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"Das soll noch nicht aufhören!” So brachte am Ende einer Sondervorstellung ein Erstklässler die
Gefühle auch vieler erwachsener Besucherinnen und Besucher zum Ausdruck. Das 10.afrikanische Filmfestivals Jenseits von
Europa fand vom 16. bis zum 26.Oktober 2008 in Köln statt.
Angefangen hatte alles 1992, als die Gruppe FilmInitiativ — das
„e” am Ende wurde bewusst weggelassen, man wollte initiativ sein im Sinne von „die Initiative ergreifen”
— zum ersten Mal in Köln eine Reihe mit afrikanischen Filmen veranstaltete. Anlässlich des traurigen Jubiläums
„500 Jahre Entdeckung Amerikas”, das für die Ureinwohner bis heute Eroberung, Unterdrückung
und Ausplünderung bedeutet, fiel den Mitgliedern von FilmInitiativ auf, dass diese Geschichte eigentlich in Afrika angefangen hat.
Schon hundert Jahre bevor Kolumbus nach Asien aufbrach und auf Amerika stieß, hatten portugiesische Seefahrer damit
angefangen, die afrikanische Westküste heimzusuchen. Das war der Beginn des Handels mit afrikanischen Sklavinnen und Sklaven,
die bis zur Mitte des 19.Jahrhunderts zu Millionen vor allem auf den amerikanischen Kontinent verschleppt wurden. Viele von ihnen
überlebten die Fahrt über den Atlantik nicht.
So entschloss sich FilmInitiativ, den Kontinent Afrika durch das Medium
Film nahe zu bringen. Dabei wurde immer nach dem Prinzip gehandelt, Filme aus Afrika zu zeigen. Afrikanische Filme sollten gezeigt
werden, nicht europäische Filme über Afrika. Das machte man zunächst jährlich und dann, im Wechsel mit dem
panafrikanischen Filmfestival Fespaco, alle zwei Jahre.
An zehn Tagen wurden 44 Filme gezeigt, 12 Filmemacher kamen nach
Köln, es gab Konzerte, Schulvorstellungen und zum ersten Mal die Aufführung eines afrikanischen Films im Kölner Knast
Ossendorf.
Mit etwa 4500 Besucherinnen und Besuchern wurden alle bisherigen
Zahlen übertroffen. Allein zur Eröffnungsveranstaltung kamen mehr Menschen als zum gesamten ersten Festival 1992. Neben
neuen Filmen gab es eine Retrospektive mit Filmen der Festivals 1992 bis 2006.
Als Preview wurde am 7.Oktober im „Off Broadway” der
Film www — what a wonderful world aus Marokko gezeigt. Der junge Filmemacher Bensaïdi beschreibt das Eindringen moderner
Technik, in diesem Fall das Internet, in eine von Traditionen geprägte Welt.
Als zweite Veranstaltung im Vorfeld lief am 14.Oktober im Kino
„Filmpalette” das Radiofeature „Die Griots auf der Leinwand — Zum Verhältnis von mündlicher
Überlieferung, Literatur und Film in Afrika” von Karl Rössel, Mitglied von FilmInitiativ. Darin geht es u.a. um die
veränderte Rolle der Griots, der Geschichtenerzähler, im modernen Afrika.
Nach dem Vorgeplänkel wurde das Festival am 16.Oktober im
Kinosaal des Museum Ludwig eröffnet. Die Gäste im überfüllten Saal, die zum Teil Stehplätze in Kauf
nahmen, wurden in verschiedenen afrikanischen Sprachen begrüßt. Als Überraschungsfilm gab es einen echten
Klassiker: Borom Sarrett, den ersten Kurzspielfilm von Ousmane Sembène aus dem Jahr 1962. Danach einen kurzen
Dokumentarfilm über mobiles Kino, wie es teilweise per Dromedar, in Mauretanien gemacht wird, und Impressionen des
Kölner Filmemachers Christian Hennecke über das Fespaco.
Der eigentliche Eröffnungsfilm war War Child, eine bewegende Dokumentation über den Weg des Sudanesen Emmanuel
Jal vom Kindersoldaten zum bekannten Rap-Musiker. Emmanuel Jal war anwesend und stand für die dem Film folgende Diskussion
zur Verfügung. Am nächsten Tag gaben er und seine Band ein Konzert im Kölner Stadtgarten. Sowohl im Film als auch
in der Musik spielt führt Jal ein Plädoyer gegen den Missbrauch von Kindern als Soldaten, gegen Waffenhandel und gegen die
Ausplünderung Afrikas durch Rohstoffkonzerne.
