SoZ - Sozialistische Zeitung |
Mit den deutsch-französischen Beziehungen steht es mal
wieder nicht zum Besten. Merkel und Sarkozy konnten sich vor der NATO-Sicherheitskonferenz
zwar darauf einigen, dass sie mehr militärischen Spielraum für die EU wollen. Eine
europäische Antwort auf die Krise aber, wie sie Frankreich und auch Teile der EU-
Kommission fordern, lehnt die Kanzlerin rundheraus ab. Deutschland sieht in den meisten
Mitgliedstaaten der EU einen Hinterhof für die eigenen Großmachtpläne, keine
gleichberechtigten Partner.
Länder wie Italien,
Spanien, Griechenland und Osteuropa werden in schwere Wasser kommen; der Euro und die
Stabilitätskriterien von Maastricht werden durch die enorme Zunahme der
Staatsverschuldungen und den anhaltenden Inflationsdruck massiv unter Druck kommen.
So oder so wird es
erforderlich sein, eine europäische Antwort auf die Krise zu finden. Es ist nicht
möglich, dass jeder Mitgliedstaat für sich teure Konjunkturprogramme auflegt, und
gleichzeitig im EU-Raum weiterhin der ungehinderte Wettbewerb regiert. In der EU gibt es eine
gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Es besteht ein dringender
Bedarf, die Konjunkturprogramme aufeinander abzustimmen, aber es gibt keine gemeinsame
Steuerpolitik.
Es besteht Bedarf, die
sozialen Standards in Europa zu verteidigen und nach oben anzugleichen, aber Urteile wie die
des EuGH zu Viking/Laval machen Europa wieder zu einem Raum des sozialen Kriegs durch
Lohndumping und Aufhetzung der Arbeitenden untereinander.
Die neue Welle der
Staatsinterventionen widerspricht der wirtschaftsliberalen Struktur der Europäischen
Union und stellt deren Struktur in Frage. Es ist deshalb mehr als nur ein isolierter
politischer Tatbestand, dass die Zukunft des Lissabon-Vertrags unsicher scheint. Ihm fehlt
noch die Zustimmung aus vier Ländern: Irland, Deutschland, Tschechien und Polen.
Mindestens die erstens drei sind Wackelkandidaten.
Wenn schon die Herrschenden die Krise nicht mehr allein im nationalen Rahmen lösen
können, so können das die abhängig Beschäftigten und die sozialen
Bewegungen noch viel weniger. An allen Ecken des Kontinents sind Brandherde entstanden, die
nicht unter Kontrolle sind: Fast schon europaweite Ausmaße hat die Revolte der
Jugendlichen gegen das Bildungssystem, gegen ihre prekären sozialen Aussichten und ihre
Entrechtung angenommen — im Juni steht auch in Deutschland ein bundesweiter
Bildungsstreik ins Haus. In Island, Lettland und einigen osteuropäischen Staaten fordert
eine aufgebrachte Menge politische Konsequenzen auf Regierungsebene. In unserm Nachbarland
Frankreich sind die Gewerkschaften nicht besser als bei uns, aber sie haben es geschafft, Ende
Januar 2 Millionen Menschen gegen Sarkozy auf die Beine zu bringen — und es wird bei
einem einmaligen Dampfablassen nicht bleiben. Für den 19.März, also zehn Tage vor
unseren Demonstrationen, ist ein neuer Aktionstag geplant — wiederum unter Beteiligung
aller Gewerkschaften. Wie schon beim ersten Mal werden es sich die Demonstrierenden und
Streikenden nicht nehmen lassen, Sarkozy mit seinen eigenen Worten auf die Schippe zu nehmen:
„Von heute an wird niemand merken, wenn es einen Streik in Frankreich gibt — hier
ist der Beweis!"
Da ist Dampf im Kessel, da
wird nicht gekleckert, sondern geklotzt: „300 Euro Lohnanhebung für alle —
jetzt!”, lautet eine zentrale Parole. Eine andere: „1600 Euro Mindestlohn! Verbot
von Entlassungen!"
Da wird mächtig einheizt.
Auf Initiative der gerade gegründeten Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) haben die
NPA, die PCF und die neu gegründete Linkspartei (PG) von Jean-Luc Mélenchon zum
29.1. einen gemeinsamen Aufruf erstellt. Die NPA wollte ursprünglich einen starken Block
schmieden, der eine Strategie gegen Entlassungen entwirft. Unter der Parole
„Entlassungen verbieten” sollten die Beschäftigten aus den Betrieben, in
denen es Kurzarbeit gibt und Entlassungen drohen, eine Koordination bilden, die eine nationale
Demonstration gegen Entlassungen vorbereitet.
PCF und PG haben dieses
Vorhaben soweit verwässert, dass in dem gemeinsamen Aufruf, auf den man sich am Ende
einigen konnte, im Wesentlichen übrig blieb: „Eine andere Politik muss die Profite
der Reichen und die Finanzspekulation angreifen."
Die Auseinandersetzung kommt
uns bekannt vor; sie hat sich in Deutschland um den Aufruf zum 28.3. ähnlich abgespielt
(siehe Aktionszeitung im Innenteil). Nur dass es bei uns noch gar keinen Boden gibt für
eine Forderung wie die nach dem Verbot von Entlassungen, zu der auch die Vergesellschaftung
der Banken und Versicherungen gehört. Es gibt dazu schlicht keinen Diskussionsprozess;
der muss erst angeschoben werden.
Es gibt auch in Deutschland
Bemühungen um einen antikapitalistischen Block zum 28.3.; dafür steht in vielen
Fällen die Interventionistische Linke, die jedoch weit davon entfernt ist, ihre
antikapitalistische Haltung in konkrete Schritte der sozialen Mobilisierung umsetzen zu
können.
Die Aktionszeitung im
Innenteil dieser SoZ versucht, aus dieser Lage das Beste zu machen und stellt die Agenda
„30 — 10 — 500” in den Vordergrund — das ist das, was die
Sozialproteste bisher in Antwort auf die Hartzgesetze erarbeitet haben. Die Antwort ist heute
unzureichend; aber sie ist konkret und kann ein Fundament sein für weitergehende
Schritte. Denn eins ist klar: Nach den Bundestagswahlen kommt die Welle von Massenentlassungen
erst richtig ins Rollen. Bis dahin müssen wir ein Konzept haben.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |