SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2009, Seite 06

Tarifrunde 2009 bei der Bahn

Die rote Null

von Willi Wiluschi

In der jüngsten Tarifrunde hat sich Norbert Hansen als Vertreter der Bahn durchgesetzt.
Für einen Teil der Eisenbahner bei der Deutschen Bahn hat die Tarifrunde früher angefangen, als die Mitglieder es von ihrer jeweiligen Gewerkschaft erwartet haben. Bereits am 14.Oktober 2008 setzte sich Arbeitsdirektor Hansen mit den Gewerkschaftsführern zusammen, um ihnen seine Vorstellungen für die anstehende Tarifrunde zu unterbreiten. Dabei kam auch die Idee eines Jahresruhetagplans für das gesamte Fahrpersonal auf den Tisch. So konnte sich Norbert Hansen als Vertreter der DB AG mit seinen Forderungen durchsetzen, noch bevor die Beschäftigten und Gewerkschaftsmitglieder eingreifen konnten.
Dann kamen sie zum Zug. Es war bei der GDL leider ein Zug, der ohne die Mitglieder abfuhr. Letztendlich entschieden die Betriebsräte der GDL über die Forderungen der Mitglieder. Zuvor fanden zwar Mitgliederversammlungen zum Thema statt, doch deren Forderungen wurden nicht selten zerredet und bereits im Vorfeld als nicht durchsetzbar bezeichnet. Es war dann der GDL-Vorsitzende selber, der die Forderung von 6,5% Lohnerhöhung ins Spiel brachte. Darauf konnten sich die Medien stürzen und das tatsächliche Problem der Arbeitsbedingungen dabei ausblenden.
Bei Transnet lief es auf Grund des Drucks der Mitglieder und Ex-Mitglieder anders. Im Vorfeld fanden Aktionen statt, bei denen die Gewerkschaftsmitglieder ihre Forderungen zu Papier bringen konnten. Delegierte der örtlichen Bereiche trafen sich dann zur Durchsetzung dieser Forderungen, die höher waren als von der Gewerkschaftsführung vorgegeben. Auch bei der Transnet forderten die Mitglieder (Delegierten) nicht einen Jahresruhetagplan, sondern deutlich mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen.
Das Ergebnis stand dann sehr schnell fest. Die Transnet- und GDBA-Vorstände veranstalteten einen großen Trommelwirbel und inszenierten Kampfentschlossenheit, der dann in einem bedeutungslosen Warnstreik mit angeblich 400 Beteiligten gipfelte. Vor Ort, zum Beispiel im ICE-Werk Berlin- Rummelsburg, fand nur eine verlängerte Frühstückspause in einer eh ruhigen Arbeitsphase statt. Die Kollegen in Berlin wurden über den anstehenden Warnstreik nicht durch die Gewerkschaft informiert, sondern durch Aktivisten, die sich mit eigenen Flugblättern vor dem Werkstor positionierten.
Bewegung kam dann in die Verhandlungen auch nicht durch das „Warnstreikchen” der Tarifgemeinschaft, sondern durch den Willen der Gewerkschaften und der Bahn, die schnell einen Abschluss anstrebten, bei dem noch nicht über Maßnahmen gegen die um sich greifende Weltwirtschaftskrise diskutiert werden musste. Hier wäre eine Vereinbarung über Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich im Fall eines krassen Auftragseinbruchs sicher sehr sinnvoll gewesen.
Da die Beschäftigten und Gewerkschaftsmitglieder nicht an der Durchsetzung ihrer Forderungen beteiligt wurden, ging es auch nicht in erster Linie nicht um ihre Forderungen. Es waren die Forderungen der DB AG, die mit dem Mittel der Tarifrunde durchgesetzt wurden. Die Gewerkschaften haben den ausgehandelten Verschlechterungen nur eine Geschenkschleife verpasst, so dass eine rote Null für die Eisenbahner heraus kam.
Die Chance der Transnet, ihre Mitglieder zu halten und verlorene zurückzugewinnen, wurde verpasst. Auch die GDL hat ihren scheinbar kämpferischen Impuls aus der letzten Tarifrunde in den Schoß der Deutschen Bahn zurückgelegt. Wie in der Vergangenheit spielen die Gewerkschaften nun alle wieder ihre Rolle als sozialpartnerschaftliche Virtuosen unter der Konzertleitung der Deutschen Bahn.
Das Gespenst des Ruhetagplans ereilte die Beschäftigten auf den Zügen bereits im Dezember. Die Bahnbeschäftigten wissen nun, an welchen Wochenenden Arbeitsruhe ist. Für einige hat sich die Zahl dieser Wochenenden erhöht, für andere hat sie abgenommen. Aber sie wissen in Zukunft nicht mehr im Voraus, wie die Schichten vor und nach den Ruhetagen liegen. Gegen diese radikale Flexibilisierung der Arbeitszeit, die eine private Lebensplanung kaum noch ermöglicht, hatten die Berliner S-Bahner sich schon mit der Methode des kollektiven Krankschreibens erfolgreich zur Wehr gesetzt. Jetzt bekommen sie diese ungenießbare Medizin nicht nur vom Unternehmen, sondern auch von ihrer Gewerkschaft verordnet.

Der Autor ist Mitglied der Redaktion des Standpunkts, einer Zeitung von basisorientierten Beschäftigten und Gewerkschaftern der Berliner S-Bahn (www.netzwerkit.de).


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