SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2009, Seite 16

Kommt ein grüner New Deal?

20 Thesen gegen den grünen Kapitalismus

von Alexis Passadakis und Tadzio Müller

1. Die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise markiert das Ende der neoliberalen Phase des Kapitalismus. „Business as usual” (Finanzialisierung Deregulierung, Privatisierung) ist keine Option mehr: wenn der Kapitalismus überleben soll, müssen sich Konzerne und Regierungen auf die Suche nach neuen Akkumulationsräumen und neuen Arten politischer Regulierung machen.

2. Neben der wirtschaftlichen und politischen Krise, ebenso wie der Energiekrise, erschüttert noch eine weitere Krise die Welt: die Biokrise, Folge einer selbstmörderischen Diskrepanz zwischen dem ökologischen Lebenserhaltungssystem, das das gemeinsame menschliche Überleben sichert, und dem Bedarf des Kapitals, ständig wachsen zu müssen.

3. Diese Biokrise ist eine ungeheure Gefahr für unser gemeinsames Überleben, aber wie alle Krisen stellt sie für uns, für soziale Bewegungen, auch eine historische Chance dar: dem Kapitalismus wirklich an die Gurgel zu gehen, nämlich seinen Bedarf für unaufhörliches, zerstörerisches, wahnsinniges Wachstum.

4. Von all den Vorschlägen, welche die globalen Eliten bisher gemacht haben, gibt es nur einen, der alle diese Krisen anzugehen verspricht: der „Grüne New Deal” Dieser ist aber nicht der kuschelige „Grüne Kapitalismus 1.0” mit organischem Ackerbau und Do-it-yourself-Windrädern, sondern ein Vorschlag für eine „grüne” Phase des Kapitalismus, der Gewinne aus der allmählichen ökologischen Modernisierung bestimmter Schlüsselproduktionen (Autos, Energie usw.) zu erzielen sucht.

5. Der grüne Kapitalismus 2.0 kann die Biokrise (also die Klimakrise und andere ökologische Probleme, wie die gefährliche Vernichtung von Biodiversität) nicht lösen, sondern versucht vielmehr, davon zu profitieren. Deshalb ändert er nicht grundsätzlich den Kollisionskurs mit der Biosphäre, auf den jede marktgetriebene Wirtschaftsordnung die Menschheit bringt.

6. Wir leben nicht in den 30er Jahren. Damals verteilte der alte „New Deal” unter dem Druck starker sozialer Bewegungen Macht und Wohlstand nach unten um. Beim „New New” and „Green New Deal”, wie er von Obama, grünen Parteien überall auf der Welt und sogar von einigen multinationalen Konzernen diskutiert wird, geht es mehr um Wohlfahrt für Konzerne als für Menschen.

7. Der grüne Kapitalismus wird nicht die Macht derjenigen herausfordern, die gegenwärtig die meisten Treibhausgase produzieren: die Energiekonzerne, Fluglinien, Autoproduzenten, die industrielle Landwirtschaft. Stattdessen wird sie diesen Geld zuschanzen, um ihnen zu helfen, durch kleine ökologische Anpassungen ihre Profitraten aufrecht zu erhalten. Zur Lösung ökologischer Probleme werden diese Anpassungen aber zu marginal sein, und zu spät kommen.
8. Weil Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit ihre Macht verloren haben, höhere Löhne und Rechte am Arbeitsplatz durchzusetzen, werden in einem grün-kapitalistischen Projekt die Löhne wahrscheinlich stagnieren oder sogar sinken, um die steigenden Kosten „ökologischer Modernisierung” aufzufangen.

9. Der „grün-kapitalistische Staat” wird ein autoritärer sein. Er wird die sozialen Unruhen „managen” müssen, die angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten (Nahrung, Energie usw.) bei gleichzeitig sinkenden Löhnen zu erwarten sind, und diese Politik dabei mit der Bedrohung durch die ökologische Krise rechtfertigen.

10. Im grünen Kapitalismus müssen die Armen vom Konsum ausgeschlossen und an die Ränder gedrückt werden, während die Wohlhabenden ihr weiterhin umweltschädigendes Verhalten „kompensieren” können: einkaufen und gleichzeitig den Planeten retten.

