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Alljährlich führt die sog.
„Sicherheitskonferenz”, die dieses Jahr erstmals nicht mehr vom Kohl-Berater und
BMW-Lobbyist Horst Teltschik, sondern von Wolfgang Ischinger geleitet wurde, etwa 400 bis 500
Politiker, Wissenschaftler, Militärs und Rüstungslobbyisten im Münchner
„Bayrischen Hof” zusammen. Es handelt sich um eine Art Davos der außen- und
sicherheitspolitischen Strategen, eine Gelegenheit, in zwangloser Atmosphäre Interessen
der verschiedenen Länder und ihrer „Eliten” zu verhandeln. Auch die
politischen und sozialen Verwerfungen im Gefolge der Wirtschaftskrise spielten diesmal eine
große Rolle.
In den Hinterzimmern trafen
sich die Lobbyisten der Deter AG (Geschütze), Diehl (Lenkwaffen), EADS (Flugzeuge,
Hubschrauber und militärisches Gerät), General Dynamics (Panzer), Howaldswerke (U-
Boote), Kraus Maffei (Panzer), Lockheed Martin (Flieger und Raketen), Rheinmetall (Panzer,
Haubitzen, Gewehre), Rhode & Schwarz (Elektronik), Thales International (Panzer) usw., um
„Atmosphäre zu schaffen” und die anwesenden Politiker (Frauen waren weniger
anwesend) von ihren neuesten Kreationen zu überzeugen.
An solchen Tagen gleicht
München einer Festung: Mit einem riesigen Polizeiaufgebot mit Wasserwerfern und Hunden
werden dann große Teile der Innenstadt abgeriegelt und können nur mit
Sonderausweisen betreten werden. Seit einigen Jahren ist die Konferenz Anlass für
zahlreiche Gegenveranstaltungen und Demonstrationen der Friedensbewegung; an der recht bunten
Großdemonstration beteiligten sich heuer etwa 6000 Menschen.
Der Aufruf des
Aktionsbündnisses gegen die NATO-"Sicherheitskonferenz” wurde in diesem Jahr
von den Grünen in Bayern nicht unterzeichnet, weil darin die Auflösung der NATO und
der Rückzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan gefordert wurde. Ein weiterer wunder
Punkt war die Verurteilung des israelischen Angriffs auf Gaza; der Münchner
Bundestagsabgeordnete der Grünen, Jerzy Montag, nannte sie nach Art der Stellungnahmen
der israelischen Botschaft „antisemitisch”
Die 45.Sicherheitskonferenz (früher „Wehrkundetagung"), die vom 6. bis
8.Februar 2009 stattfand, stand einerseits im Schatten der Neugier auf die strategische
Neuausrichtung der US-amerikanischen Regierung, für die Vizepräsident Joe Biden an
der Konferenz teilnahm. Er betonte die Notwendigkeit des „Multilateralismus” und
der „Zusammenarbeit mit den Partnern” in wesentlichen Wirtschafts- und
Sicherheitsfragen. Andererseits diente das Treffen auch als zwanglose Gesprächsbörse
zur Austarierung der Interessen im Hinblick auf die im April in Straßburg stattfindende
NATO-Jubelfeier zum 60-jährigen Bestehen der Allianz.
Im Vorfeld der Konferenz
hatten der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Angela Merkel ein
gemeinsames Papier vorgelegt, in dem — nach den schlechten Erfahrungen der Bush-Ära
und dem Debakel des Irakkriegs — eine „Überarbeitung der Strategie des
Verteidigungsbündnisses” (der NATO) angemahnt wird, wobei eine „Kombination
von zivilen und militärischen Mitteln für Deutschland und Frankreich von besonderer
Bedeutung” sei (alle Zitate nach der Dokumentation der SZ zur SiKo vom 4.2.2009).
Das Treffen anlässlich
des NATO-Jubiläums, welches erstmals von zwei Ländern ausgerichtet wird, solle dazu
genutzt werden, eine „Diskussion ohne Scheuklappen zur sinnvollen Transformation und
Neuausrichtung der Allianz zu führen” Sicherheitspolitik müsse heute im
erweiterten Sinne verstanden werden: „Dazu gehören neben den Fragen der
militärischen Sicherheit Fragen der weltweiten Finanzarchitektur ebenso wie die
Energieversorgung oder die Migration. Wir müssen unsere Instrumente entsprechend anpassen
und zur Bewältigung von Krisen und Konflikten globale, flexible und vernetzte
Ansätze nutzen."
Die europäische
Sicherheit beruhe auf „drei Dimensionen”, nämlich der engen deutsch-
französischen Zusammenarbeit, der europäischen Integration und der
„atlantischen Partnerschaft” Die beiden Länder seien sich einig, dass die
NATO weltweit ("außerhalb ihres Bündnisgebiets") agieren können soll,
wenn es um die Sicherheit der Rohstofflieferungen oder der Handelswege oder um den
„Kampf gegen den Terrorismus” geht, doch sollten diese Möglichkeiten nicht
überdehnt werden. Insbesondere müsse man mit Russland zu einem vernünftigen
Modus vivendi kommen. Denn für die „Europäer” ist „Russland als
Nachbar und Partner unverändert von großer Bedeutung” Will heißen, dass
die US-Unterstützung der georgischen Regierung in ihrem Versuch, die abtrünnigen
Gebiete Abchasien und Südossetien wieder unter die Fuchtel von Tiflis zu bringen,
kontraproduktiv war und dass man derzeit eine Aufnahme von Georgien und der Ukraine in die
NATO kritisch sieht, weil dadurch wirtschaftlich bedeutsame Vereinbarungen mit Russland
verschoben oder ganz verhindert werden könnten.
