SoZ - Sozialistische Zeitung |
Hunderttausende müssen wegen der Krise kurzarbeiten und
werden arbeitslos. Beides wird aus der Arbeitslosenversicherung, also von uns, den
abhängig Beschäftigten, bezahlt. Die mühsam erkämpfte 35-Stunden-Woche ist
löchrig geworden wie ein Schweizer Käse — die Tages-, Wochen- und
Lebensarbeitszeit wird immer länger. Menschen verzweifeln an zuviel Arbeit, andere
Menschen verzweifeln daran, keine (Erwerbs-)Arbeit zu haben, sie fühlen sich
„überflüssig”
Es gibt Arbeit, für die
Unternehmen gar nichts bezahlen, meistens jedoch ist die Bezahlung nicht ausreichend. Von 1-
Euro-Jobs, von einem Stundenlohn zwischen 3 und 8 Euro kann niemand angemessen leben. So
strampeln wir uns ab, den kargen Lohn durch längere Arbeitstage auszugleichen, damit wir
unseren Lebensstandard halbwegs halten können.
Dass Unternehmen das
durchsetzen können, liegt an der Massenarbeitslosigkeit. Die Produktion wandert um den
Globus dorthin, wo die Profite am höchsten sind; in allen Ländern werden die
Menschen in Konkurrenz gegeneinander gesetzt, Gewerkschaften systematisch geschwächt,
Löhne gesenkt und Arbeitszeiten verlängert. Viele leben im „abgehängten
Prekariat”, alle haben Angst davor. Denen da oben ist es gelungen, nur noch
„Arbeit, Arbeit, Arbeit” zu rufen und die Frage nach ihrer Qualität
völlig hintan zu stellen. Begriffe werden auf den Kopf gestellt: Sozial ist jetzt, was
Arbeit schafft.
Um die „Zeit, wo du dem
Boss gehörst”, wurde viele Jahrzehnte hart gerungen: im 19.Jahrhundert gegen
Kinderarbeit und für den 10-Stunden-Tag; der 8-Stunden-Tag wurde erst durch die
Revolution 1918 durchgesetzt, so auch der arbeitsfreie Sonntag. Nach 1945 ging es um die 40-
Stunden-Woche und die 5-Tage-Woche, ab den 80er Jahren um die 35 Stunden.
Der Arbeitszeitverkürzung
ist zu verdanken, dass es trotz technischer Entwicklung und Produktivitätssteigerungen
viele Jahre lang nahezu Vollbeschäftigung gab. Die 30-Stunden-Woche bei VW und der
Tarifvertrag zur Beschäftigungsförderung in der niedersächsischen
Metallindustrie sicherten viele Arbeitsplätze, fanden aber wenig Nachahmung.
So geht es nicht weiter. Das
zeigt nicht nur die Wirtschaftskrise, das zeigt auch die Nahrungs-, Energie- und Klimakrise.
Statt Automobilhersteller mit Milliarden zu füttern, die sie in überaltete
Technologien stecken, müsste das Geld in ganz neue Konzepte, Produkte und Technologien
gesteckt werden, die uns von fossilen Brennstoffen unabhängig machen. Die Zeit des
Umbruchs muss für neue Konzepte, neue Produkte, neue Qualifikationen und grundlegende
Alternativen genutzt werden.
Auch die Debatte über die
Arbeitszeit muss neu entfacht werden. Dazu haben Wissenschaftler und Gewerkschafter in Attac
einen Vorschlag gemacht:
"Wir plädieren
für Arbeitszeitverkürzung mit sozial gestaffeltem Einkommensausgleich ... In oberen
Einkommensgruppen ist gutes Leben mit mehr Zeitwohlstand auf der Basis des Verdienstes von
kürzeren Arbeitszeiten möglich. Für weniger Verdienende ... sind finanzielle
Ausgleiche zu schaffen. Wir schlagen vor, den Lohnausgleich dadurch zu finanzieren, dass die
durch den Rückgang der Arbeitslosigkeit freiwerdenden Mittel für Ausgleichszahlungen
an Bezieher unterer und mittlerer Einkommen eingesetzt werden."
Dieser Vorschlag ist in
Gewerkschaften und sozialen Bewegungen umstritten, weil mit der Produktivität die Gewinne
steigen und die Unternehmer Lohnausgleich bezahlen müssen.
Nur eine radikale
Arbeitszeitverkürzung hilft, das Problembündel „Arbeitslosigkeit, ungerechte
internationale Arbeitsteilung, ungerechte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und den
Generationen” zu lösen. Gute Arbeit ist kürzere Arbeit und eine gerechte
Verteilung von Arbeit und arbeitsfreier Zeit.
Der erste Schritt ist die
Einführung der 30-Stunden-Woche. Eine „kurze Vollzeit” von 30 Stunden pro
Woche entspricht den Wünschen vieler Menschen. Damit können die ihre Arbeitszeit
verkürzen, die heute (zu) lange arbeiten, und diejenigen sie verlängern, die in
Mini-Jobs oder Teilzeitarbeit nicht existenzsichernd arbeiten. Der zweite Schritt ist die 4-
Tage-Woche.
Soziale Bewegungen, Kirchen,
Frauenbewegung u.a. — für alle gewinnt die Arbeitszeit an Bedeutung. Deshalb ist es
sinnvoll, die dazugehörigen Themen gemeinsam zu diskutieren: die
Geschlechtergerechtigkeit, den Anspruch auf ein Leben in Würde, demografische Entwicklung
und Gesundheit.
Vom Parlament verlangen wir
ein Gesetz, das freiwillige Arbeitszeitverkürzung ermöglicht. Wenn dazu die Fahrten
zur Arbeit reduziert werden, lässt sich Familie/Beziehung und Lohnarbeit endlich wieder
besser vereinbaren.
Wir brauchen dazu gute
Tarifverträge und gute gesetzliche Regelungen.
Das Arbeitsvolumen ist in den
letzten 30 Jahren stetig gesunken und wird weiter sinken. Die Frage ist nur, wie es sich
verteilt. Mit einem guten Leben schonen wir uns und die Umwelt und gewinnen Zeit zum leben,
lernen, lieben und lachen!
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |