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Anfang Februar empörte sich Heinrich Alt, Vorstandsmitglied
der Bundesagentur für Arbeit, in der Presse, „dass der, der nichts tut, von dieser
Gesellschaft stärker belohnt wird, als der, der morgens früh aufsteht, zur Arbeit
geht und lernen muss” Er will zunächst die Regelleistungen von Jugendlichen (U25)
gekürzt wissen. Neu ist das nicht — seit jeher ist die Senkung der Regelsätze
Standardforderung aller Unternehmerverbände. Mit der Krise erhält sie aber eine
besondere Brisanz.
Die Dachorganisation aller
Unternehmer in der BRD, DIHK, verlangt, dass 3—4 Euro pro Stunde für
Erwerbstätige „selbstverständlich und zumutbar” werden. Dafür
müssen die Hartz-IV-Sätze gedrückt werden. Sie wirken wie ein offizielles
Existenzminimum, das den weiteren Fall der Löhne bremst.
Der Eckregelsatz hätte bei Einführung von Hartz IV nach bis dahin gültiger
Bemessung 398 Euro statt 345 Euro betragen müssen. Früher zu 100% anerkannte
„regelsatzrelevante Ausgaben” wurden insgeheim um bis zu 40 % heruntermanipuliert.
Offen gekürzt wurden die Regelsätze für 7- bis 17-Jährige (für 7- bis
13-Jährige wird die Kürzung ab Juli 2009 zurückgenommen — aber befristet
auf 3 Jahre!).
Der Eckregelsatz errechnet
sich seit 1990 nicht mehr nach dem Bedarf, sondern nach dem „Statistikmodell”,
d.h. aus den Konsumausgaben des unteren Einkommensfünftels, das überproportional aus
Rentnerinnen und Rentnern besteht. Weil das Einkommen dieses Segments aber durch Lohndumping
und Rentenklau sinkt, wird auch das Regelsatzniveau gedrückt — eine sich
wechselseitig beschleunigende Abwärtsspirale. Resultat u.a.: 2004 waren im Eckregelsatz
noch 130,80 Euro für Nahrungsmittel und nichtalkoholische Getränke enthalten.
Preisbereinigt müsste deren Anteil heute auf 147 Euro gestiegen sein, ist aber auf 115,44
Euro gesunken!
Würden die Manipulationen bei der Einführung von Hartz IV rückgängig
gemacht und die Teuerung berücksichtigt, würde der Eckregelsatz heute mindestens 435
Euro betragen. Darauf beziehen sich DPWV, DGB, „Die Linke” und „Die
Grünen” mit ihren Forderungen von 420 bis 435 Euro. Sie akzeptieren damit jedoch
das „Statistikmodell” und berücksichtigen nicht, dass die — von diesem
Modell vorgegebene — Mangelernährung fortgeschrieben wird.
Das Forschungsinstitut
für Kinderernährung in Dortmund hat ausgerechnet, was eine „optimierte
Mischkost” (keine Bioware!) auf der Basis der Preismittelwerte von Discountern und
Supermärkten kostet. Danach mussten preisbereinigt im Juli 2008 für je 1000 kcal
Energiezufuhr 2,56 Euro gezahlt werden (Schwund und Verderb inkl.).
Der normale Energiebedarf
eines heutigen Erwachsenen von Durchschnittsgröße und -gewicht beträgt bei
ausreichender Bewegung 2550 kcal. Für eine einigermaßen gesunde Ernährung
müssten täglich also 6,53 Euro ausgegeben werden. Der Hartz-IV-Tagessatz dafür
beträgt jedoch nur lausige 3,85 Euro. Davon kann man sich bei optimierter Mischkost pro
Tag 1504 kcal leisten — das reicht nicht mal, um den Grundumsatz der
Körperfunktionen zu sichern. Ein Eckregelsatz, der nicht durch Mangelernährung krank
macht, muss demnach gut 80 Euro über den Forderungen von DGB, LINKE usw. liegen,
mindestens also bei 500 Euro!
Die Anhebung würde etwa
10—15 Milliarden Euro kosten, „Peanuts” gegen die Summen, die jetzt dem
Kapital zugeschoben werden. Richtig wäre, die Banken und Konzerne für alle Kosten
der Massenerwerbslosigkeit zur Kasse zu bitten, z.B. über einen Fonds, den allein die
Wirtschaft zu tragen hätte (Verursacherprinzip)!
Die 500-Euro-Forderung ist eine recht bescheidene Mindestforderung — die
Bescheidenheit ist allein der Schwäche der sozialen Bewegung geschuldet. Würde sie
durchgesetzt, würde nicht nur die Lage von Erwerbslosen erleichtert, auch Lohndumping
würde erschwert. Nicht mehr. Es ist fehl am Platz, hier von „armutsfest”,
„sozialer Gerechtigkeit” oder „Menschenwürde” zu schwadronieren.
Ein gesellschaftlicher Zustand, in dem die große Mehrheit ihre Arbeitskraft als Ware
verkaufen muss, Objekt kapitalistischer Verwertungsgesetze ist und nicht Herrin ihrer
Lebensbedingungen, sollte nicht mit solchen Begriffen verkleistert werden.
Teils wird die Forderung als
„Kosmetik an Hartz IV” kritisiert. Doch 150 Euro mehr im Monat sind keine
Bagatelle. Richtig ist: Hartz IV ist mehr als der Regelsatz. Das sind auch die 1-Euro-Jobs,
die Zumutbarkeitsbestimmungen, das Sanktionsregime u.v.m.
Ein Eckregelsatz von 500 Euro
(damit auch ein höherer Satz für Kinder) wäre ein Beitrag, Lohndumping und
billiger Entsorgung der für die Kapitalverwertung Überflüssigen
entgegenzuwirken. Die Abwälzung der Krisenfolgen auf abhängig Beschäftigte und
Erwerbslose würde erschwert.
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