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Seit Jahren verkauft die Türkei Wasser an andere
Länder. An Euphrat und Tigris entstehen immer mehr Staudämme. Menschen werden
umgesiedelt, oft haben sie keine Lebensgrundlage, weil ihnen die Seen und Flüsse samt den
Fischen und das Wasser fehlen. Jetzt hat die türkische Regierung eine neue Idee. Sie will
alle Gewässer bis hin zum Grundwasser 49 Jahre lang privaten Betreibern überlassen.
Wir Menschen bestehen zu ca.
70% aus Wasser. Kein Leben auf diesem Planeten ohne das kostbare Nass. Höchstens Luft ist
noch lebensnotwendiger. Und doch haben weltweit über eine Milliarde Menschen keinen
Zugang zu sauberem Trinkwasser, alle zehn Sekunden stirbt ein Kind an den Folgen von
Wassermangel — während ich den Text nur abtippe, sind es 180, während Sie ihn
lesen weitere 60 vielleicht.Nach UN-Berichten leiden 2,6 Milliarden Menschen unter den
hygienischen Folgen von Wassermangel.
Auf dem Europäischen
Sozialforum (ESF) im September 2008 in Malmö begann Susan George ihre Rede auf der
Gründungsveranstaltung des Europäischen Wassernetzwerks mit einer Vision:
„Stellt euch mal vor, wir lebten hier auf dem Mars”, begann sie. Dann
erzählte sie die Geschichte einer Delegation, die auf den Planeten Erde geschickt wird,
um nach neuen Kapitalanlagemöglichkeiten zu suchen. Sie kehrt begeistert zurück,
denn sie wurde fündig. „Dort gibt es ein Gut”, berichtet sie, „das
jedes Lebewesen braucht, das aber knapp ist und nicht beliebig zu vermehren.” In der
kapitalistischen Logik das ideale Wirtschaftsgut, eine Gewinnquelle ohne Ende. Die
Marsmenschen jubeln und kauften das gesamte Wasser des Planeten Erde.
Science Fiction? Schön
wärs! Nicht einmal zwanzig Jahre ist es her, da haben nicht Marsmenschen, sondern
Strategen der Weltbank in trauter Eintracht mit der OECD und den großen Wasserkonzernen
diese Profitquelle entdeckt. Die kurze Geschichte der Wasserprivatisierung beginnt mit dem
Kauf von Wasserbetrieben, die bis dato in kommunalem Besitz waren. Ausgangsland war
Frankreich, wo die Wasserwirtschaft traditionell zu einem Großteil in privaten
Händen ist, genauer genommen in den Händen von Suez, Veolia (ehemals Vivandi) und
Saur.
Etwas später entdeckte
auch RWE die sagenhafte Quelle und kaufte die Londoner Wasserwerke. Als die dringend
notwendige Instandhaltung der aus Viktorianischer Zeit stammenden Rohrleitungen die
Profitquelle zum Versiegen zu bringen drohte, weil die Londoner Aufsichtsbehörde keine
exorbitanten Preiserhöhungen mehr genehmigte, wurde „Thames Water” an einen
australischen Hedgefonds weiterverkauften. Ihren Anteil an den Berliner Wasserbetrieben
hingegen behielt RWE, hier sind die Verträge weit vorteilhafter.
Die Pariser Wasserwirtschaft
wird Ende 2009 wieder in kommunale Hände zurückkommen. Was von der kritischen
Wasserbewegung als großen Sieg über den inzwischen zur Nr.1 aufgestiegenen Konzern
Veolia feiert, könnte sich beim zweiten Hinsehen als neuer Trick entpuppen. Denn auch in
Paris sind die hundertjährigen Rohrleitungen verrottet, es muss viel ins Wassernetz
investiert werden. Da mag es günstiger sein, wenn Veolia Environnement die teure moderne
Technik dafür der Gemeinde Paris verkauft. Dies wird nur zu vermeiden sein, wenn die
Wasseraktivisten auf Management und Politik weiter ein wachsames Auge werfen.
Manche linke Analysten höre ich in diesen Tagen der Weltwirtschaftskrise sagen:
„Der Neoliberalismus ist am Ende” und klagen, dass den Globalisierungskritikern
der Feind abhanden gekommen ist.