Auffällig war die große Diskussionsbereitschaft, vor allem
wenn Gäste anwesend waren. Der Film Fidel, der Che und die afrikanische Odyssee der ägyptischen Regisseurin Jihan El-
Tahri dokumentierte das solidarische Engagement Kubas für die afrikanischen Befreiungsbewegungen gegen Kolonialismus und
Apartheid. Die junge Berliner Filmemacherin Leona Goldstein präsentierte im überfüllten Domforum ihre Filme Le Heim
und Au clair de la lune.... Der erste zeigt ungeschminkt die triste Realität in deutschen Flüchtlingsunterkünften. Der zweite
beschäftigt sich mit den Fluchtursachen am Beispiel von Ländern wie Mali, Burkina Faso und Elfenbeinküste. Dabei geht
die Regisseurin sehr sensibel an ihre Themen heran und tritt völlig hinter die in den Filmen Interviewten zurück. So sind Filme
nicht über, sondern von Flüchtlingen und ihren Herkunftsländern entstanden.
Es gab natürlich auch einige aufregende Vorkommnisse
außerhalb der Kinosäle. So verunglückte der Lastwagen, der den Film Les Saignantes transportierte, auf der Autobahn
von Berlin nach Köln. Der Film Yaaba kam zunächst nur halb — eine Rolle statt zwei — in Köln an. Beim Film
Room to Rent stellte der Verleih kurz vor Festivalbeginn fest, dass er die Rechte am Film gar nicht mehr besitzt und auch keine 35-mm-
Kopie mehr hat. Gezeigt wurde deswegen eine DVD, die der Regisseur Khaled El-Hagar mit nach Köln gebracht hatte. Auch die
beiden anderen Filme kamen schließlich noch vollständig und wohlbehalten in Köln an. Die Mitarbeiterinnen von
FilmInitiativ hat es aber doch eine Menge Nerven gekostet.
Ein besonderes Erlebnis waren die Schulvorstellungen am Vormittag, besonders die für die ganz Kleinen. Die Erstklässler,
die sich den Trickfilm Kiriku und die wilden Tiere ansahen, klatschten im Rhythmus der Musik mit, gaben Kommentare zum Film ab und
am Ende rief einer: „Das soll noch nicht aufhören!” Einer der I-Dötzchen (rheinische Bezeichnung für
Erstklässler) machte es Kiriku nach, gab nichts mehr um die Meinung der Erwachsenen und setzte sich ab. Eine halbe Stunde nach
Ende der Vorstellung fanden die Lehrerinnen ihn im Kölner Hauptbahnhof. Auch die Filme Yaaba und Ali Zaoua kamen bei den
Schülerinnen und Schülern gut an. Yaaba, ein Klassiker des afrikanischen Kinos von Idrissa Ouédraogo aus Burkina
Faso, erzählt die Geschichte des Jungen Bila und seiner Freundschaft zur alten Sana, obwohl diese von den anderen
Dorfbewohnern für eine Hexe gehalten wird. Ali Zaoua handelt von Straßenkindern in Casablanca.
Am 21.Oktober fuhr dann der „TGV Express” in den
Kölner Knast im Stadtteil Ossendorf. Zum ersten Mal war „Jenseits von Europa” mit einem Film dort präsent. Es
gab einige technische Schwierigkeiten und das Interesse war nicht so groß. Dennoch war es ein Anfang, der vielleicht
ausbaufähig ist. Der Film TGV Express — Der schnellste Bus nach Conakry von Moussa Traoré ist ein Roadmovie. Die
Busreise vermittelt ein Porträt des modernen Afrikas und seiner Menschen.
