SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2009, Seite 05

Deutschland ist in einer Freundschaftsfalle gefangen

Evelyn Hecht-Galinski über die Einschüchterung der öffentlichen Meinung



Mit gezielten Provokationen wie in Duisburg und mit verfassungswidrigen Auflagen wie in Berlin versuchen Israel nahestehende Kräfte, Proteste gegen Israels Kriegsverbrechen in Gaza zu unterbinden. Nur eine Minderheit der deutschen Juden traut sich, dagegen die Stimme zu erheben. Evelyn Hecht-Galinski gehört zu den wenigen Unerschrockenen, die sich vom Totschlagargument des Antisemitismus nicht einschüchtern lassen.

Evelyn Hecht-Galinski ist in Deutschland bekannt für ihre scharfe öffentliche Kritik an der Politik Israels. Die engagierte Publizistin kritisiert auch den Zentralrat der Juden, dem ihr Vater, Heinz Galinski, von 1954 bis 1963 und von 1988 bis 1992 vorstand, als Sprachrohr der israelischen Regierung. Sie engagiert sich in der Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost” ( www.juedische-stimme.de).



Sie sprechen derzeit auf vielen Veranstaltungen über den Krieg gegen Gaza, aber anders als manch einer es von Ihnen als Tochter des ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde erwarten würde, stellen Sie sich eindeutig auf die Seite der Palästinenser und sehen die Aggression ganz auf israelischer Seite. Warum?

Weil ich in Solidarität mit dem palästinensischen Volk bin, das unter einem unvorstellbaren Staatsterror leiden muss, der von Israel ausgeht. Israel als eine der größten Militärmächte der Welt, eine Nuklearmacht, die behauptet in Selbstverteidigung handeln zu müssen. Es geht Israel nur, darum seine Macht zu zeigen und, bestärkt durch unsere Bundesregierung, die EU, das Nahostquartett und die USA, weiterhin Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, gegenüber der Zivilbevölkerung des Gazastreifens und auch des Westjordanlands auszuüben — in Verletzung der IV.Genfer Konvention.

Viele Linke in Deutschland fürchten, wenn sie so umstandslos Partei ergreifen für die Palästinenser, dann wirft man ihnen Antisemitismus und Nähe zum islamischen Terrorismus vor. Sie selbst werden, z.B. von Herrn Broder, mit solchen Vorwürfen überhäuft. Was antworten Sie darauf?

Wer ist schon Henryk M. Broder? Ein ehemaliger St.Pauli-Nachrichten-Redakteur und Pornoverfasser, der sich anmaßt, in aufhetzerischen, von ihm mitbetriebenen Webseiten alle Israelkritiker zu diffamieren und einzuschüchtern. Wer noch immer nicht den Unterschied zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik begriffen hat, wird zwangsläufig miteinander vermengen, was man auseinanderhalten sollte. Echter Antisemitismus, den es ja leider immer noch gibt, wird damit verharmlost.

Ist es nicht richtig, Kritik an Hamas zu üben? Und ist es nicht so, dass die Qassamraketen, die sie abfeuert, bei der israelischen Bevölkerung eher konterproduktiv wirken müssen?

Sicherlich schaden diese selbstgebauten Raketen mehr, als dass sie den Palästinenser Nutzen bringen. Man darf aber Ursache und Wirkung nicht durcheinanderbringen, da kann ich Bundeskanzlerin Merkel nur zustimmen! Ursache ist die Blockade, die Besatzung und die Unterdrückung des palästinensischen Volkes. Wirkung sind die primitiven Raketen, die abgefeuert werden. Die Wahrscheinlichkeit eines Lottogewinns ist größer, als von einer Rakete getroffen zu werden. Nicht umsonst gibt es jetzt den „Hügel der Schande”, zu dem scharenweise israelische schaulustige Gaffer pilgern, um auf den Einschlag von Raketen zu warten und diesen zu beklatschen. Wie sagte Prof. Moshe Zuckermann: „Für Israel ist Krieg wie Sport, nur dass es keine Tore, sondern Tote gibt."