So ein Quatsch! Genaueres
Hinsehen am Beispiel Wasser beweist das Gegenteil. Die jetzige Krise wird genutzt, um eine
neue Phase der kapitalistischen Akkumulation einzuläuten. Die letzten öffentlichen
Güter wie Bildung, Wasser, die Bahn, Rentenversicherungen, Gesundheitsversorgung u.v.m.
stehen zum Verkauf an, soweit sie noch nicht verscherbelt wurden. Selbst die Luft steht zum
Verkauf, über den Umweg des Emissionshandels „zur Rettung des Klimas”
Ein Einstieg mit Paukenschlag
wird derzeit in einem Musterland des Neoliberalismus, der Türkei, geplant. Nach allen uns
vorliegenden, wenn auch akribisch geheim gehaltenen Quellen plant die türkische
Regierung, die Nutzungsrechte für Seen, Flüsse und Quellen bis hin zum Grundwasser
49 Jahre lang Privaten zu überlassen. Was sind 49 Jahre? Für viele ist das ein
ganzes Leben, die Berliner Mauer stand gerade mal 29 Jahre. Völlig offen ist, in welchem
Zustand und zu welchen Bedingungen die Gewässer dann zurückgegeben werden.
Viele Ungläubige, die
sich das einfach nicht vorstellen können, fragen nach unseren Beweisen. Wir stützen
uns auf Interviews mit dem alten und neuen Umweltminister aus den Jahren 2007 und 2008. Da
wird der Euphrat mit 950 Mio. Euro veranschlagt, der Tigris mit 650 Mio. Ein Blick in den
Regierungshaushalt 2009 weist Einnahmen von 3,1 Mrd. Euro aus diesen Quellen auf.
Dann ist da noch das
5.Weltwasserforum (WWF). Nicht umsonst wurde für 2009 Istanbul als Austragungsort
gewählt. Denn was die türkische Regierung plant, kann getrost als Pilotprojekt der
internationalen Wasserkonzerne bezeichnet werden. So plant die CDU in Kiel den Verkauf ihrer
Seen; Chile hat schon ganze Flüsse verkauft. Aber dass eine Regierung gleich
sämtliche Gewässer zum Verkauf anbietet, das stellt eine neue Stufe der
Wasserprivatisierung dar.
Karl Marx beschreibt die Einhegung des Gemeindeeigentums (enclosures) in England als die
erste Phase des kapitalistischen Akkumulationsprozesses. Nichts andere scheint jetzt zu
geschehen: das bisher unangetastete Allgemeingut Wasser soll der menschlichen Gemeinschaft
entrissen werden und in privatwirtschaftliche, gewinnorientierte Hände übergehen.
Ich möchte das eine weitere Phase im kapitalistischen Akkumulationsprozess nennen.
Dagegen hat sich im Rahmen des
Weltsozialforums (WSF) seit 2001 eine globale Widerstandsbewegung entwickelt, das Water
Justice Movement (die Bewegung für Wassergerechtigkeit); ihre Versammlungen werden immer
größer, ihre Vernetzung immer dichter. Auf dem diesjährigen WSF 2009 in
Belém fanden unter vielen Veranstaltungen zum Thema Wasser auch zwei Treffen statt zur
Vorbereitung des Widerstands gegen das 5.WWF in Istanbul.
Wir sind da als Europäer
besonders herausgefordert. Immerhin sitzen die Köpfe des selbst ernannten Welt Wasser
Rates — Think Tank und Organisator des Weltwasserforums — alle in Europa, genau
genommen in den Vorstandsetagen von Suez und Veolia. Deshalb sehen wir es als Aufgabe von uns
Europäern, gemeinsam mit der globalen Wasserbewegung in Istanbul gegen die
selbstherrlichen Herrscher über Wasser und Tod anzutreten!
Als auf der
1.Europäischen Sommerakademie von Attac im August 2008 ein türkischer Arzt über
die Ungeheuerlichkeit in der Türkei informierte, entstand spontan das Projekt SuKo (su =
türkisch für Wasser, Ko = Koordination). Hauptziel des Projekts, an dem sich seitdem
Ver.di, der BUND, die RLS Allmende und Gegenwind beteiligen, ist zunächst, in
Deutschland, in Europa und in der Türkei durch die Verbreitung von Informationen eine
breite Basis für den Widerstand zu schaffen. SuKo versteht sich als Teil des Global
Justice Water Movement und der Widerstandsbewegung gegen das illegitime 5.WWF.
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