SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2009, Seite 07

Wir sind die Heloten

Arbeitsbedingungen in der Persönlichen Assistenz

Beinahe jedes Mal, wenn ich meinen Beruf nenne, werde ich gebeten, diesen zu erläutern, da kaum jemand ihn sich vorstellen kann. Persönliche Assistenz wird im Eins-zu-Eins-Verhältnis von Assistenznehmern und Assistenten erbracht; letztere werden von ersteren persönlich ausgewählt, was die Interessenvertretung für die Erwerbstätigen stark erschwert. Wir arbeiten in der Intimität, zu einem erheblichen Teil in Privathaushalten, und ermöglichen Menschen, die stark hilfebedürftig sind, selbstbestimmtes Leben; das Recht auf diese Hilfe haben sie sich in einer emanzipatorischen Bewegung am Ausgang des letzten Jahrhunderts erstritten. Die Arbeit einer persönlichen Assistentin ist nicht nur tarifvertraglich nicht abgesichert, sie hängt auch stark von den persönlichen Launen der Assistenznehmer ab.Eine heute bei Ambulante Dienste (AD) in Berlin neu eingestellte Assistentin erhält einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag. Die ihr vertraglich zugesicherte monatliche Arbeitszeit beträgt null Stunden. Von einem betriebsinternen Vermittlungssystem wird sie in Einsätze vermittelt, d.h. zu bestimmten Assistenznehmern.
Dabei handelt es sich häufig um sog. schwierige Einsätze, die schwer zu besetzen sind (z.B. Alkoholismus, Depression, unangenehme Persönlichkeiten bzw. Umfeld, schlechter Arbeitsschutz, Tendenz zu Grenzüberschreitungen, mögliche Willkür, langsam oder schnell zum Tod führende Erkrankungen).
Der Assistenznehmer kann die Assistentin unter Wahrung von Kündigungsfristen jederzeit „entlassen” In der Folge gibt es eine „betriebsbedingte Änderungskündigung”, übrigens auch im Todesfall. Kennen weder die Assistentin noch ihr Vorgesetzter das Arbeitsrecht, muss die Assistentin wohl für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist um ihr monatliches Arbeitsvolumen bangen. Jedenfalls fängt die Stundenakquise wieder von vorne an. Wer im ersten oder zweiten Jahr nicht ausdrücklich von einem Assistenznehmer angenommen wurde, läuft Gefahr, nicht entfristet zu werden.
Loyalitätskonflikte sind damit vorprogrammiert, sie disziplinieren die Assistenten trotz bisweilen schwer zu ertragender Arbeitsbeziehungen. Es liegt auf der Hand, dass in einer derart verstrickten Gemengelage Störungen in den Arbeitsbeziehungen tendenziell zulasten der Assistenten verlaufen drohen und auch schwer zu entziffern sind, weil die Angst vor dem Stundenverlust überwiegt.
Gearbeitet wird im Pflegebereich auch am Sonntag, am Feiertag und in der Nacht. Ob es dafür wohl immer Zuschläge gibt? Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz? Wo lassen sich diese Probleme abladen? Aufstiegs- oder Weiterbildungsperspektiven fehlen. Langjährige Beschäftigte verlassen den Betrieb ausgebrannt und oft stillschweigend gen Hartz IV.
Das interne Vermittlungssystem führt u.a. auch dazu, dass es viele Anrufe bei KollegInnen mit der Bitte um kurzfristigen Einsatz gibt. Diese Konstruktion erspart dem Betrieb ein Springerteam! Dafür bestehe kein Bedarf. So wird mit der Hilfsbereitschaft der KollegInnen gearbeitet... „Wir sind die Heloten im Betrieb”, sagt ein Kollege. Das muss sich ändern.

Ein Kollege von AD


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