SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2009, Seite 2

Krise und Kämpfe 2009:

Alles muss man selber machen...

von Angela Klein

Gemessen an fast 700 Mrd. Euro Stütze für Banken und Konzerne ist auch das zweite Konjunkturpaket sozial wie ökologisch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein Umlenken, selbst nur in Richtung auf ein „grünes” Akkumulationsmodell, ist weit und breit nicht in Sicht. Allerdings enthält es ein paar Almosen. Offenkundig war es der Regierung wichtig, die Opposition der Gewerkschaften und Sozialverbände auszubremsen.
Die wichtigste Rolle für die „Wahrung des sozialen Friedens” spielt vielleicht das Kurzarbeitergeld. Kurzfristig wirkt es Entlassungen entgegen, zumal seine Bezugsdauer Ende 2008 von sechs Monaten auf zunächst zwölf, dann achtzehn Monate erhöht wurde. Doch der Preis dafür ist ein Skandal: Für einen Beschäftigten in Kurzarbeit übernimmt jetzt nämlich die Bundesagentur für Arbeit nicht nur, wie bisher, die Zahlung des Kurzarbeitergelds, sondern auch den Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung. Somit tragen die Beschäftigten die vollen Kosten dafür, nicht sofort in Massen entlassen zu werden, sie merken es nur nicht sofort, sie merken es erst, wenn die Arbeitslosigkeit sprunghaft ansteigt und die Bundesagentur für Arbeit dann sagt: Es gibt kein Geld mehr.
Dann kommt das dicke Ende hinterher.
Unter dem Hagel der Kritik der Opposition von rechts und links kann das Konjunkturprogramm den Schein pflegen, die Große Koalition rette wieder einmal die notleidende Nation. Tatsächlich versucht diese nur, ihre eigene Haut zu retten. Denn es ist Wahljahr. Alles zusammen gerechnet stehen 16 Wahlen ins Haus, darunter Bundestagswahl, Europawahl und fünf Landtagswahlen. Die zu überstehen, ohne dass die Folgen der Krise allzu drastisch spürbar werden, ist das oberste Ziel der politischen Kaste. Angeblich müssen wir im Jahr 2009 nur die Augen feste zumachen und die Decke über den Kopf ziehen — dann geht es im Jahr 2010 wieder aufwärts.
So wird es nicht kommen. Die Finanzkrise ist noch nicht am Ende, es sind noch Billionen Dollar an Spekulationsgeldern im Umlauf, die verbrannt werden müssen; der Welthandel geht zurück und die Märkte mit hoher Überproduktion wie der Automobilmarkt stehen vor einer umfassenden „Bereinigung” — d.h. Übernahme und Abwicklung von Konzernen, Schließung von Fabriken usw.
Das dicke Ende kommt noch. Wie aber sind wir dafür aufgestellt?
Kurz gesagt: gar nicht. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Opel, das fürchten muss, bei einer Insolvenz von General Motors unter die Räder zu geraten, verlässt sich auf eine staatliche Bürgschaft in Höhe von 1,8 Mrd. Euro — sicher insgeheim auch auf eine Rettung der Muttergesellschaft durch die neue US-Regierung, denn: „Für eine komplette Abkoppelung des Rüsselsheimer Autobauers gibt es keine Szenarien”, sagt Klaus Franz. „Opel kann allein am Markt nicht bestehen.” Man muss nicht spekulieren, ob Franz hier richtig wettet: Richtig ist, er wettet, und zwar darauf, dass im Verdrängungswettlauf, der jetzt anhebt, Opel nicht ganz untergeht. Pech, dass dafür genügend andere untergehen.
Massenentlassungen und Betriebsschließungen werden unvermeidlich kommen. Wo ist das gewerkschaftliche Programm dafür? Das Programm, das sich nicht darin erschöpft, bei den Regierungen betteln zu gehen, sondern Kampfkraft mobilisiert? Wir lassen uns nicht nach Hause schicken. Wir gehen nicht in Hartz IV. Wir übernehmen den Betrieb und werfen eine Produktion für erneuerbare Energien, energiesparsame Produktion und für den Binnenmarkt an. Wo wird dies vorbereitet?
Bislang verharren die Gewerkschaften im gewohnte defensiven Reflex: „Hauptsache Arbeitsplätze sichern” Damit produzieren sie nur weitere Spaltungslinien — z.B. gegenüber den Leiharbeitern, die vor Weihnachten umstandslos nach Hause geschickt wurden. Das war schon die erste Entlassungswelle, und es gab keinen Aufschrei.
Die Linke in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen antwortet mit Demonstrationen. Das ist wichtig, es gibt bisher noch viel zu wenig davon. Im europäischen Vergleich haben Deutschland und England mit den Mobilisierungen zum 28.März sogar die Nase vorn. Dafür gibt es in anderen Ländern Konkreteres: In Frankreich werden in so vielen Teilbereichen harte Kämpfe geführt, dass die Gewerkschaften — alle Gewerkschaften — für den 29.Januar zu einem nationalen Aktionstag aufgerufen haben. Wer weiß, vielleicht wird ein Generalstreik daraus?
Die Jugend läuft längst vorneweg: in Rom, in Griechenland, in Südschweden — überall macht eine ihrer Zukunftsperspektiven beraubte Generation ihrem Zorn Luft und versucht, sich durch Besetzungsaktionen einen Teil dessen wieder anzueignen, was ihr vorenthalten wird.
Osteuropa friert und wird von einer Protestwelle erschüttert: Mitte Januar zogen über 10000 Menschen wütend vor das lettische Parlament, kurzzeitig wurde der Ausnahmezustand verhängt; in Sofia kam es zu Straßenschlachten; in Vilnius gingen 7000 Menschen auf die Straße; in der Ukraine wächst die Wut gegen die Gaspolitik des Präsidenten...
Das Jahr 2009 wird für die Herrschenden kein ruhiges Jahr. Noch haben wir etwas Aufschub, den müssen wir nutzen. Jetzt müssen die handeln, die hauptsächlich von der Krise betroffen sind. Wie hieß es auf einer Demo von Antikapitalistas in Frankfurt am Main „Alles muss man selber machen: Sozialen Fortschritt erkämpfen!"


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