Die veröffentlichte Meinung in Deutschland, Politiker, Verbandsvertreter und Intellektuelle stellen sich trotz des Massakers, das offenkundig an der Bevölkerung von Gaza verübt wird, kritiklos auf die Seite Israels und beten die Argumente seiner Regierung nach — während hohe UN-Funktionäre, EU-Beamte, sogar der Menschenrechtsbeauftragte des Vatikan von Gaza als einem „Konzentrationslager” usw. sprechen. Wie ist das zu erklären?

Das Hauptproblem scheint mir die wissenschaftlich begleitete Propaganda, geopolitische Interessen, und die ewige Angst der Deutschen, als Antisemiten gebrandmarkt zu werden. Das wirkt so tief bis in heutige Generationen hinein, dass es sehr schwer ist, diese „Political Correctness” aufzubrechen. Ich empfinde es als besonders verwerflich, wenn Israel mit dem schlechten Gewissen der Deutschen Politik macht. Deutschland ist in dieser „Freundschaftsfalle” gefangen. Gerade die BRD hat mit dem Grundgesetz Maßstäbe gesetzt, die durch eine kritiklose Unterstützung Israels nicht mit Füßen getreten werden sollte. Der Druck, der von Israel und vom Zentralrat der Juden in Deutschland ausgeübt wird, ist im Moment sehr stark, das zeigt sich z.B. an der Phrase: „ Der Antisemitismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.” In Wirklichkeit ist die Kritik in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Der Zentralrat der Juden tritt immer stärker als Sprachrohr der israelischen Regierung auf. Das war zu Lebzeiten Ihres Vaters nicht so. Was hat sich da geändert?

Die intellektuelle Hilflosigkeit des Zentralrats nach dem Tode meines Vaters ist erschreckend. Sie zeigt sich besonders in einer reflexhaften Kritik gegenüber kritischen Politikern und im krampfhaften Versuch, die Deutungshoheit über die deutsche Sprache zu erlangen (was ist ein Ghetto, ein Pogrom, ein Konzentrationslager usw.?). Diese Einschüchterung zeigt leider Wirkung. Mitarbeiter von Universitäten oder der Bundeszentrale für politische Bildung werden öffentlich an den Pranger gestellt, Medien werden unter Druck gesetzt. Kritische Journalisten werden zum „Briefing” nach Israel eingeladen — um nur einige der Maßnahmen deutlich zu machen. Ein besonders schlimmes Beispiel ist auch die Anzeige des Zentralrats in überregionalen Zeitungen zum „Gaza-Angriffskrieg” Hier werden von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die mit Steuergeldern bezuschusst wird, falsche Tatsachen und Kriegshetze verbreitet. Sind die Gelder dafür gedacht?Mein Vater Heinz Galinski kümmerte sich, wie er es als seine Hauptaufgabe betrachtete, um die Juden in Deutschland. Er setzte sich für die Einwanderung der russischen Kontingentsflüchtlinge nach Deutschland ein, auch gegen Widerstände der israelischen Regierung; er betrachtete sich nicht als „Sprachrohr der israelischen Regierung”
Weil es Sharon und Weitzmann nicht gelang, die „Diaspora-Juden” zur Auswanderung nach Israel zu bewegen, sehe ich das zionistische Projekt als gescheitert an, auch wenn heute massiv daran gearbeitet wird, alle Juden nach Israel zu holen.

Wie kann der israelischen Aggression Einhalt geboten werden?

Nur mit Druck, Sanktionen und Boykott, wie es auch mit Südafrika erfolgreich gemacht wurde. Warum scheut man sich, gegen den Apartheidstaat Israel genauso vorzugehen? Wie lange will die Weltgemeinschaft diesem Vorgehen Israels noch tatenlos zusehen?
Sagen wir nicht, wir haben es nicht gewusst!


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