU und wer auch immer
über Macht und Ressourcen gebietet und gerne von der „Sache der Palästinenser”, von Völker- und
Menschenrechten redet, in den 40 Jahren, in denen die militärische Supermacht Israel die Küste von Gaza kontrolliert, nicht
einmal versucht haben.
Weitaus mehr Jahre brauchte die palästinensisch-israelisch-
internationale Bewegung, die sich Free Gaza Movement nennt, für die Vorbereitung, die Vernetzung und den gemeinsamen
Lernprozess im konsequenten Widerstand gegen das israelische Besatzungsregime. Als 2002 die palästinensischen Siedlungen der
Westbank von der israelischen Armee überfallen und wieder besetzt wurden, vereinbarten die beim Weltsozialforum in Porto Alegre
versammelten Bewegungen, sich möglichst zahlreich an die Seite der Palästinenser zu stellen, um ihnen das Überleben,
das Ausharren und den gewaltfreien Widerstand zu ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt etwa begann der gemeinsame Lernprozess
und eine kontinuierliche Präsenz israelischer und internationaler Aktivisten in der Westbank und, solange dies noch möglich
war, auch in Gaza.
Damals, im März/April 2002, waren es rund 500 internationale
Aktivisten — viele von ihnen aus lateinamerikanischen Landlosenbewegungen und europäischen Bauernbewegungen, die
der Organisation Via Campesina angehören, einer von ihnen José Bové. Prominente spielen in dieser Bewegung eine
untergeordnete, dienende Rolle: Sie halten freiwillig her als Mittel zur Erzeugung von Medienaufmerksamkeit, die wiederum im
wesentlichen eine Schutzfunktion hat.
Überhaupt ist der Umgang mit den Mächtigen,
einschließlich der Medien, ein wohlüberlegter, illusions- und fast auch emotionsloser. Weder klagt man die Regierungen oder
andere Machtinstanzen an, noch appelliert man an sie, noch rennt man — unüberlegt heroisch — gegen sie an. In einer
Presseerklärung, die das Free Gaza Movement herausgab, ehe das dritte Schiff in See stach, wurden die israelischen Minister
Aharon Abramovitz (Außen) und Ehud Barak (Verteidigung) eingeladen, mitzusegeln, um sich selber ein Bild von den verheerenden
Auswirkungen des Belagerungszustands auf das Leben in Gaza zu machen. Die Einladung war allerdings mit einer Auflage verbunden:
„Lassen Sie aber bitte Ihre Waffen zu Hause. Wir sind gewaltfrei."
Um sich mit einem kleinen Boot und wenigen Zivilisten aus
Palästina, Israel und verschiedenen anderen Ländern gegen die Militärmacht durchzusetzen und die Belagerung durch
die israelische Marine zu durchbrechen, kommunizierte die Bewegung öffentlich mit der israelischen Regierung in einer Weise, die
es dieser schwermachte, die Schiffe nicht durchzulassen. Zugleich beharrte das Free Gaza Movement darauf, keinen Kompromiss
einzugehen, wenn es darum ging, das Recht der Bewohner Gazas in Anspruch zu nehmen, jederzeit und auch auf dem Seeweg Besucher
zu empfangen — anders als alle palästinensischen Machteliten (und ihre israelischen und internationalen Gönner), die
jederzeit bereit waren und sind, Rechte zur Disposition zu stellen.
So heißt es in der zitierten Presseerklärung: Wir haben
„Israel, die Besatzungsmacht im Gazastreifen, davon in Kenntnis gesetzt, dass wir beabsichtigen, am 29.Oktober in den Hafen von
Gaza einzulaufen. Wir erwarten keine Behinderung durch die israelische Regierung. Obwohl unsere Bekanntgabe die Tatsache der
israelischen Kontrolle über Gaza einräumt, gestehen wir Israel nicht das Recht zu, uns an der Einreise zu hindern”
Zuvor hatten die zypriotischen Hafenbehörden Passagiere und
Ladung des Schiffes ordnungsgemäß geprüft; auch dies war den israelischen Behörden bekanntgegeben worden.
Dennoch setzen diese die Aktivisten vor der Abreise unter Druck, die Marine ließ sie durch die israelische Presse wissen, dass sie
das Einlaufen des Schiffes mit Gewalt unterbinden werde, falls es in israelisches Gewässer geraten sollte — was von den
Aktivisten ausdrücklich nie beabsichtigt war.
Am Tag darauf konnte eine der Aktivistinnen, Huweida Araf, in Gaza
angekommen, feststellen: „Einmal mehr ist es uns gelungen, uns gegenüber einer ungerechten und illegalen Politik zu
behaupten, während der Rest der Welt zu eingeschüchtert ist, etwas zu tun.” Huweida Araf, Palästinenserin und
US-Bürgerin und mit einem israelisch-amerikanischen Aktivisten verheiratet, war übrigens auch im Frühjahr 2002 dabei,
als die Abgesandten des Weltsozialforums sich in der Westbank einfanden und als Zeugen und Schutz für die bedrohte
palästinensische Bevölkerung fungierten.
Damals ging von den Dörfern der Westbank, wie jetzt wieder von
Gaza eine starke Botschaft an die palästinensische Bevölkerung und an die arabischen Völker aus. Al Jazeera und
andere Medien strahlten weltweit Berichte über die Aktivistenboote und über den gewaltfreien Widerstand in den Westbank-
Dörfern Bilin und Nilin aus. Für Millionen Menschen in der arabischen Welt liegen die Schlussfolgerungen auf
der Hand: Wir haben weltweit (auch in Israel) Verbündete, und es ist dieser gemeinsame Widerstand von unten, der legitim ist und
funktioniert — anders als die Heuchelei unserer Regime.
Israel hat Gaza vollständig von der Außenwelt abgeriegelt.
Kaum noch ein Zeuge wird hereingelassen und kann von innen berichten. Mohamed Omar, der diesjährige Preisträger des
Martha Gelhorn Prize für Journalismus, versucht, täglich aus der Kriegszone zu berichten. Als ihm der Preis in London
verliehen werden sollte, war seine Ausreise nur mit aufwendigster diplomatischer Hilfe möglich. Bei seiner Rückkehr wurde er
vom israelischen Geheimdienst unter schweren Misshandlungen und Demütigungen verhört.
Israel ist der Akteur, doch die EU und die USA sind die
Mitverantwortlichen.
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