SoZ - Sozialistische Zeitung |
Mit 0,8% Reallohnverlust seit der Jahrtausendwende sticht
Deutschland innerhalb der EU negativ hervor.
Unter dem Slogan „Wir
bezahlen nicht für eure Krise” rufen linke GewerkschafterInnen, Sozialinitiativen
sowie politische Organisatoren der radikalen Linken am 28.3. zu Großdemonstrationen auf.
Diese notwendigen Aktionen werden jedoch nicht mehr verhindern können, dass viele
Rechnungen schon ausgestellt wurden. Nach Berechnung des WSI haben die abhängig
Beschäftigten in Deutschland 2008 bereits im fünften Jahr hintereinander eine
Reallohnsenkung hinnehmen müssen. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hat es
eine so lange Phase von Reallohnverlusten gegeben.
Das Statistische Bundesamt
hatte für 2008 eine durchschnittliche Inflationsrate von 2,6% berechnet. Für
Geringverdiende liegt sie natürlich höher, da hier der Anstieg der Energiepreise
(+9,6%) und der Lebensmittel (+6,4%) viel stärker ins Gewicht fällt. Auch für
2009 wird mit einer Inflationsrate über 2% gerechnet.
Für den Großteil der
Beschäftigten, deren Einkommen unmittelbar durch Tarifverhandlungen bestimmt wird, liegen
bereits Abschlüsse vor. Für sie wird 2009 Friedenspflicht herrschen. Der Abschluss
in der Metall- und Elektroindustrie endet erst im April 2010. Der im letzten Jahr von Ver.di
unterzeichnete Vertrag für Beschäftigte in Bund und Kommunen läuft bis zum
31.12.2009. Auch in den größten Bereichen der Chemie- und Grundstoffindustrie gibt
es schon Abschlüsse, so z.B. aktuell in der Papierindustrie. Im Steinkohlenbergbau kam
dieser im Mai 2008 zustande, und er gilt bis Mai 2011. Bei RWE und Vattenfall wurden 2009 24-
monatige Haustarifverträge abgeschlossen. In der Kiste ist auch der Tarifvertrag aller
Bahngewerkschaften, dessen Laufzeit am 31.7.2010 endet.
Anstehende
Tarifauseinandersetzungen gibt es noch für die Beschäftigten der Länder
(Ver.di), die Druckindustrie (Ver.di), die Lehrer (GEW), das Baugewerbe (IG BAU), und den
Nahrungs- und Lebensmittelbereich (NGG). Die GEW und Ver.di rufen ihre Mitglieder seit Januar
zu Kundgebungen und Warnstreiks auf. Ein schneller Abschluss ist nicht in Sicht.
Ein Blick auf die erreichten
Bruttolohnerhöhungen zeigt, dass es nur in den genannten Haustarifverträgen
(Abschluss 2009) Tariferhöhungen über 3% gab. Im Öffentlichen Dienst (Abschluss
2008) liegt sie bei über 2,9%, in der Metallindustrie (Abschluss 2008) bei 2,8%. Die
Bahnbeschäftigten und die papiererzeugende Industrie erhielten gut 2,3%. Ver.di
erkämpfte für Zeitschriftenredakteure, die Zeitungsredaktionen und die
Kinobeschäftigten Zuwächse zwischen 1,6 und 2% (alle Abschlüsse 2009). Es ist
davon auszugehen, dass die nicht von Tarifverträgen erfasste Arbeitswelt deutlich unter
diesem Niveau liegt und den Gesamtdurchschnitt noch einmal drückt, so dass es zu dem oben
erwähnten WSI-Ergebnis kommt.
Das „Modell
Deutschland”, das lange auch ein Exportschlager von Gewerkschaftsfunktionären war,
zeichnet sich heute vor allem durch seine abschreckende Sonderrolle aus: In keinem anderen
europäischen Land kam es in den letzten Jahren zu so massiven Reallohnverlusten. Im
Gegenteil: Während die Reallöhne seit der Jahrtausendwende in Deutschland um 0,8%
zurückgingen, stiegen sie in Frankreich um kapp 10%, in den Niederlanden um mehr als 12%,
in Schweden um 18% und in Großbritannien sogar um 26%. Thorsten Schulte vom WSI verweist
auf Ursachen und Folgen dieser Entwicklung: „Die negative Lohndrift hat wiederum viel
mit den Veränderungen im deutschen Tarifvertragssystem zu tun, wo zwei Trends zu
beobachten sind. Einerseits ist die Tarifbindung seit Ende der 90er Jahre kontinuierlich
zurückgegangen, so dass heute gerade mal etwas mehr als 60% aller Beschäftigten
durch einen Tarifvertrag erfasst werden. Andererseits nutzen immer mehr Unternehmen die
Möglichkeit, im Zuge der Dezentralisierung der Tarifpolitik auf betrieblicher Ebene von
vereinbarten Tarifstandards nach unten hin abzuweichen. Im Ergebnis werden die
Lohnunterschiede zwischen den Beschäftigtengruppen immer größer, und es kommt
zu einer rasanten Ausdehnung des Niedriglohnsektors, der mittlerweile in Europa seines
gleichen sucht."
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