SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2009, Seite 04

Eisbrecher für nationales Denken

Jürgen Elsässer gründet „Volksfront” gegen das Finanzkapital

von Edith Bartelmus-Scholich

Samstag, 10.1.09, abends in Berlin-Kreuzberg.

Etwa 120 Leute drängen sich im Hinterzimmer der Gaststätte Max & Moritz. Unter ihnen befinden sich mindestens 10—12 Nazis, auch bekannte Gesichter. Es wird kein Hausverbot gegen sie verhängt.
Die Anwesenden sind auf Einladung des Journalisten Jürgen Elsässer gekommen um mit ihm gemeinsam eine Bewegung, die „Volksinitiative gegen das Finanzkapital” ins Leben zu rufen.
Elsässer schreibt regelmäßig für die Linkspartei-eigene Tageszeitung Neues Deutschland und ist laut ND zudem Mitarbeiter der Linksfraktion für den BND-Untersuchungsausschuss im deutschen Bundestag. Er soll zudem im Ideenaustausch mit Oskar Lafontaine stehen.
Neben Elsässer sitzt auf dem Podium noch der Militärhistoriker Dr.Peter Feist, ein Neffe von Erich Honecker, sowie ein ehemaliger Zeitsoldat der Bundeswehr, der nach der Gründung der WASG zur Politik gefunden hatte. Elsässer ist der Star des Abends. Etwa 80 der Anwesenden hängen an seinen Lippen.
Er trägt fünf Thesen aus seinem 2007 erschienen Buch Angriff der Heuschrecken — Zerstörung der Nationen und globaler Krieg vor:

1. Die Krisenanalyse der meisten Linken ist falsch, da sie das imperialistische Moment sträflich unterschätzt: Die aktuell einsetzende Depression ist Ergebnis eines bewussten Angriffs des angloamerikanischen Finanzkapitals auf den Rest der Welt. Dabei kommen „finanzielle Massenvernichtungswaffen” (Warren Buffet) zum Einsatz, deren Munition nicht die Ausbeutung der Arbeitskraft ("Überakkumulation"), sondern „fiktives Kapital” ist. Was wir bisher erlebt haben, waren erste Geplänkel mit diesen Waffen — der Hauptstoß steht noch bevor!

2. Bei der Abwehr dieses Angriffs spielt der Nationalstaat die entscheidende Rolle. Supranationale Koordinationen in Gremien, in denen die aggressiven Staaten und ihre Vertreter eine Rolle spielen (EU, G8, IWF usw.), sind für die Katz. Wichtig ist eine Koordination der angegriffenen Nationalstaaten.

3. In allen Staaten, auch in Deutschland, entwickelt sich ein zunehmender Widerspruch zwischen dem Industrie- und dem Bankkapital. Letzteres, eng mit den angloamerikanischen Angreifern verbunden, erdrosselt ersteres in einer Kreditklemme.

4. Hauptaufgabe der Linken ist der Aufbau einer Volksfront, die nicht nur den Mittelstand sondern auch das national bzw. „alteuropäisch” orientierte Industriekapital einschließt. Diese Volksfront soll Bewegung werden und ideologische Scheuklappen ablegen. Die Reduzierung auf Klassenkampf ist sektiererischer Unsinn.

5. Hauptaufgabe der Volksfront ist die entschädigungslose Nationalisierung des Finanzsektors und die Abdrängung der angloamerikanischen Finanzaristokratie aus Europa — in der Perspektive ein eurasisches Bündnis. Ziel ist die Schaffung einer „eurasischen Wohlstandszone” Den Sozialismus, also den Stoß gegen das System insgesamt, zur Hauptaufgabe zu erklären, sei linksradikale Kraftmeierei bzw. „imperialistischer Ökonomismus” Elsässer wörtlich: „Die moderne deutsche Autoindustrie hat es nicht verdient, durch US- Heuschrecken ruiniert zu werden.” Er rät den deutschen Arbeitern zu Betriebsbesetzungen zusammen mit den ebenfalls gefährdeten Unternehmern. Die Bundesregierung soll Opel dem GM-Konzern entziehen. Die „Volksfront-Bewegung” will „raus dem linken Ghetto” und erteilt einer ökologischen Politik eine Absage. Konkret schlägt Elsässer mehr Kohlekraftwerke vor.
Zum Start einer „Volksfrontbewegung” und um zu einem „richtigen Wir” zu werden, veranstaltet Elsässers Initiative in Kürze einen „auf keinen Fall marxistischen Kongress” Die Bewegung will keine Konkurrenz zu den Parteien sein, schon gar nicht zur Linkspartei, sondern deren „Katalysator” Dabei soll die NPD außen vor bleiben, aber, so Peter Feist: „Die Nation lassen wir uns nicht nehmen."
Aus dem Nazi-Lager wird die Initiative mit Beifall bedacht. Zustimmung kommt nicht nur von den im Saal befindlichen Nazis, sondern auch von der NPD und der Jungen Freiheit sowie der Deutschen Stimme. Der NPD- Vorsitzende im sächsischen Landtag, Holger Apfel, weist triumphierend darauf hin, dass Elsässer auf der Basis des NPD-Programms stehe. Er schreibt: „Der Gründungsaufruf von Jürgen Elsässer für eine Volksinitiative gegen Finanzkapital ist ein bemerkenswertes Signal. Jürgen Elsässer betätigt sich als Eisbrecher, der auf nationaler Grundlage den Dualismus von Rechts und Links durch die Schaffung einer antiglobalistischen und antiimperialistischen Gerechtigkeitsbewegung überwinden will. Mit den Forderungen, die er in seinem Gründungsaufruf vertritt, hat er sich NPD-Positionen nicht angenähert, nein, er vertritt NPD-Positionen."
Elsässer vertritt nun das, was die Nationaldemokraten seit mehr als einem Jahrzehnt predigen: Die einzigen handlungsfähigen Subjekte im Kampf gegen Globalisierung und die totale Macht des Finanzkapitals sind Völker und Nationen! Auch Elsässers souveränistischer Ansatz, zuerst die Restsouveränität der Nationalstaaten zu stärken, wird so nur von der NPD vertreten.
Elsässer reproduziert mit der Unterscheidung von „räuberischem Finanzkapital” und „produktivem Kapital” die Fiktion vom Gegensatz zwischen „raffendem und schaffendem Kapital"; seine Volksfront beruht auf der Fiktion einer Volksgemeinschaft, in der Ausgebeutete und Ausbeuter gleiche Interessen haben sollen. Strategisch propagiert er die Querfront.

(Das Neue Deutschland hat die Zusammenarbeit mit Elsässer inzwischen aufgekündigt.)


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