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Ihr seid der Bundeswehr auf den Fersen. Seit wann?
2004 gab es ein öffentliches Gelöbnis vor dem Kölner Dom, auf dem Roncalliplatz, Großer Zapfenstreich am Abend. Ein paar
von uns sahen die Möglichkeit, ein Transparent von der Domspitze herunterzulassen. Wir kannten den genauen Zeitablauf des Gelöbnisses, und als
unten der Eid gesprochen wurde, haben einige unten Lärm gemacht, und andere haben den Dom erklommen punktgenau zum Eid das Transparent
entrollt. Darauf stand: „Wir geloben zu morden, zu rauben, zu vergewaltigen."Einige hatten sich dazu im Hotel am Dom eingemietet und haben, als
die Soldaten mit den Fackeln den Platz betraten, ein Transparent zum Fenster hinaus gehängt: „Soldaten sind Mörder” Vier Leute
wurden danach angeklagt. Damals setzten wir uns zum ersten Mal als Gruppe zusammen. Wir wollten den Prozess als Bühne für unsere
antimilitaristische Kritik an der Bundeswehr und den Auslandseinsätzen nutzen.
Worauf habt ihr eure Aussagen zugespitzt?
Uns kam es darauf an zu zeigen, wie die Bundeswehr versucht, die Köpfe und Herzen der Bevölkerung zu erobern, aber auch die
ökonomischen Ursachen von Krieg aufzuzeigen und dass Krieg immer Vergewaltigung bedeutet.
Das Gericht liegt direkt neben dem Arbeitsamt. Da haben zum erstenmal gesehen, dass die
Bundeswehr regelmäßig Termine am Arbeitsamt anbietet. Da haben wir angefangen, uns dafür zu interessieren — das war also Zufall.
Wie versucht die Bundeswehr denn, die Köpfe und Herzen zu erobern?
Sie verfolgt zwei Ziele, mit denen sie an die Öffentlichkeit geht: Zum einen macht sie für sich selber möglichst vorteilhafte,
„zivile” Eigenwerbung, um Zustimmung zu Kriegseinsätzen zu gewinnen. Zum anderen will sie Kanonenfutter.
In beiden Bereichen stößt sie aber auf Probleme. Die wissen bei der
Bundeswehr sehr genau, dass die Bevölkerung nicht kriegsbegeistert ist; sie bedauern in ihren Publikationen, dass Deutschland da „im
Rückstand” ist gegenüber anderen europäischen Ländern, die pausenlos im Krieg gewesen sind (wie Frankreich oder
Großbritannien z.B.). Immerhin sind über 50% der Bevölkerung für den Rückzug der Truppen aus Afghanistan und knapp die
Hälfte ist generell gegen Kriegseinsätze.
Dass sie in der Bevölkerung auf Widerstand stoßen, wussten sie schon bei der
Wiederbewaffnung, als sie die Bundeswehr gegründet haben — das lässt sich an der Geschichte de Jugendoffiziere gut nachlesen.
1956 wurde Adolf Heusinger zum ersten Generalinspekteur der Bundeswehr ernannt. Das
war ein Kriegsverbrecher und Kalter Krieger, der hat den Russlandfeldzug mit geplant und wurde nie an die Sowjetunion ausgeliefert, der kannte sich in
Russland gut aus. Auf den beziehen sich die Jugendoffiziere heute noch. Der hat auch veranlasst, dass eine Abteilung Jugendoffiziere aufgebaut wird; sie sollte
das fehlende Verständnis der Bevölkerung für die Wiederbewaffnung kompensieren.
Jugendoffiziere sollten Soldaten sein, die nicht in der Wehrmacht gedient hatten, also
„sauber” waren. Sie werden ausgebildet von der AIZ (das ist die Nachfolgerin der Abteilung für psychologische Kriegsführung)
und stellen so etwas wie die PR-Abteilung der Bundeswehr dar. Ihre Aufgabe ist es, die Reaktionen der Bevölkerung zu beobachten und Strategien zu
entwickeln, wie sie mit ihr kommunizieren kann.
