SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2009, Seite 09

Wasser ist ein Menschenrecht und keine Ware

Interview mit Dorothea Härlin

Welche Folgen wird die Privatisierung der Gewässer für die Region haben?

Unsere türkischen Mitstreiter sagen, dass es dann in der Türkei einfacher sein wird, Staudämme zu bauen — wobei es heute schon 140 gibt! Der Bau des Ilisu- Staudamms ist aufgrund von Protesten vorläufig gestoppt worden. Die haben dazu geführt, dass das Bundesministerium für Entwicklung seine Unterstützung für das Projekt zurückgezogen hat. Wenn allerdings der Tigris privatisiert wird, müssen die privaten Eigentümer keine Rücksicht mehr auf soziale und ökologische Fragen nehmen. Und es sind weitere 500—1000 Staudämme geplant!Es gibt noch ein anderes Problem: 70% der türkischen Bevölkerung leben von der Landwirtschaft. Was soll in Zukunft werden, wenn jeder Tropfen Wasser bezahlt werden muss? Das wird eine soziale Katastrophe, die Menschen werden ihrer Lebensgrundlage beraubt und sie werden in die Städte gehen... In Planung sind neue landwirtschaftliche Großbetriebe, die durch Staudämme bewässert werden sollen. Von ähnlich gelagerten Projekten aus dieser Gegend wissen wir, dass dies auch zu einer ökologischen Katastrophe führt. Nach einiger Zeit versalzen die Böden.
Wir müssen den Gesamtzusammenhang sehen und die Folgen der Privatisierung erkennen.

Es gibt allerdings Bedarf an Trinkwasser. Welche Lösungen gäbe es?

Die beste Lösung ist nach internationalen Erfahrungen eine Dezentralisierung der Wassergewinnung. So unterstützen z.B. NGOs in Afrika den Bau von Regenauffangbecken und den Bau von Brunnen. Heute gibt es in Afrika Regionen, wo die Frauen den ganzen Tag damit beschäftigt sind, Wasser zu beschaffen. Sie laufen vier Stunden zur Wasserquelle und vier Stunden mit dem Gewicht zurück — und das Wasser ist nicht immer von bester Qualität. Gibt es jedoch Wassertanks vor Ort, kann eine kleine Landwirtschaft betrieben werden. Daraus können die Konzerne natürlich keine Gewinne ziehen. Meiner Meinung nach wäre dies aber einer der zukunftsweisenden Auswege für die dortige Bevölkerung.
Die EU verlangt von der Türkei, dass sie mehr Energie durch Wasserkraft erzeugt. Offensichtlich wird dort eine große Industrieniederlassung geplant. Alles für die Gewinnmaximierung!

Wie sieht der Widerstand in der Türkei aus?

In Istanbul gibt es eine große Allianz verschiedener Bewegungen: Gewerkschaften, Berufsgenossenschaften, Ärzte, Lehrer, aber auch linke Parteien und Gruppierungen. Die Allianz mit Namen Su-Ko will vor allem informieren und den Widerstand in der Türkei unterstützen. Bei uns leben viele Menschen aus der Türkei, viele stammen aus ländlichen Gebieten, manche haben dort gar ein Stück Land. Für sie ist nachvollziehbar, was es heißt, für jeden Tropfen Wasser zu bezahlen. Wir suchen nach Wegen, um sie davon in Kenntnis zu setzen, damit sie dann ihre Verwandten und Freunde in der Türkei informieren, damit sie Widerstand leisten. Das erste Faltblatt in türkischer Sprache ist schon fertig.

Gibt es Beispiele für einen erfolgreichen Widerstand?

In Bolivien gab es einen blutigen Kampf um das Wasser; den Wasserkrieg in Cochabamba führten vorwiegend Indigene. Das Ergebnis ist, dass sie jetzt einen dafür zuständigen Minister haben und einer ihrer Mitstreiter Staatsoberhaupt ist. Etwas Ähnliches gab es in Argentinien. In Südafrika haben sich die Townships gegen die Einrichtung von Wasseruhren zur Wehr gesetzt, immerhin mit dem Ergebnis, dass ein Gerichtsurteil diese verbietet. In vielen Kommunen Europas haben sich die Bürger das Wasser zurückgeholt, z.B. in Grenoble. Andere, wie die Hamburger, konnten den Verkauf ihrer Wasserwerke per Volksentscheid gerade noch verhindern. Gelegentlich finden sich eben auch in Deutschland aufrechte Bürgermeister, die den Wassergeiern keinen Zugriff gewähren.
In den Ländern des Südens konnte ich feststellen, dass Frauen an vorderster Stelle im Kampf gegen die Privatisierung des Wassers stehen. Sie müssen schließlich für die Familie sorgen.

Wie steht die Sache jetzt in Berlin?

Wir haben eine Unterschriftenaktion gestartet, um den Berliner Senat zu zwingen, seine Vereinbarung mit den Privaten offenzulegen, denn bisher hält er sie geheim. Wir haben doppelt so viele Stimmen bekommen, wie für ein Referendum notwendig waren. Der Berliner Senat — eine Koalition von SPD und DIE LINKE — vertritt die Auffassung, das Grundgesetz setze die Interessen des Privateigentums über die des Gemeineigentums, woraus sich die Geheimhaltung legitimiere. Wie absurd! In Italien erhält die Bevölkerung in solchen Fällen Einsicht in den Stand der Verhandlungen. Soll das Demokratie sein? Wir haben Klage beim Verfassungsgericht eingereicht.

Leider meinen viele, privat sei effektiver.

Gar manche öffentliche Einrichtung arbeitet nicht immer zum Wohl der Gesellschaft. Aber ist daraus zu schließen, ein Privater habe größere Sorgfalt? Eine Sorge hat er, und die betrifft seinen Gewinn. Private nutzen eine bestehende Infrastruktur, fahren Investitionen und Personal um 50% runter und die Preise hoch. Sie werden doch nicht Wasserleitungen in ein Dorf legen, wo die Leute kein Geld haben!
Das gesellschaftliche Eigentum muss von der Bevölkerung kontrolliert werden. In Venezuela gab es „Wassertische” schon, bevor Chávez an die Regierung kam. Dort kümmert sich die ortsansässige Bevölkerung um solche Dinge. Jeder kann am Runden Tisch teilnehmen, Unternehmer und Hoteliers, aber auch arme Bauern, die illegal Wasser anzapfen. Dem Beispiel folgten wir mit der Gründung des Berliner Wassertischs, denn die Probleme sind überall gleich: Wasser aber ist ein Menschenrecht und muss der Logik der Gewinnmaximierung entzogen werden.

Das Interview führte Norbert Kollenda für die SoZ.


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