SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2009, Seite 12

500 Euro Eckregelsatz

ist das Mindeste

von Sturmi Siebers

Anfang Februar empörte sich Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, in der Presse, „dass der, der nichts tut, von dieser Gesellschaft stärker belohnt wird, als der, der morgens früh aufsteht, zur Arbeit geht und lernen muss” Er will zunächst die Regelleistungen von Jugendlichen (U25) gekürzt wissen. Neu ist das nicht — seit jeher ist die Senkung der Regelsätze Standardforderung aller Unternehmerverbände. Mit der Krise erhält sie aber eine besondere Brisanz.
Die Dachorganisation aller Unternehmer in der BRD, DIHK, verlangt, dass 3—4 Euro pro Stunde für Erwerbstätige „selbstverständlich und zumutbar” werden. Dafür müssen die Hartz-IV-Sätze gedrückt werden. Sie wirken wie ein offizielles Existenzminimum, das den weiteren Fall der Löhne bremst.

Hartz IV
Real gekürzte Regelsätze:

Der Eckregelsatz hätte bei Einführung von Hartz IV nach bis dahin gültiger Bemessung 398 Euro statt 345 Euro betragen müssen. Früher zu 100% anerkannte „regelsatzrelevante Ausgaben” wurden insgeheim um bis zu 40 % heruntermanipuliert. Offen gekürzt wurden die Regelsätze für 7- bis 17-Jährige (für 7- bis 13-Jährige wird die Kürzung ab Juli 2009 zurückgenommen — aber befristet auf 3 Jahre!).
Der Eckregelsatz errechnet sich seit 1990 nicht mehr nach dem Bedarf, sondern nach dem „Statistikmodell”, d.h. aus den Konsumausgaben des unteren Einkommensfünftels, das überproportional aus Rentnerinnen und Rentnern besteht. Weil das Einkommen dieses Segments aber durch Lohndumping und Rentenklau sinkt, wird auch das Regelsatzniveau gedrückt — eine sich wechselseitig beschleunigende Abwärtsspirale. Resultat u.a.: 2004 waren im Eckregelsatz noch 130,80 Euro für Nahrungsmittel und nichtalkoholische Getränke enthalten. Preisbereinigt müsste deren Anteil heute auf 147 Euro gestiegen sein, ist aber auf 115,44 Euro gesunken!

Hartz IV: Nudeln mit Soße

Würden die Manipulationen bei der Einführung von Hartz IV rückgängig gemacht und die Teuerung berücksichtigt, würde der Eckregelsatz heute mindestens 435 Euro betragen. Darauf beziehen sich DPWV, DGB, „Die Linke” und „Die Grünen” mit ihren Forderungen von 420 bis 435 Euro. Sie akzeptieren damit jedoch das „Statistikmodell” und berücksichtigen nicht, dass die — von diesem Modell vorgegebene — Mangelernährung fortgeschrieben wird.
Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund hat ausgerechnet, was eine „optimierte Mischkost” (keine Bioware!) auf der Basis der Preismittelwerte von Discountern und Supermärkten kostet. Danach mussten preisbereinigt im Juli 2008 für je 1000 kcal Energiezufuhr 2,56 Euro gezahlt werden (Schwund und Verderb inkl.).
Der normale Energiebedarf eines heutigen Erwachsenen von Durchschnittsgröße und -gewicht beträgt bei ausreichender Bewegung 2550 kcal. Für eine einigermaßen gesunde Ernährung müssten täglich also 6,53 Euro ausgegeben werden. Der Hartz-IV-Tagessatz dafür beträgt jedoch nur lausige 3,85 Euro. Davon kann man sich bei optimierter Mischkost pro Tag 1504 kcal leisten — das reicht nicht mal, um den Grundumsatz der Körperfunktionen zu sichern. Ein Eckregelsatz, der nicht durch Mangelernährung krank macht, muss demnach gut 80 Euro über den Forderungen von DGB, LINKE usw. liegen, mindestens also bei 500 Euro!
Die Anhebung würde etwa 10—15 Milliarden Euro kosten, „Peanuts” gegen die Summen, die jetzt dem Kapital zugeschoben werden. Richtig wäre, die Banken und Konzerne für alle Kosten der Massenerwerbslosigkeit zur Kasse zu bitten, z.B. über einen Fonds, den allein die Wirtschaft zu tragen hätte (Verursacherprinzip)!

Von „Radikalität” weit entfernt

Die 500-Euro-Forderung ist eine recht bescheidene Mindestforderung — die Bescheidenheit ist allein der Schwäche der sozialen Bewegung geschuldet. Würde sie durchgesetzt, würde nicht nur die Lage von Erwerbslosen erleichtert, auch Lohndumping würde erschwert. Nicht mehr. Es ist fehl am Platz, hier von „armutsfest”, „sozialer Gerechtigkeit” oder „Menschenwürde” zu schwadronieren. Ein gesellschaftlicher Zustand, in dem die große Mehrheit ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen muss, Objekt kapitalistischer Verwertungsgesetze ist und nicht Herrin ihrer Lebensbedingungen, sollte nicht mit solchen Begriffen verkleistert werden.
Teils wird die Forderung als „Kosmetik an Hartz IV” kritisiert. Doch 150 Euro mehr im Monat sind keine Bagatelle. Richtig ist: Hartz IV ist mehr als der Regelsatz. Das sind auch die 1-Euro-Jobs, die Zumutbarkeitsbestimmungen, das Sanktionsregime u.v.m.
Ein Eckregelsatz von 500 Euro (damit auch ein höherer Satz für Kinder) wäre ein Beitrag, Lohndumping und billiger Entsorgung der für die Kapitalverwertung Überflüssigen entgegenzuwirken. Die Abwälzung der Krisenfolgen auf abhängig Beschäftigte und Erwerbslose würde erschwert.


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