Offiziell dürfen Jugendoffiziere nicht rekrutieren, „politische
Bildung” und Rekrutierung sind formal getrennt. Jugendoffiziere bieten an, sich in die Lehrerausbildung einzumischen, Schulunterricht zu erteilen,
öffentliche Veranstaltungen über Sicherheitspolitik durchzuführen, Referendare zu schulen u.v.m.
Sie sind absichtlich alle unter 40, sollen jugendlich aussehen, müssen aber acht Jahre
gedient haben, haben Erfahrung im Auslandseinsatz, ein abgeschlossenes Studium, und sind besonders psychologisch geschult. Nach Ende ihrer Dienstzeit
werden sie sehr gern von PR-Abteilungen der Firmen usw. übernommen.
Mit der Rekrutierung haben sie auch Probleme. Die Militärsoziologen sagen selber:
Nur wer keine Perspektive hat, geht zum Bund. Armut ist für sie die wichtigste Rekrutierungshilfe. Sie wissen, dass sie nicht attraktiv sind.
Wie treten sie an den Schulen auf? Und wie reagieren die Schüler?
Erst einmal stellen sie sich persönlich vor, geben sich betont antimilitärisch, sie müssen in Uniform auftreten, aber sie bekommen
unmilitärische Umgangsformen beigebracht.
Sie tragen den eigenen Werdegang vor, übernehmen in Absprache mit dem Lehrer
aber auch Teile vom Politikunterricht. Sie zeigen sich bereit, über alles zu reden: Wie ist die Lage in Afghanistan? Wird Deutschland bedroht? usw. So
versuchen sie, um Verständnis zu werben.
Zum Teil reagieren die Schüler sehr interessiert, aber es ist schwierig für sie,
was dagegen zu setzen, dazu muss man schon eine grundsätzliche Antihaltung haben.
Es ist in so einer Unterrichtsstunde fast unmöglich, dagegen zu halten. Selbst die
Lehrer werden in die Tasche gesteckt, weil sich die meisten mit Sicherheitspolitik (überhaupt mit Politik) nicht auseinandersetzen. Viele Lehrer sind
verblüfft über das hohe Bildungsniveau der Jugendoffiziere; das passt nicht in ihr Weltbild vom dumpfen Kommiss.
Ein Politiklehrer hat einen längeren Artikel darüber geschrieben, in dem er
beschreibt, wie sie auftreten. Er hat ihr Ausbildungshandbuch studiert, in dem das alles minutiös festgehalten ist.
Kommen sie selber an die Schulen?
Die Jugendoffiziere schreiben die Schulen an und versuchen nach der ersten Einladung den Kontakt zur Schulleitung nicht abreißen zu lassen. In
einigen Fällen geht die Initiative auch von den Schulen aus.
In einigen Bundesländern wie in NRW (Oktober 2008) haben die Schulministerien
eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr getroffen. Darin steht, dass die Zusammenarbeit intensiviert werden soll, dass die Jugendoffiziere in die
Ausbildung der Lehrkräfte einbezogen werden soll; dass ihre Angebote regelmäßig in den Medien des Ministeriums veröffentlicht
werden usw. Weil die Schulen das Angebot bislang aber zu wenig nutzen, gibt es jetzt die Überlegung, einen Erlass zu machen, dass die Schulen die
Angebote nutzen müssen.
Man muss aber auch sagen: die Strategie funktioniert. Wo die Jugendoffiziere einmal im
Lehrerzimmer aufgetreten sind, da werden sie auch wieder eingeladen. Die Distanz verringert sich. Die Lehrerschaft muss sich den Vorwurf gefallen lassen,
dass sie junge Leute einer Propaganda aussetzt, die diese nicht überblicken können. Damit verfehlt ein Lehrer seinen Bildungsauftrag. Immerhin hat
die Lehrerschaft schon unter den Nazis eine unrühmliche Rolle gespielt.
