SoZ - Sozialistische Zeitung |
In der tiefsten Krise der Autoindustrie versucht Daimler-Chef
Dieter Zetsche die Belegschaften auf Verzicht einzuschwören. Einschnitte seien
nötig, so Zetsche, um am Ende der Krise besser dazustehen als die Konkurrenz und ihr
Marktanteile abnehmen zu können. Dieselbe Melodie bei BMW, Audi, VW, Opel und Ford. Dass
es sich dabei nur um ein Nullsummenspiel handelt, liegt auf der Hand. Denn die weltweiten
Überkapazitäten von 20—30% in der Autoproduktion, sagt Fiat-Chef Sergio
Marchionne, müssen beseitigt werden, damit die Profitraten wieder steigen.
Für die aussortierten
Automobilbelegschaften hieße das: die Krise bezahlt — und dann doch gefeuert. Denn
ihre Gewerkschaft wirkt momentan nicht wirklich handlungsfähig. Die verharrt immer noch
in Schockstarre und weigert sich zur Kenntnis zu nehmen, dass am Ende keine neue
Sozialpartnerschaft stehen wird, sondern eine dramatische Niederlage droht. Der Zombie
„Bündnis für Arbeit” wird wieder ausgegraben. Und die kritische Distanz
zu den Krisenlösungsrezepten der Autobosse begraben.
Seit Frühjahr 2007
springen der Vorstand der IG Metall und die Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Autokonzerne
den Vorständen dieser Konzerne willig zur Seite, wenn CO2-Grenzwerte aufgeweicht,
Öko-Strafzahlungen verhindert und Abwrackprämien durchgesetzt werden sollen. Das ist
ein Rückfall um zwanzig Jahre.
Mitte der 80er Jahre hatte die
IG Metall noch gewagt, das westliche Transportmodell „Pkw-Individualverkehr” mit
seinen ökologischen und sozialen Kosten in Frage zu stellen. Konzepte von integrierten
Verkehrssystemen mit Priorität auf dem öffentlichen Transport wurden diskutiert und
in der Mitgliedschaft popularisiert: „Wenn die Beschäftigung in der Automobil- und
Zulieferindustrie aus umwelt- oder verkehrspolitischen Gründen ... im Trend
zurückgeht, dann muss über neue Beschäftigungsperspektiven nachgedacht
werden”, schrieb der IG-Metall-Vorstand 1990 in seinem Papier „Auto, Umwelt und
Verkehr” Er kritisierte die Strategie der Konzerne, das westliche Mobilitätsmodell
weltweit durchzusetzen: „Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass eine weltweite
Angleichung der Pkw-Dichte an das Niveau der ... Industrieländer ... katastrophal
für den Energie-, Rohstoff- und Klimahaushalt der Erde wäre."
Solche Töne sind aus der
IG-Metall-Zentrale heute kaum mehr zu hören. Wer den Kopf jedoch nicht in den Sand
steckt, kann sehen, dass die Krisensituationen heute um Potenzen gravierender sind als damals.
Und dass die Antwort auf diese Herausforderung deshalb keinesfalls heißen kann:
„Augen zu und durch” oder gar „Weiter so” Denn heute geht es nicht nur
um einen „Trend zum Personalabbau” Es geht um Arbeitsplatzvernichtung in bisher
nicht gekannten Dimensionen. Und es geht, angesichts von Klimakatastrophe und Peak Oil, um
eine dringend nötige Veränderung unseres Mobilitätsmodells weg vom Pkw-
beherrschten Individualverkehr. Wer den Kopf nicht in den Sand steckt, kann heute auch schon
wissen, dass auch Hybrid- und Elektroantriebe keine weltweit verallgemeinerbare Antwort auf
Peak Oil sind. Denn auch dafür gäbe es weltweit die Rohstoffe in erforderlicher
Menge nicht.
Es gibt allerdings einen
Rohstoff, der im Überfluss vorhanden ist: das Produktionswissen und die technische
Kreativität der Facharbeiter und Entwickler in den Autobetrieben. Sie können nicht
nur Verbrennungs-, Hybrid- oder Elektromotoren für Pkw bauen.
In der Strukturkrise der
britischen Flugzeugindustrie Mitte der 70er Jahre wehrte sich die Belegschaft des
Kriegsflugzeugbauers Lucas Aerospace gegen ihre Abwicklung unter der Parole: „Statt
Waffen nützliche Dinge produzieren!"
In der deutschen Werftenkrise
gründeten Gewerkschafter, Ingenieure und Facharbeiter von Blohm & Voss
„Konversionsarbeitskreise”, um die Produktion auf sozial sinnvolle und
ökologisch verträgliche Produkte umzustellen. Die Kollegen der Autoindustrie
können ihr Wissen für das notwendige Umsteuern ebenso nutzbar machen, wie damals
ihre Kollegen von Lucas und Blohm & Voss.
Gewollt und organisiert von
der Gewerkschaft vor Ort, flankiert von Mobilisierungen gegen Arbeitsplatzvernichtung und
für radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn, könnte dies ein Schritt
sein, um das vor uns liegende „Zeitfenster” weit aufzustoßen und eine
alternative Produktion in Angriff zu nehmen.
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