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Die Krise begann nicht mit dem Finanzkrach, eher war der
Finanzkrach eine der ersten Folgen der einsetzenden Krise.
Firmenzusammenbrüche,
staatliche Finanzhilfen, Streit um Wechselkurse, Konjunkturprogramme und Marktanteile,
Proteste, Streiks und Regierungsumbildungen: Schien der Kapitalismus vor der Krise noch ein
Naturgesetz zu sein, das man beklagen, aber nicht ändern konnte, herrscht nunmehr schwer
durchschaubares Chaos. Um die Möglichkeiten, die sich in der Krise auftun, zu nutzen,
darf man sich freilich davon nicht erschlagen lassen.
Über die Pleiten von AIG,
Lehman Brothers, Washington Mutual und die Übernahme der Investmentbanken Morgan Stanley
und Goldman Sachs durch reguläre Geschäftsbanken im September 2008 vergisst man
leicht, dass die gegenwärtige Krise eine Vorgeschichte hat, die bis ins Jahr 2004
zurückreicht.
In jenem Jahr erreichte der
Wirtschaftsaufschwung in den USA, nach einer milden Rezession 2001, seinen Höhepunkt.
Seither sind die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten rückläufig. Die Zunahme der
Investitionen setzte sich noch bis 2006 fort, erst danach sanken auch sie. Der Verkauf von
privaten Häusern erreichte seinen Höhepunkt 2005, die hierfür durchschnittlich
gezahlten Preise ihren Spitzenwert ein Jahr später.
Das nachlassende Wachstum der
Nachfrage, das von einem Rückgang der Unternehmensgewinne begleitet war, führte
zusammen mit sinkenden Dollarkursen ab 2006 zu einer Verringerung des amerikanischen
Handelsbilanzdefizits. Damit übertrug sich die Wachstumsschwäche in den USA auf die
große Zahl der Länder, deren Wirtschaft in hohem Maße von Exporten in die USA
abhängig sind. Der Weg in eine zyklische Rezession war demnach seit 2004 vorgezeichnet
und seit 2006 kaum noch zu übersehen.
Ganz gewiss haben die Anlagestrategen bei den Investmentbanken, Pensionsfonds und
Hedgefonds die kleineren Margen im Immobiliengeschäft wahrgenommen und Kapital in
großem Umfang umgeschichtet. An die Stelle der Immobilienblase trat nun eine Rohstoff-
und Lebensmittelblase.
Besonders prominent war
hierbei die Entwicklung des Ölpreises. 1999 wurde ein Barrel noch für kaum mehr als
10 Dollar verkauft, Mitte 2006 war der Preis auf rund 80 Dollar gestiegen, Anfang 2007 fiel er
noch einmal auf knapp über 50 Dollar und schoss danach auf einen Höchstwert von 145
Dollar im Sommer 2008.
Das führte nicht nur zu
Rekordgewinnen der Ölindustrie, sondern beflügelte die Investitionsneigung des
privaten Kapitals insgesamt, wie die Kursentwicklung des Dow-Jones-Index eindrucksvoll zeigt.
Er kletterte von rund 11000 Punkten im Jahre 2006 — als Investoren und Ökonomen die
nächste Rezession bereits hätten absehen können — auf knapp 14000 im
Sommer 2007. Die Entwicklung der Börsenkurse verlief damals konträr zu
realwirtschaftlichen Indikatoren wie Sozialprodukt, Investitionen oder Unternehmensgewinne.
In den Medien wurde freilich
das Bild eines ungebremsten Wachstums gezeichnet, das bestenfalls durch den Energie- und
Rohstoffhunger aufstrebender Regionalmächte unter Führung Chinas bedroht werden
könnte. Diese Darstellung überging nicht nur die bereits wirkenden Krisentendenzen,
sondern auch die Tatsache, dass die steigenden Energie-, Rohstoff- und Lebensmittelpreise
durch einen Zustrom von anlagesuchendem Finanzkapital verursacht war und die Armen dieser Welt
auf Hungerration setzte.
Hohe Öl- und
Rohstoffpreise sind freilich auch ein Problem für jene, denen es nur auf die Vermehrung
von Tauschwert ankommt. Aller Finanzzirkulation zum Trotz können sie sich nicht aus ihrer
Abhängigkeit von lebendiger Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen befreien.
Steigende Rohstoffpreise verhelfen zwar den Unternehmen in diesem Sektor zu riesigen Gewinnen,
in allen anderen Sektoren wirken sie jedoch als Kostenfaktor bzw. sie verringern die reale
Kaufkraft privater Haushaltseinkommen.
Der zyklische
Nachfragerückgang seit 2004 wurde deshalb durch die kurze, aber heftige
Rohstoffspekulation 2006—2008 verstärkt. Im September konnte der Widerspruch
zwischen den Einkommensansprüchen aus Wertpapierbesitz und der zur Verteilung anstehender
Mehrwertmasse auch durch noch so kreative Buchführung und Schaffung fiktiver
Vermögenstitel nicht mehr überbrückt werden. Der Finanzsektor, dem diese
Aufgabe im Finanzmarktkapitalismus zugefallen war, strauchelte und wurde nur mit Hilfe
staatlicher Liquiditäts- und Finanzhilfen sowie vereinzelter Verstaatlichungen vor dem
Zusammenbruch gerettet.
