SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2009, Seite 13

Krise:

Kein „Weiter so!” in der Autoindustrie

von Tom Adler

In der tiefsten Krise der Autoindustrie versucht Daimler-Chef Dieter Zetsche die Belegschaften auf Verzicht einzuschwören. Einschnitte seien nötig, so Zetsche, um am Ende der Krise besser dazustehen als die Konkurrenz und ihr Marktanteile abnehmen zu können. Dieselbe Melodie bei BMW, Audi, VW, Opel und Ford. Dass es sich dabei nur um ein Nullsummenspiel handelt, liegt auf der Hand. Denn die weltweiten Überkapazitäten von 20—30% in der Autoproduktion, sagt Fiat-Chef Sergio Marchionne, müssen beseitigt werden, damit die Profitraten wieder steigen.
Für die aussortierten Automobilbelegschaften hieße das: die Krise bezahlt — und dann doch gefeuert. Denn ihre Gewerkschaft wirkt momentan nicht wirklich handlungsfähig. Die verharrt immer noch in Schockstarre und weigert sich zur Kenntnis zu nehmen, dass am Ende keine neue Sozialpartnerschaft stehen wird, sondern eine dramatische Niederlage droht. Der Zombie „Bündnis für Arbeit” wird wieder ausgegraben. Und die kritische Distanz zu den Krisenlösungsrezepten der Autobosse begraben.
Seit Frühjahr 2007 springen der Vorstand der IG Metall und die Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Autokonzerne den Vorständen dieser Konzerne willig zur Seite, wenn CO2-Grenzwerte aufgeweicht, Öko-Strafzahlungen verhindert und Abwrackprämien durchgesetzt werden sollen. Das ist ein Rückfall um zwanzig Jahre.
Mitte der 80er Jahre hatte die IG Metall noch gewagt, das westliche Transportmodell „Pkw-Individualverkehr” mit seinen ökologischen und sozialen Kosten in Frage zu stellen. Konzepte von integrierten Verkehrssystemen mit Priorität auf dem öffentlichen Transport wurden diskutiert und in der Mitgliedschaft popularisiert: „Wenn die Beschäftigung in der Automobil- und Zulieferindustrie aus umwelt- oder verkehrspolitischen Gründen ... im Trend zurückgeht, dann muss über neue Beschäftigungsperspektiven nachgedacht werden”, schrieb der IG-Metall-Vorstand 1990 in seinem Papier „Auto, Umwelt und Verkehr” Er kritisierte die Strategie der Konzerne, das westliche Mobilitätsmodell weltweit durchzusetzen: „Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass eine weltweite Angleichung der Pkw-Dichte an das Niveau der ... Industrieländer ... katastrophal für den Energie-, Rohstoff- und Klimahaushalt der Erde wäre."
Solche Töne sind aus der IG-Metall-Zentrale heute kaum mehr zu hören. Wer den Kopf jedoch nicht in den Sand steckt, kann sehen, dass die Krisensituationen heute um Potenzen gravierender sind als damals. Und dass die Antwort auf diese Herausforderung deshalb keinesfalls heißen kann: „Augen zu und durch” oder gar „Weiter so” Denn heute geht es nicht nur um einen „Trend zum Personalabbau” Es geht um Arbeitsplatzvernichtung in bisher nicht gekannten Dimensionen. Und es geht, angesichts von Klimakatastrophe und Peak Oil, um eine dringend nötige Veränderung unseres Mobilitätsmodells weg vom Pkw- beherrschten Individualverkehr. Wer den Kopf nicht in den Sand steckt, kann heute auch schon wissen, dass auch Hybrid- und Elektroantriebe keine weltweit verallgemeinerbare Antwort auf Peak Oil sind. Denn auch dafür gäbe es weltweit die Rohstoffe in erforderlicher Menge nicht.
Es gibt allerdings einen Rohstoff, der im Überfluss vorhanden ist: das Produktionswissen und die technische Kreativität der Facharbeiter und Entwickler in den Autobetrieben. Sie können nicht nur Verbrennungs-, Hybrid- oder Elektromotoren für Pkw bauen.
In der Strukturkrise der britischen Flugzeugindustrie Mitte der 70er Jahre wehrte sich die Belegschaft des Kriegsflugzeugbauers Lucas Aerospace gegen ihre Abwicklung unter der Parole: „Statt Waffen nützliche Dinge produzieren!"
In der deutschen Werftenkrise gründeten Gewerkschafter, Ingenieure und Facharbeiter von Blohm & Voss „Konversionsarbeitskreise”, um die Produktion auf sozial sinnvolle und ökologisch verträgliche Produkte umzustellen. Die Kollegen der Autoindustrie können ihr Wissen für das notwendige Umsteuern ebenso nutzbar machen, wie damals ihre Kollegen von Lucas und Blohm & Voss.
Gewollt und organisiert von der Gewerkschaft vor Ort, flankiert von Mobilisierungen gegen Arbeitsplatzvernichtung und für radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn, könnte dies ein Schritt sein, um das vor uns liegende „Zeitfenster” weit aufzustoßen und eine alternative Produktion in Angriff zu nehmen.

Der Autor ist IG-Metall-Betriebsrat bei Daimler in Stuttgart- Untertürkheim.


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