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Genial, feingliedrig, sensibel, das sind die Attribute, die man am häufigsten im Zusammenhang mit Helmut Qualtinger liest
— angesichts seiner massigen Erscheinung mutet das wie ein Widerspruch an. Er wurde in Wien geboren, im feinen 3.Bezirk, der Vater Chemiker und
Gymnasiallehrer, Vegetarier und Naturliebhaber. Der kleine Helmut sollte ja nicht mit Proletenkindern spielen. Das derbe Wienerisch, das später so viele der
Figuren, die er inkarnierte, kennzeichnete, war nicht seine Muttersprache. Er war so gar nicht der dicke, gemütliche, derbe, grausam und charmante Wiener, er
verkörperte ihn nur.
Viele Freunde erzählen von seiner großen Begabung zur Imitation, er konnte alle
möglichen und unmöglichen Sprechweisen täuschend echt nachahmen. Diese Fähigkeit nutzte er wohl gern und oft in Form von sog.
„practical jokes” 1945 inhaftierte ihn die sowjetische Besatzungsmacht, weil er als „Kulturkommissar” mit Sowjetstern auf der Brust
eine Villa für die Gründung eines linksgerichteten Theaters beschlagnahmte und Schauspieler warb. Ein Kindheitsfreund, der nunmehr verstorbene
Regisseur Michael Kehlmann (der Vater des Bestsellerautors Daniel Kehlmann) erzählt, wie er in den 40er Jahren auf grandiose Weise die Granden des NS-
Regimes parodierte.
Gegen Ende des Krieges wurde er noch als Luftwaffenhelfer eingesetzt. Bei Bombenalarm las er
im Wienerwald Johann Nestroy, sein großes Vorbild. Nach dem Krieg war er Journalist, schrieb Theaterstücke und wurde in den 50er Jahren mit dem
„Namenlosen Ensemble” als Kabarettist berühmt. Travnicek, die Kunstfigur, die er im Kabarett entwickelte, ist ein Durchschnittswiener, der sich
im Dialog mit seinem Freund immer wieder aufs köstlichste entlarvt. In Österreich gehört der Travnicek immer noch zum kollektiven
Humorgedächtnis. Anfang der 60er Jahren kehrte er dem Kabarett den Rücken.
Obwohl er eigentlich ein Einzelgänger war, lief er schriftstellerisch zu Höchstform auf, wenn er mit anderen zusammen arbeitete. Es brauchte, so
erzählen Freunde, jemanden, der seine großartigen Improvisationen „dingfest” machen konnte. Ein solcher Jemand war Carl Merz. Mit
ihm schrieb Qualtinger den Einakter, mit dem er Zeit seines Lebens und danach am meisten identifiziert wurde, Der Herr Karl:
"Bis Vieradreißig war i Sozialist. Das war aa ka Beruf. Hat ma aa net davon leben
können ... heit wann i war ... aber heit bin i darüber hinaus ... i hab eine gewisse Reife, wo mir de Dinge gegenüber abgeklärt sind ...
Na — im Vieradreißgerjahr ... wissen Seh, wia des war. Naa, Se
wissens net. Se san ja zjung. Aber Se brauchens aa net wissen ... Das sind Dinge, da wolln ma net dran rührn, da erinnert man sich nicht
gern daran ... niemand in Österreich ...
Später bin i demonstrieren gangen für den Schwarzen [die Christlichsozialen] ...
für die Heimwehr ... net? Hab i fünf Schilling kriagt ... Dann bin i ummi zum ... zu de Nazi ... da hab i aa fünf Schilling kriagt ... naja, Österreich
war immer unpolitisch ... i maan, mir san ja kane politischen Menschen ... aber a bissel a Geld is zsammkummen, net?
Naja — ma hat ja von was leben müssen ... Des können SIhna gar net
vurstellen, was? Se kenntn lerna von mir ... der Lebenskampf, wia mir ihn ham führn müssen!"
Wie schon das Kabarett der „Namenlosen”, wurde auch Der Herr Karl im
österreichischen Fernsehen gezeigt, schon während der Ausstrahlung gab es heftigste Proteste. „Ein Dreckfink, wer sein eigenes Nest
beschmutzt” (Alwine S., Wien). Dabei sprengt Der Herr Karl den österreichischen Rahmen. In der Folge wurde Qualtinger von ausländischen
Journalisten zum „populärsten Österreicher des Jahres 1961” gewählt, Der Herr Karl reüssierte international, neben dem
deutschsprachigen Raum, gab es sogar Aufführungen am Broadway. „The Enemy of Gemütlichkeit”, schrieb dort ein Journalist über
ihn.
Qualtinger war ein vielbeschäftigter Schauspieler, in mehr als 40 Filmen spielte er mit, immer wieder stand er auf der Bühne. Viele Kritiker fanden ihn
als Rezitator am besten, besonders in seinen Lesungen von Karl Kraus Die letzten Tage der Menschheit und Hitlers Mein Kampf.
Privat war er zweimal verheiratet, er hatte einen Sohn, Christian Heimito (nach seinem Taufpaten
Heimito von Doderer), der als Maler in Wien lebt. Bis auf die vielen Reisen lebte er abgesehen von fünf Jahren, die er Anfang der 70er Jahre in Hamburg
verbrachte, zeitlebens in Wien. „Man kann es in Wien nicht aushalten, aber woanders auch nicht”, sagte er einmal. Die Journalistin Gunna Wendt
schreibt in ihrer Qualtinger-Biografie Ende der 90er Jahre: „Die Körperfülle als Abwehrkokon gegen die schnell durchschaute Welt. Immer war es
die Dummheit, die ihn verblüffte, überraschte und empörte. Die Dummheit, nicht die Bosheit. Jemand, der zu viel sieht, verliert den Boden unter
den Füßen. Trotz großer Erdenschwere."
1986 stirbt er in Wien an einem Leberleiden. Kurz zuvor taucht jemand auf der politischen
Bühne auf, dessen destruktives Potenzial er ohne Mühe durchschaut, Jörg Haider. „Unsere Zeit steuert wieder genau dorthin, wo wir
abscheulicherweise schon einmal waren ... Das bürgerliche Lager trennt sich wieder von den Radikalen ... Ich habe da einen Ausspruch von Herrn Haider
gehört, der unbegreiflicherweise in dem ganzen Theaterdonner untergegangen ist: Man wird den staatlich subventionierten Nestbeschmutzern wie dem
[Thomas] Bernhard künftig das Handwerk legen! Da ist mir kalt geworden. Da haben sie aus Oberösterreich jenen Mann nach Kärnten
exportiert, von dem sie wissen, dass er dort die stärksten einschlägigen Emotionen vorfinden und auslösen kann. Sie wissen schon welche."
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