Das deutsch-französische
Papier erklärt unumwunden, man müsse am „Grundsatz der nuklearen Abschreckung
festhalten” Allerdings seien die Arsenale viel zu groß, es könnten und
müssten also Abrüstungsschritte unternommen werden (Barack Obama vertrat
kürzlich in einer Stellungnahme eine ähnliche Position). Die Wiederaufnahme der
Gespräche zwischen den USA und Russland über eine Verringerung der
Nuklearrüstung wird ausdrücklich unterstützt.
Bedroht werde das
„Regime der Nichtverbreitung” durch das iranische Nuklearprogramm. In
Übereinstimmung mit der Haltung der neuen amerikanischen Regierung werde man auf die
iranische Bedrohung „mit einem mehr an Dialog” reagieren, erforderlichenfalls aber
auch mit „neuen, sehr entschlossenen Sanktionen” Der iranische Vertreter Ali
Larijani erklärte, sein Land sei prinzipiell zu einem solchen Dialog bereit, allerdings
„ohne Vorbedingungen”
Die nunmehr auch von
Frankreich gewünschte engere Zusammenarbeit zwischen der EU und der NATO scheiterte
bisher an den Positionen der Türkei, die in der Zypernfrage nicht klein beigeben will.
Auch hat der Gazakrieg die Bemühungen der Europäer gestört, die Türkei als
Vermittler zwischen Israel und den Arabern vorzuschicken. Der unverhüllte und
öffentliche Streit zwischen Erdogan und Peres zeugt von der ebenso selbstgerechten wie
autistischen Haltung der gegenwärtigen israelischen Führung.
Ein wichtiger Tagesordnungspunkt war die Lage in Afghanistan, dessen Präsident Hamid
Karsai in München weilte. Doch auf der Konferenz wurde, wie die Zeit vom 12.2. schrieb,
schnell klar, dass der „einstige Hoffnungsträger im Krieg gegen den Terror”
„nicht mehr der Favorit des Westens ist” Ob Washington einen glaubwürdigen
Ersatz für die nun für August vorgesehenen Wahlen auftreiben kann, steht in den
Sternen.
In Afghanistan wussten bei
Karsais Wahl alle, dass er ein Mann der USA ist (immerhin hat er 50 Marines als
Personenschutz). Aber nach dem Sturz der Taliban erhofften sich die Menschen nach 30 Jahren
Krieg von ihm und seinen Beziehungen Frieden und Gelder für den Wiederaufbau. Und Karsai,
dessen Machtbereich schon früher kaum über Kabul hinausreichte, verstand es
meisterhaft, sich im Westen als Hoffnungsträger der geschundenen Nation zu verkaufen.
In Wirklichkeit war er der
Eckstein eines Systems von Korruption und Herrschaft der Drogenbarone und Warlords vor allem
aus der Nordallianz; seine Funktion als Paschtune war die Einbindung von Stammesführern
aus dem Süden des Landes. Als die Taliban immer mehr erstarkten, richtete er
verschiedentlich Appelle an deren Führer „Bruder Mullah Omar” und bot dem
gemäßigteren Teil die Integration ins zivile Leben — also einen Anteil an den
Fördergeldern plus sicheres Geleit — an. Das Gelächter der Taliban über
den „Oberbürgermeister von Kabul” war bis nach Europa zu hören.
Die Karsai-Sippe steckt tief
im afghanischen Sumpf. Sein Bruder Ahmad, Chef des Provinzrats von Kandahar, gilt als
führender Drogenbaron. Ein anderer Bruder hat sich die Zementfabrik in Pul i Kumri unter
den Nagel gerissen und sich außerdem größere Ländereien angeeignet, die
dem Staat gehören. Ein weiterer Bruder fuhr vor ein paar Wochen in Kabul fünf
Menschen zu Tode, ohne auch nur anzuhalten.
In der Regierung Karsai sieht
es genauso aus: Sein Stellvertreter Karim Khalili hat im Krieg Tausende unschuldige Menschen
umgebracht, dasselbe gilt von Ismael Khan, dem Energieminister, oder von Rashid Dostum, dem
Stabschef der afghanischen Armee. Und einen in den USA verurteilten Drogenhändler,
Izzatullah Wasifi, hat man zum Chef der Korruptionsbekämpfung befördert.
Auf der Konferenz war
hinsichtlich Afghanistans von einer „neuen Sicherheitsstrategie” die Rede, die
weniger auf militärische Aktivitäten und mehr auf den zivilen Aufbau setzen solle.
Außerdem sollen die Autoritäten vor Ort mehr eingebunden werden. Dies ist schon seit
längerem offizielle deutsche Politik im Norden des Landes, doch auch bei den deutschen
Geldern für Afghanistan fließen fast 90% ins Militär.
Präsident Obama hat
Truppenverlegungen aus dem Irak nach Afghanistan angekündigt, so als würde ein
massiverer Einsatz von Soldaten die Lage noch wenden können. Dies ähnelt in vielem
der Strategie von General Westmoreland im Vietnamkrieg, der den Krieg auch mit einer doppelten
oder dreifachen Anzahl von Soldaten gewinnen wollte.
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