SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2009, Seite 06

Bessere Noten bei PISA?

Die Politik instrumentalisiert die Schultests und ändert nichts

von Larissa Peiffer-Rüssmann

Seit der Veröffentlichung der ersten PISA-Untersuchung 2001 sind die Schulministerien mit jedem weiteren für Deutschland ungünstigen Ergebnis immer stärker in die Kritik geraten. PISA war und ist eine Bankrotterklärung für das deutsche Schulsystem. Seitdem geht es in der öffentlichen Darstellung nur noch um die Rechtfertigung ihrer eigenen Politik.
Die Minister bezeichnen Bildung als ein Mittel gegen Armut und machen Bildung gleichzeitig zur Ware: Mit jedem Jahr wird die Lernmittelfreiheit weiter gekürzt, (Schul-)Bibliotheken werden geschlossen, die öffentlichen Schulen verkommen. Zu keinem Zeitpunkt haben die Kultusminister ernsthaft die Diskussion mit den Betroffenen oder gar Lösungsstrategien gesucht. Ungünstige PISA-Ergebnisse werden verschleiert, statistisch unbedeutende Veränderungen als Erfolg gewertet. Dabei heißt es in der offiziellen PISA-Broschüre der OECD: „Das Hauptziel ... dieser groß angelegten Untersuchung ist ... die Gewinnung von empirisch gesicherten Informationen, die als Grundlage von schulpolitischen Entscheidungen dienen können.” Stattdessen greift die Testwut um sich, vom eigenen Versagen wird abgelenkt.
Vor der Veröffentlichung der ersten PISA-Daten 2001 kannten wir weder flächendeckende Leistungsüberprüfungen in der Grundschule noch Vergleichsarbeiten in den Jahrgängen 6, 9 und 10, es gab keinen zentralen Sekundarstufe-I-Abschluss und auch kein Zentralabitur. Ungeachtet aller pädagogischen Erfahrung geht die Kultusbürokratie nun davon aus, dass die Einführung von Vergleichsarbeiten (sprich Ranking) das Leistungsniveau anhebe. Sie verstärken aber die ohnehin schon vorhandene Selektion. Das Kernproblem des deutschen Bildungssystems, die Abhängigkeit der schulischen Leistung von der sozialen Herkunft, verschärft sich mit jedem weiteren Test.
Sorgenkind ist und bleibt die Hauptschule. Jetzt wollen die Kultusminister die Ansprüche an die Hauptschule so weit herunterfahren, dass die Zahl der Scheiternden sinkt. Abschaffen wollen sie die Hauptschule jedoch nicht. Vielmehr soll sie von den Bildungsstandards der allgemeinbildenden Schulen abgekoppelt werden. Damit werden praktisch Förderschulen (Sonderschulen) geschaffen, die sich nicht an Lernstandserhebungen beteiligen.

Wie wird Sachsen Testsieger?

Der in diesem Jahr von der Kanzlerin veranstaltete „Nationale Bildungsgipfel” hatte reinen Symbolcharakter. Er wird keine Auswirkungen haben auf die
— rund 80000 Schüler, die jährlich die Schule ohne Abschluss verlassen;
— die 400000 Sonderschüler, die keine Chance auf dem Ausbildungsmarkt haben;
— die 500000 Jugendlichen, die in Übergangsmaßnahmen „geparkt” werden, anstatt ganz normal einen Beruf zu erlernen.
Stattdessen wird in der Bildungspolitik methodisch Chaos betrieben, indem das deutsche PISA-Konsortium andere Indizes verwendet als die OECD, damit die BRD günstigere Werte erzielt, vor allem wenn es um Chancengleichheit geht, um die es bei uns so schlecht bestellt ist.
Aber auch beim Bundesländervergleich (PISA-E) wird mit Nebelkerzen geworfen. Wichtige Informationen kommen nur am Rande zur Sprache, bspw. dass Sachsen, das sich als „Testsieger” feiern lässt, seine Problemschüler schneller als jedes andere Bundesland in Sonderschulen abschiebt — Sachsens Anteil liegt hier bei 6% gegenüber 4% im Bundesdurchschnitt; Sonderschüler werden für PISA ja nicht getestet. Sachsen feiert sein zweigliedriges Schulsystem, doch die Entscheidung für das Gymnasium fällt auch hier nach der vierten Klasse und die Mittelschüler werden zwei Jahre später in Haupt- und Realschulgänge sortiert — dann sind wir wieder bei der Dreigliedrigkeit, und Gesamtschulen gibt es hier nicht. Sachsens „gutes” Abschneiden relativiert sich weiter, wenn sich herausstellt, dass es im Vergleich zu Finnland einen Rückstand von einem ganzen Schuljahr hat. Da gibt es nichts zu feiern.

Unterricht ist Nebensache

Zwischen den Bundesländern sind die statistischen Unterschiede ganz unbedeutend — manchmal betragen sie nur ein Prozentpunkt, entscheiden aber über einen höheren oder niedrigeren Platz, ohne eine verwertbare Aussage zu liefern. In Baden- Württemberg, Bayern und Niedersachsen ist die Beteiligung freiwillig und damit die Teilnahmequote niedrig. In den übrigen Bundesländern liegt sie teilweise um 10% höher. Hätten alle Bundesländer die gleiche niedrige Quote wie BW, würde sich auch die Rangfolge ändern, BW käme dann vom 4. auf den 9.Platz.
Das zeigt, wie fragwürdig die Vergleiche sind. Einmal ganz abgesehen davon, dass die Test Momentaufnahmen sind, die weder etwas über die Ursachen von Leistungsmängeln aussagen noch darüber, wie die Leistungsprobleme angegangen werden sollen.
Aber das sollen die Tests auch nicht. Sie dienen nur noch dazu, dass sich die Politiker von ihnen bestätigen lassen, was sie „schon immer” gesagt haben. Sie unternehmen nichts oder das Falsche, sie helfen nicht, sie ändern nichts.
Und in den Schulen blüht der bürokratische Wahnsinn, versinken die Pädagogen in Arbeitsplänen, Lernstandserhebungen und Vergleichsarbeiten, die dann in Steuerungsgruppen und Kompetenzteams diskutiert werden müssen. Unterricht wird zur Nebensache und dient nur noch dazu, wieder neue Tests schreiben zu können. Schon in der Grundschule stehen die Kinder immer stärker unter Stress, die ausgeklügelte Sortiermaschine Schule macht Angst und immer häufiger landen Kinder und Jugendliche beim schulpsychologischen Dienst.
Statt testen — testen — testen brauchen die Lehrkräfte Fortbildung, die Schüler kleine Lerngruppen, individuelle Förderung und ein Unterrichtsklima ohne Ranking in einer gut ausgestatteten Schule, die Spaß macht und eine Schule für alle ist.


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