Die Finanzkrise und die
staatlichen Rettungsaktionen hatten zwei Effekte: Erstens beschleunigte sich der
realwirtschaftliche Abschwung, zweitens schaltete der Staat von einer Politik der
Marktöffnung auf Eingriffe in Eigentumsverhältnisse, Unternehmensfinanzierung und
auf Nachfragemanagement um. So ist die Auslastung der Produktionskapazitäten in den USA
von 78,3% im August auf 75% im September und 73,6% im Dezember 2008 gesunken. Umgekehrt
schnellte die Arbeitslosigkeit von August an von 6,2% auf 7,6% im Januar hoch.
Die sinkende Investitions- und
Konsumgüternachfrage hat auch zu einem Rückgang des Welthandelsvolumens
geführt. Das amerikanische Handelsbilanzdefizit hat einen Rückgang erlebt wie seit
der Wirtschaftskrise zu Beginn der 90er Jahre nicht mehr; das hat dazu geführt, dass die
Krise sich in den exportabhängigen Ländern ausgebreitet hat.
Durch massive Zentralbankinterventionen, staatliche Geldspritzen und Bürgschaften
konnte ein Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems, der einen Zusammenbruch der
Warenzirkulation nach sich gezogen hätte, allerdings verhindert werden. Der totale
Absturz der Investitionsneigung konnte aufgehalten werden und ist seither nervöser
Anspannung gewichen. Deutlich ablesen lässt sich dies am Absturz der Börsenkurse im
September 2008, auf den seit Oktober ein wildes Auf und Ab auf deutlich niedrigerem Niveau
folgte. Seither heißt es für Finanzhändler, Konzernstrategen und Politiker erst
mal Durchatmen, die eigene Position konsolidieren und die nächsten Schritte bestimmen.
Bislang hat diese Atempause
zur Wiederbelebung alter, liebgewonnener liberaler Reflexe geführt. Die staatlichen
Ausgabenprogramme, die im Herbst letzten Jahres Hals über Kopf in vielen Ländern
aufgelegt wurden, wurden soweit mit Steuersenkungen verwässert, dass von ihnen kaum ein
Nachfrage- oder gar Beschäftigungsimpuls erwartet werden kann.
Unternehmen und
einkommensstarke Haushalte halten ebenso wie Haushalte aus der Arbeiterklasse, die von
Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht sind — allerdings aus sehr unterschiedlichen
Gründen — ihr Geld lieber fest, als es schnell in Umlauf zu bringen. Selbst im
konsumfreudigen Amerika ist die Sparquote der privaten Haushalte — die Arm und Reich
statistisch gleichsetzt — von 0% im April 2008 auf 3,6% gestiegen — ein Wert der
zuletzt im September 2001 erreicht wurde.
Nur die US-Regierung zeigt
sich ausgabenfreudig und kombiniert ohne übertriebene Rücksicht auf steigende
Budgetdefizite Steuergeschenke mit erheblichen zusätzlichen Staatsausgaben — auch
dies entspricht dem wirtschaftspolitischen Muster der neoliberalen Jahrzehnte.
Die Europäer, die sich
trotz Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds nicht zu einem gemeinsamen
Konjunkturprogramm haben durchringen können, hoffen, einen tüchtigen Bissen vom
amerikanischen Nachfragekuchen abzubekommen. Die Regierungen in Berlin, London und Paris
springen Finanz- und Industrieunternehmen bei, um „ihre” Wirtschaft im Kampf um
Anteile auf einem schrumpfenden Weltmarkt in Position zu bringen, warnen die USA aber vor
protektionistischen Maßnahmen.
Die Subventionen dienen,
ähnlich wie in den Kohle- und Stahlkrisen der 70er und frühen 80er Jahre, nicht der
Vermeidung von Firmenpleiten und Massenentlassungen, sondern der politisch geförderten
Zentralisation des Kapitals. Nähere Auskünfte erteilen die Conti- bzw. Postbank-
Übernehmer Schaeffler und Ackermann.
Hier vermischt sich das
Bemühen, an neoliberalen Rezepten festzuhalten, mit Interventionen, die eingefleischten
Liberalen normalerweise als Teufelszeug gelten. Vom Einheitsdenken, das den Neoliberalismus
noch vor wenigen Jahren als monolithischen Block erschienen ließ, ist nichts mehr
übrig geblieben.
Neben das gemeinsame Bestreben
aller Kapitalisten, die Lasten der Krise auf die Arbeiterklasse der Welt abzuwälzen, sind
massive Konflikte zwischen den verschiedenen Kapitalfraktionen getreten, insbesondere zwischen
Industrie- und Finanzkapital, sowie Spannungen zwischen den Regierungen der kapitalistischen
Hauptländer.
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