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Welche Folgen wird die Privatisierung der Gewässer für die Region haben?
Unsere türkischen Mitstreiter sagen, dass es dann in der Türkei einfacher sein
wird, Staudämme zu bauen — wobei es heute schon 140 gibt! Der Bau des Ilisu-
Staudamms ist aufgrund von Protesten vorläufig gestoppt worden. Die haben dazu
geführt, dass das Bundesministerium für Entwicklung seine Unterstützung
für das Projekt zurückgezogen hat. Wenn allerdings der Tigris privatisiert wird,
müssen die privaten Eigentümer keine Rücksicht mehr auf soziale und
ökologische Fragen nehmen. Und es sind weitere 500—1000 Staudämme geplant!Es
gibt noch ein anderes Problem: 70% der türkischen Bevölkerung leben von der
Landwirtschaft. Was soll in Zukunft werden, wenn jeder Tropfen Wasser bezahlt werden muss? Das
wird eine soziale Katastrophe, die Menschen werden ihrer Lebensgrundlage beraubt und sie
werden in die Städte gehen... In Planung sind neue landwirtschaftliche Großbetriebe,
die durch Staudämme bewässert werden sollen. Von ähnlich gelagerten Projekten
aus dieser Gegend wissen wir, dass dies auch zu einer ökologischen Katastrophe
führt. Nach einiger Zeit versalzen die Böden.
Wir müssen den
Gesamtzusammenhang sehen und die Folgen der Privatisierung erkennen.
Es gibt allerdings Bedarf an Trinkwasser. Welche Lösungen gäbe es?
Die beste Lösung ist nach internationalen Erfahrungen eine Dezentralisierung der
Wassergewinnung. So unterstützen z.B. NGOs in Afrika den Bau von Regenauffangbecken und
den Bau von Brunnen. Heute gibt es in Afrika Regionen, wo die Frauen den ganzen Tag damit
beschäftigt sind, Wasser zu beschaffen. Sie laufen vier Stunden zur Wasserquelle und vier
Stunden mit dem Gewicht zurück — und das Wasser ist nicht immer von bester
Qualität. Gibt es jedoch Wassertanks vor Ort, kann eine kleine Landwirtschaft betrieben
werden. Daraus können die Konzerne natürlich keine Gewinne ziehen. Meiner Meinung
nach wäre dies aber einer der zukunftsweisenden Auswege für die dortige
Bevölkerung.
Die EU verlangt von der
Türkei, dass sie mehr Energie durch Wasserkraft erzeugt. Offensichtlich wird dort eine
große Industrieniederlassung geplant. Alles für die Gewinnmaximierung!
Wie sieht der Widerstand in der Türkei aus?
In Istanbul gibt es eine große Allianz verschiedener Bewegungen: Gewerkschaften,
Berufsgenossenschaften, Ärzte, Lehrer, aber auch linke Parteien und Gruppierungen. Die
Allianz mit Namen Su-Ko will vor allem informieren und den Widerstand in der Türkei
unterstützen. Bei uns leben viele Menschen aus der Türkei, viele stammen aus
ländlichen Gebieten, manche haben dort gar ein Stück Land. Für sie ist
nachvollziehbar, was es heißt, für jeden Tropfen Wasser zu bezahlen. Wir suchen nach
Wegen, um sie davon in Kenntnis zu setzen, damit sie dann ihre Verwandten und Freunde in der
Türkei informieren, damit sie Widerstand leisten. Das erste Faltblatt in türkischer
Sprache ist schon fertig.
Gibt es Beispiele für einen erfolgreichen Widerstand?
In Bolivien gab es einen blutigen Kampf um das Wasser; den Wasserkrieg in Cochabamba
führten vorwiegend Indigene. Das Ergebnis ist, dass sie jetzt einen dafür
zuständigen Minister haben und einer ihrer Mitstreiter Staatsoberhaupt ist. Etwas
Ähnliches gab es in Argentinien. In Südafrika haben sich die Townships gegen die
Einrichtung von Wasseruhren zur Wehr gesetzt, immerhin mit dem Ergebnis, dass ein
Gerichtsurteil diese verbietet. In vielen Kommunen Europas haben sich die Bürger das
Wasser zurückgeholt, z.B. in Grenoble. Andere, wie die Hamburger, konnten den Verkauf
ihrer Wasserwerke per Volksentscheid gerade noch verhindern. Gelegentlich finden sich eben
auch in Deutschland aufrechte Bürgermeister, die den Wassergeiern keinen Zugriff
gewähren.
In den Ländern des
Südens konnte ich feststellen, dass Frauen an vorderster Stelle im Kampf gegen die
Privatisierung des Wassers stehen. Sie müssen schließlich für die Familie
sorgen.
Wie steht die Sache jetzt in Berlin?
Wir haben eine
Unterschriftenaktion gestartet, um den Berliner Senat zu zwingen, seine Vereinbarung mit den
Privaten offenzulegen, denn bisher hält er sie geheim. Wir haben doppelt so viele Stimmen
bekommen, wie für ein Referendum notwendig waren. Der Berliner Senat — eine
Koalition von SPD und DIE LINKE — vertritt die Auffassung, das Grundgesetz setze die
Interessen des Privateigentums über die des Gemeineigentums, woraus sich die
Geheimhaltung legitimiere. Wie absurd! In Italien erhält die Bevölkerung in solchen
Fällen Einsicht in den Stand der Verhandlungen. Soll das Demokratie sein? Wir haben Klage
beim Verfassungsgericht eingereicht.
Leider meinen viele, privat sei effektiver.
Gar manche öffentliche Einrichtung arbeitet nicht immer zum Wohl der Gesellschaft.
Aber ist daraus zu schließen, ein Privater habe größere Sorgfalt? Eine Sorge
hat er, und die betrifft seinen Gewinn. Private nutzen eine bestehende Infrastruktur, fahren
Investitionen und Personal um 50% runter und die Preise hoch. Sie werden doch nicht
Wasserleitungen in ein Dorf legen, wo die Leute kein Geld haben!
Das gesellschaftliche Eigentum
muss von der Bevölkerung kontrolliert werden. In Venezuela gab es
„Wassertische” schon, bevor Chávez an die Regierung kam. Dort kümmert
sich die ortsansässige Bevölkerung um solche Dinge. Jeder kann am Runden Tisch
teilnehmen, Unternehmer und Hoteliers, aber auch arme Bauern, die illegal Wasser anzapfen. Dem
Beispiel folgten wir mit der Gründung des Berliner Wassertischs, denn die Probleme sind
überall gleich: Wasser aber ist ein Menschenrecht und muss der Logik der
Gewinnmaximierung entzogen werden.
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