SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2009, Seite 14

30 Stunden arbeiten

statt 40 Stunden arbeitslos!

von Stephan Krull

Hunderttausende müssen wegen der Krise kurzarbeiten und werden arbeitslos. Beides wird aus der Arbeitslosenversicherung, also von uns, den abhängig Beschäftigten, bezahlt. Die mühsam erkämpfte 35-Stunden-Woche ist löchrig geworden wie ein Schweizer Käse — die Tages-, Wochen- und Lebensarbeitszeit wird immer länger. Menschen verzweifeln an zuviel Arbeit, andere Menschen verzweifeln daran, keine (Erwerbs-)Arbeit zu haben, sie fühlen sich „überflüssig”
Es gibt Arbeit, für die Unternehmen gar nichts bezahlen, meistens jedoch ist die Bezahlung nicht ausreichend. Von 1- Euro-Jobs, von einem Stundenlohn zwischen 3 und 8 Euro kann niemand angemessen leben. So strampeln wir uns ab, den kargen Lohn durch längere Arbeitstage auszugleichen, damit wir unseren Lebensstandard halbwegs halten können.
Dass Unternehmen das durchsetzen können, liegt an der Massenarbeitslosigkeit. Die Produktion wandert um den Globus dorthin, wo die Profite am höchsten sind; in allen Ländern werden die Menschen in Konkurrenz gegeneinander gesetzt, Gewerkschaften systematisch geschwächt, Löhne gesenkt und Arbeitszeiten verlängert. Viele leben im „abgehängten Prekariat”, alle haben Angst davor. Denen da oben ist es gelungen, nur noch „Arbeit, Arbeit, Arbeit” zu rufen und die Frage nach ihrer Qualität völlig hintan zu stellen. Begriffe werden auf den Kopf gestellt: Sozial ist jetzt, was Arbeit schafft.
Um die „Zeit, wo du dem Boss gehörst”, wurde viele Jahrzehnte hart gerungen: im 19.Jahrhundert gegen Kinderarbeit und für den 10-Stunden-Tag; der 8-Stunden-Tag wurde erst durch die Revolution 1918 durchgesetzt, so auch der arbeitsfreie Sonntag. Nach 1945 ging es um die 40- Stunden-Woche und die 5-Tage-Woche, ab den 80er Jahren um die 35 Stunden.
Der Arbeitszeitverkürzung ist zu verdanken, dass es trotz technischer Entwicklung und Produktivitätssteigerungen viele Jahre lang nahezu Vollbeschäftigung gab. Die 30-Stunden-Woche bei VW und der Tarifvertrag zur Beschäftigungsförderung in der niedersächsischen Metallindustrie sicherten viele Arbeitsplätze, fanden aber wenig Nachahmung.
So geht es nicht weiter. Das zeigt nicht nur die Wirtschaftskrise, das zeigt auch die Nahrungs-, Energie- und Klimakrise. Statt Automobilhersteller mit Milliarden zu füttern, die sie in überaltete Technologien stecken, müsste das Geld in ganz neue Konzepte, Produkte und Technologien gesteckt werden, die uns von fossilen Brennstoffen unabhängig machen. Die Zeit des Umbruchs muss für neue Konzepte, neue Produkte, neue Qualifikationen und grundlegende Alternativen genutzt werden.
Auch die Debatte über die Arbeitszeit muss neu entfacht werden. Dazu haben Wissenschaftler und Gewerkschafter in Attac einen Vorschlag gemacht:
"Wir plädieren für Arbeitszeitverkürzung mit sozial gestaffeltem Einkommensausgleich ... In oberen Einkommensgruppen ist gutes Leben mit mehr Zeitwohlstand auf der Basis des Verdienstes von kürzeren Arbeitszeiten möglich. Für weniger Verdienende ... sind finanzielle Ausgleiche zu schaffen. Wir schlagen vor, den Lohnausgleich dadurch zu finanzieren, dass die durch den Rückgang der Arbeitslosigkeit freiwerdenden Mittel für Ausgleichszahlungen an Bezieher unterer und mittlerer Einkommen eingesetzt werden."
Dieser Vorschlag ist in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen umstritten, weil mit der Produktivität die Gewinne steigen und die Unternehmer Lohnausgleich bezahlen müssen.
Nur eine radikale Arbeitszeitverkürzung hilft, das Problembündel „Arbeitslosigkeit, ungerechte internationale Arbeitsteilung, ungerechte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und den Generationen” zu lösen. Gute Arbeit ist kürzere Arbeit und eine gerechte Verteilung von Arbeit und arbeitsfreier Zeit.
Der erste Schritt ist die Einführung der 30-Stunden-Woche. Eine „kurze Vollzeit” von 30 Stunden pro Woche entspricht den Wünschen vieler Menschen. Damit können die ihre Arbeitszeit verkürzen, die heute (zu) lange arbeiten, und diejenigen sie verlängern, die in Mini-Jobs oder Teilzeitarbeit nicht existenzsichernd arbeiten. Der zweite Schritt ist die 4- Tage-Woche.
Soziale Bewegungen, Kirchen, Frauenbewegung u.a. — für alle gewinnt die Arbeitszeit an Bedeutung. Deshalb ist es sinnvoll, die dazugehörigen Themen gemeinsam zu diskutieren: die Geschlechtergerechtigkeit, den Anspruch auf ein Leben in Würde, demografische Entwicklung und Gesundheit.
Vom Parlament verlangen wir ein Gesetz, das freiwillige Arbeitszeitverkürzung ermöglicht. Wenn dazu die Fahrten zur Arbeit reduziert werden, lässt sich Familie/Beziehung und Lohnarbeit endlich wieder besser vereinbaren.
Wir brauchen dazu gute Tarifverträge und gute gesetzliche Regelungen.
Das Arbeitsvolumen ist in den letzten 30 Jahren stetig gesunken und wird weiter sinken. Die Frage ist nur, wie es sich verteilt. Mit einem guten Leben schonen wir uns und die Umwelt und gewinnen Zeit zum leben, lernen, lieben und lachen!


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