Was setzt ihr dem entgegen?
Wir waren bisher nur am Herder-Gymnasium in Buchheim. Das Gymnasium führte einen Tag der Offenen Tür für die
Schulabgänger durch, zu dem verschiedene Unternehmen und auch die Bundeswehr eingeladen waren. Davon wussten wir. Da haben wir alle Lehrer und
die Schulleitung angeschrieben. Zurück geschrieben haben der Schulleiter und ein Lehrer: Die Bundeswehr sei eine normale demokratische Institution, ein
normaler Arbeitgeber...
Am besagten Tag sind wir zur Schule gegangen und haben Flugblätter verteilt. In der
großen Aula, wo alle versammelt waren, kam es dann zum Eklat, als der Vertreter der Bundeswehr vorgestellt wurde. Ein älterer Herr hat
dazwischen gerufen: „Ich möchte nicht, dass mein Sohn in diese schmutzigen Kriege hineingezogen wird.” Da wurde der stellvertretende
Schulleiter sehr schnell rabiat, hat sich sofort auf ihn gestürzt und versucht, ihn rauszuzerren.
Lassen sich solche Aktionen ausweiten?
Unsere Hoffnung ist eine Kampagne für militärfreie Zonen — an Argen, an Schulen, Messen, Unis usw., und vor allem, dass die
Schüler selber aktiv werden. Die jungen Leute kennen die Bundeswehr schon nicht mehr anders als eine, die im Ausland operiert. Es sind die
Älteren, die mit den Auslandseinsätzen ein Problem haben.
Es hat aber auch schon an Schulen Aktionen von Schülern gegen die Bundeswehr
gegeben (in Bernau, Göttingen, Duisburg u.v.a.) Die haben Transparente entrollt oder die Autos der Offiziere besprüht (oft kommen sie mit einem
Sattelschlepper, sie ziehen das möglichst auf wie ein Event; es soll den Jugendlichen Spaß machen).
In solchen Fällen machen die Schulleitung und die Bundeswehr einen
Rückzieher. In Duisburg bspw. wurde eine geplante Veranstaltung abgesagt. Auch an anderen Orten, bei der Arbeitsagentur oder auf Messen, reagieren
sie auf unsere Aktionen sehr deeskalierend. Die wollen sich in der Öffentlichkeit nicht prügeln. Letztens auf der Abimesse in Köln —
da gehen die Schulklassen hin — sind am Stand der Bundeswehr 20 Putzfrauen aufgetaucht, die das Infomaterial der Bundeswehr zum Altpapier
gebracht und mit Putzmitteln den ganzen Stand gesäubert haben. Ein älterer Soldat hat die Frauen angeschrien, verfiel gleich in den Kommandoton.
Die Putzfrau zurück: He, Sie müssen deeskalativ bleiben. Da hat der sofort den Hebel umgestellt. Die umstehenden Jugendlichen haben gefeixt.
Die Aktion hieß Bundeswehr wegputzen.
Gehen die Jungen ihnen auf den Leim?
Sie verdienen ganz gut und kriegen eine Ausbildung. Aber das allein macht es nicht. Eines der größten Probleme für die jungen
Männer ist die Entfernung von zu Hause und von der Freundin. Auch im Zweiten Weltkrieg war neben der Unmenschlichkeit auch die Eifersucht ein
starkes Motiv, das Soldaten nach Haus getrieben hat.
Und dann die lange Verpflichtung: Für eine popelige Kfz-Lehre muss sich ein junger
Mann sieben Jahre verpflichten, da muss auch ein Auslandseinsatz dabei sein, das ist Pflicht. Das größte Problem haben die jungen Leute mit den
Toten, die aus den Einsätzen zurückkehren. Die Bereitschaft zu sterben ist trotz guter Bezahlung nicht hoch. Jedesmal wenn ein Toter
zurückkehrt, sinken die Rekrutierungszahlen.
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