11. Ein autoritärer Staat, massive Klassenungleichheit, öffentliche Gelder, die an Konzerne umverteilt werden: vom Standpunkt sozialer und ökologischer Emanzipation wird der grüne Kapitalismus eine Katastrophe sein, von der wir uns nie wieder werden erholen können. Heute haben wir eine Chance, über den selbstmörderischen Irrsinn kontinuierlichen Wachstums hinaus zu kommen. Morgen, wenn wir uns alle erst einmal an das neue grüne Regime gewöhnt haben, könnte diese Chance vorbei sein.

12. Im grünen Kapitalismus besteht die Gefahr, dass Mainstream- Umweltorganisationen die gleiche Rolle spielen werden, die die Gewerkschaften in der fordistischen Ära gespielt haben: als Sicherheitsventile zu agieren, die sicherstellen, dass die Forderungen nach sozialem Wandel, unser gemeinsamer Zorn innerhalb der Grenzen bleiben, die den Bedürfnissen des Kapitals und der Regierungen entsprechen.

13. Nach Albert Einstein ist die Definition von Wahnsinn, immer wieder das Gleiche zu tun und dabei andere Ergebnisse zu erwarten. In den letzten zehn Jahren ist, trotz Kyoto, nicht nur die Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre gestiegen, sondern sogar deren Steigerungsrate. Wollen wir einfach immer wieder das Gleiche tun? Wäre das nicht Wahnsinn?

14. Internationale Klimaabkommen fördern falsche Lösungen, die mehr der Energiesicherheit dienen als dem Klimawandel. Weit entfernt davon, die Krise zu lösen, schaffen Emissionshandel, Clean Development Mechanism (CDM), Joint Implementation, C02-Kompensation usw. einen politischen Schutzschild für die fortgesetzte Produktion von Treibhausgasen.

15. Für viele Gesellschaften des globalen Südens sind diese falschen Lösungen (Biosprit, „grüne Wüsten”, CDM-Projekte) inzwischen eine größere Bedrohung als der Klimawandel selbst.

16. Tatsächliche Lösungen für die Klimakrise werden nicht von Regierungen oder Konzernen entwickelt werden. Sie können nur von unten kommen, von weltweit vernetzten sozialen Bewegungen für Klimagerechtigkeit.

17. Solche Lösungen enthalten: Nein zum Freihandel, Nein zur Privatisierung, Nein zu den „flexiblen Mechanismen” des Kyoto-Protokolls, Ja zur Ernährungssouveränität, Ja zu einer Ökonomie ohne Wachstum, Ja zu radikaler Demokratie und dazu, die Ressourcen im Boden zu lassen.

18. Als entstehende weltweite Bewegung für Klimagerechtigkeit müssen wir gegen zwei Gegner kämpfen: auf der einen Seite gegen den Klimawandel und den fossilistischen Kapitalismus, der ihn verursacht, und auf der anderen gegen einen neuen grünen Kapitalismus, der den Klimawandel nicht einschränken wird, wohl aber unsere Fähigkeit, dies zu tun.

19. Natürlich sind Klimawandel und Freihandel nicht das Gleiche, aber: Das Kopenhagen-Protokoll wird eine zentrale Regulierungsinstanz des grünen Kapitalismus werden, genauso wie die WTO für den neoliberalen Kapitalismus zentral war. Wie sollen wir uns also dazu verhalten? Die dänische Gruppe KlimaX argumentiert: ein gutes Abkommen ist besser als kein Abkommen — aber kein Abkommen ist erheblich besser als ein schlechtes.

20. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Regierungen in Kopenhagen ein gutes Abkommen beschließen werden, ist extrem gering. Unser Ziel muss daher sein, tatsächliche Lösungen einzufordern. Wenn uns das nicht gelingt: Forget Kyoto, and shut down Copenhagen (mit welcher Taktik auch immer)!

Alexis Passadakis ist Mitglied im Attac-KoKreis, Tadzio Müller Teil des Turbulence-Kollektivs. Beide sind in der Bewegung für Klimagerechtigkeit aktiv.


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