SoZ - Sozialistische Zeitung |
2009 wird ein Jahr prominenter Jubiläen sein. Die
Bundesrepublik wird 60 und auch die Rückholung der ehemaligen DDR in die beste aller
Welten wird auf der Feieragenda ganz oben stehen. Doch schon die Jährung des Jahres 1939,
dem Beginn des von den Nazis entfesselten „totalen Krieges” wird die Frage
aufwerfen, wie man es mit den politischen Leichen im Keller hält.
Um eine dieser Leichen soll es
hier gehen. Die Rede ist von Georg Elser, der vor 70 Jahren auf den damals von den Eliten ins
Amt beförderten und von der Mehrheit der Deutschen verehrten Nazi-Führer Adolf
Hitler ein Attentat verübte. Nicht erst 1944, als sich die Kriegsniederlage abzeichnete,
sondern schon vor Kriegsbeginn hatte Elser den Entschluss dazu gefasst. Wohl der wichtigste
Grund für diese mutige Aktion war eine höchst realistische Vorstellung davon, was
die NS-Herrschaft für die Zukunft bedeutete. In den Gestapo-Protokollen wird Elser mit
den Worten zitiert: „Ich war bereits voriges Jahr [1938] um diese Zeit der
Überzeugung, dass es bei dem Münchner Abkommen nicht bleibt, dass Deutschland sich
andere Länder einverleiben wird und dass deshalb Krieg unvermeidlich ist ... Die von mir
angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland
nur durch die Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden
können."
Elser hoffte, damit einer
Regierung von politisch Verantwortlichen zum Durchbruch zu verhelfen, „die an das
Ausland keine untragbaren Forderungen stellen, die kein fremdes Land einbeziehen wollen und
die für eine Besserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen
werden”
Georg Elser hat den Anschlag
allein und ohne direkte Einbeziehung anderer vorbereitet und durchgeführt. Er hat eine
Bombe mit Zeitzünder in einem Pfeiler hinter der Rednertribüne des
Bürgerbräukellers in München deponiert. Den Ort hat er gewählt, weil
Hitler mit seinen engsten Kampfgefährten hier am 8./9. November immer den Jahrestag
seines Putsches von 1923 zelebrierte. Die Bombe detonierte nach Plan, doch sie verfehlte
Hitler um 13 Minuten, weil dieser auf Grund der Witterungsverhältnisses vorzeitig seine
Rede beendete, um statt in ein Flugzeug in einen Sonderzug zu steigen, was kurzfristig
entschieden wurde und nur Nazi-Insider wussten.
Elser hatte das Attentat drei
Monate lang vorbereitet und sich im Sommer 1939 eine kleine Werkstatt angemietet. Allein um
den Pfeiler auszuhöhlen und hier die Sprengvorrichtung nicht sichtbar zu deponieren,
hatte er dreißig Nächte in mühevoller Kleinarbeit verbracht, nachdem es ihm
gelungen war, sich in einer Besenkammer des Gasthauses zu verstecken. Die für die
Konstruktionen erforderlichen Fachkenntnisse erwarb er durch seine Berufserfahrung als Dreher,
Schreiner und im Uhrenbau. Den Sprengstoff besorgte sich Elser durch Aufnahme einer Arbeit im
Steinbruch. Den Umgang mit dem hochexplosiven Material erprobt er selbst. Da er armen
Verhältnissen entstammte, war er gezwungen und motiviert, sich vielfältigste
Fachkenntnisse ohne entsprechende Schulausbildung autodidaktisch anzueignen. Er tat dies mit
großem Erfolg, und alle, die mit ihm zu tun hatten, bestätigten, dass er ein sehr
talentierter Handwerker war.
Der im schwäbischen
Königsbronn aufgewachsene Arbeiter war in hohem Maße fähig und gewohnt,
selbständig und eigenverantwortlich zu arbeiten. Und er entwickelte eigene
Wertvorstellungen, die getragen waren von der Haltung, dass der Einzelne für das, was um
ihn geschieht, Verantwortung trägt, die sich auch durch praktisches Tun erweisen muss.
Seine Sozialisation war von vielfältigen Einflüssen geprägt. Er hatte
religiöse Überzeugungen. Gleichzeitig war er mit Jungkommunisten befreundet und
später Mitglied des Rotfrontkämpferbundes. Doch ein starkes Freiheitsbedürfnis
hinderte ihn daran, ein Parteisoldat zu werden. Er engagierte sich bei den Abstinenzlern, in
einem Wanderverein, und er war musisch interessiert. Die Nazis waren ihm von Anbeginn zuwider.
Bei Hitlerreden verließ er die Gaststätte, verweigerte den Hitlergruß. Auch
boykottierte er die „Wahlen” während des Dritten Reiches.
Georg Elser wurde beim
Grenzübertritt in die Schweiz verhaftet und kurz vor Kriegsende als
„Sonderhäftling des Führers” durch den SS-Oberscharführer Heinrich
Bongartz per Genickschuss getötet.
Unter den damaligen
politischen Verhältnisse, die durch hierarchische Massenorganisationen geprägt
waren, schien es für die meisten unvorstellbar, dass jemand aus eigenem Entschluss solch
eine Aktion durchführen konnte. Die Nazis glaubten an eine gesteuerte Aktion des
englischen Geheimdienstes oder ein Komplott ihres innerparteilichen Dissidenten Gregor
Strasser. Mehr als ein Jahr lang wurde nicht nur Elser immer wieder stundenlang von der
Gestapo verhört. Die ganze Familie und Teile der Königsbronner Bevölkerung
gerieten bei der Suche nach Hintermännern in die Mühlen der Nazi-Dienste.
Doch auch im Lager des
Widerstands wurde Elser Opfer von falschen Verdächtigungen und der Verleumdung, in
Wirklichkeit ein Werkzeug der SS zu sein. Martin Niemöller hielt bis weit in die
Nachkriegszeit an diesem Elser-Bild fest, und auch die SZ erklärte noch 1946, Elser habe
eine führende Stellung in der SA gehabt. Auch die sowjetische Botschaft drückte
damals ihre „Entrüstung über den ruchlosen Anschlag” und ihre
„Freude über die glückliche Errettung Adolf Hitlers” aus.
Zum völligen
Zusammenbruch all dieser Selbstentlastungszeugnisse kam es erst mit der Entdeckung des 203-
seitigen Vernehmungsprotokolls der Gestapo 1964. Bis zur Rehabilitation und öffentlichen
Ehrung vergingen jedoch noch Jahrzehnte.
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