Der höchstprämierte Film des Festivals war Indigènes
(Days of Glory) des franko-algerischen Regisseurs Rachid Bouchareb. Die vier Hauptdarsteller erhielten den Preis für die besten
männlichen Hauptrollen in Cannes. Außerdem wurde er in der Kategorie „bester nicht englischsprachiger Film”
für einen Oscar nominiert. Er handelt vom Schicksal von vier nordafrikanischen Kolonialsoldaten in der französischen Armee
im Zweiten Weltkrieg, von ihrer Rekrutierung in den damals französischen Kolonien Marokko und Algerien bis zu ihren Erlebnisse bei
der Befreiung Italiens und Frankreichs vom Faschismus, wo am Ende drei von ihnen bei der Verteidigung eines Dorfes im Elsass ums
Leben kommen. Der Film erzählt auch von der Missachtung, die den Kolonialsoldaten während des Krieges und nach dem
Krieg entgegengebracht wurde. Ihre Verdienste um die Befreiung des „Mutterlands” wurden nicht gewürdigt. Erst
spät wurde ihnen eine Rente zugestanden. Und auch während des Krieges wurden sie in vieler Hinsicht schlechter behandelt
als ihre europäischen Kampfgefährten. Birgit Morgenrath und Karl Rössel vom Rheinischen JournalistInnenbüro in
Köln, Mitautoren des Buches Unsere Opfer zählen nicht. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg (erschienen im Verlag
Assoziation A) gaben eine aufschlussreiche Einführung zu den immer noch weitgehend unbekannten historischen
Hintergründen.
Am Schluss des Festivals stand die Verleihung des erstmals vergebenen „Panafrican Screen Award” (Panascreen). Er
kam auf Initiative von Afromedia Film & Television International, African Council for Arts & Culture und African Arts &
Copyrights Network zustande. Sie kürten Jenseits von Europa zum besten Afrika-Filmfestival des Jahres 2008 und baten die
Mitglieder von FilmInitiativ, als Jury zu fungieren und einen Preisträger zu benennen. FilmInitiativ erkor den nigerianischen
Filmemacher Newton Aduaka zum diesjährigen Preisträger, dessen Filme Rage, Aïcha und Ezra in Köln gezeigt wurden,
und dotierte den Preis mit 1000 Euro. In Zukunft soll der Preis auf verschiedenen Filmfestivals in Afrika vergeben werden, in den
nächsten Jahren sind dies Festivals in Senegal, Botswana und Äthiopien.
Newton Aduaka, dessen Film Ezra bereits beim Fespaco 2007 den
Hauptpreis bekommen hatte, nahm den Preis am 25.Oktober in Köln persönlich entgegen anlässlich der
Aufführung seines Films Rage.
Der Kurzfilm Aïcha wird im Programmheft von „Jenseits von
Europa” zutreffend als „Parabel auf Liebe und Vergänglichkeit, surreal wie eine Traumsequenz”
charakterisiert. Rage erzählt die Geschichte des gleichnamigen Jungen, der als Kind eines weißen Vaters und einer schwarzen
Mutter in einer Hochhaussiedlung in einem Vorort von London aufwächst. Mit einem weißen und einem schwarzen Freund will
er eine HipHop-Band gründen, gerät aber immer weiter in einen Strudel aus Gewalt, der fast ausweglos erscheint. Obwohl es
sich um einen Spielfilm handelt, ist er so realistisch, dass er fast schon dokumentarischen Charakter hat.
Ezra greift das Thema Kindersoldaten im Rahmen eines Spielfilms auf.
Wenn auch nicht ausdrücklich genannt, bildet der Bürgerkrieg in Sierra Leone der Hintergrund. Der für den Film
namengebende Protagonist wird als Kind von einer dubiosen „Revolutionsarmee” zwangsrekrutiert, die in Wirklichkeit nur
äußerst brutal die Interessen einheimischer und vor allem europäischer Geschäftemacher vertritt. Als jugendlicher
Kämpfer ist er an einem brutalen Überfall auf sein eigenes Heimatdorf beteiligt. Als er nach dem Krieg vor einer
Versöhnungskommission aussagen soll, ist das nicht nur für ihn ein außerordentlich schmerzlicher Prozess. Es wird klar,
dass er sowohl Opfer als auch Täter ist, wobei schwer zu bestimmen ist, wo das eine aufhört und das andere anfängt.
Auch dieser Film beeindruckt durch großen Realismus und einfühlsame Darstellung einer fast ausweglosen Situation.
Es bleibt zu hoffen, dass das seit 1992 weitgehend ehrenamtlich und
mit wenig Mitteln organisierte Festival überlebt, indem es finanziell und personell auf eine solidere Basis gestellt wird. Hier ist nicht
nur, aber auch, die Stadt Köln gefragt, die sich gerne weltoffen und tolerant gibt, aber nur ungern Geld dafür ausgibt. Was in
Berlin und Frankfurt am Main möglich ist, ein aus öffentlichen Mitteln sicher finanziertes Afrika-Filmfestival, sollte auch in
Köln, der viertgrößten Stadt der Bundesrepublik, nicht unmöglich sein. Hoffen wir also auf „Jenseits von
Europa XI” im Jahr 2010.
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