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Diese Wunde ist auch nach 90 Jahren noch nicht verheilt: Am
15.Januar erklärte Hans-Ulrich Wehler zum Mord an Luxemburg und Liebknecht in
Deutschlandradio Kultur: „Wer den Bürgerkrieg entfesselt, lebt immer im Angesicht
des Todes” Klaus Gietinger, der eine Biografie über den Mordorganisator, Waldemar
Pabst, geschrieben hat, antwortet ihm.
Vor Jahrzehnten kursierte in
rechtsextremen Kreisen der Reim „Brandt an die Wand” Hans-Ulrich Wehler,
Historiker mit SPD-Parteibuch, denkt ähnlich, nur hat er Willy Brandt mit Luxemburg und
Liebknecht vertauscht. In einem Interview mit dem Deutschlandradio gab er den Experten
für Standrecht: „Wer den Bürgerkrieg entfesselt, lebt immer im Angesicht des
Todes, wenn er von der Gegenseite erwischt wird, wird er an die Wand gestellt."
Wehler behauptet, Luxemburg
und Liebknecht hätten den Bürgerkrieg entfesselt. Nicht Friedrich Ebert und die
Führung der SPD waren es also, die halfen den Krieg zu entfesseln — erst den Ersten
Weltkrieg mit der Zustimmung zu Kriegskrediten (seit 1913) und Kriegsverbrechen (Noske in
Belgien 1914); dann den Bürgerkrieg durch das Bündnis von General Groener mit
„Reichskanzler” Ebert (10.11.1918). Der Bürgerkrieg begann mit dem Versuch,
die Arbeiter- und Soldatenräte mit Hilfe eines (misslungenen) Militärputschs
während der „Heimkehr der Fronttruppen” (10.12.1918) auch physisch zu
liquidieren ("Jeder der Waffen besitzt wird erschossen"), und setzte sich fort mit dem
Angriff auf die Volksmarinedivision an Weihnachten 1918. Ebert billigte ersteren
Bürgerkriegsversuch und befahl Letzteres.
Die Ermordeten waren also
schuld?!
Nicht einmal den
Januaraufstand haben sie entfesselt. Der entstand spontan und massenhaft als Reaktion auf die
Absetzung des USPD-Polizeipräsidenten Emil Eichhorn. Liebknecht und Luxemburg schlossen
sich zwar an, waren aber nicht die Urheber.
Als der Aufstand längst
mit brutalster Gewalt niedergeschlagen war (nämlich vier Tage später, am 15.1.1919)
wurden die beiden aus ihrem Versteck heraus widerrechtlich — es ist nie ein Haftbefehl
aufgetaucht — festgesetzt und ins Eden-Hotel, dem Stabsquartier des militärisch
mächtigsten Mannes Berlins, Hauptmann Waldemar Pabst, verschleppt. Pabst beschloss ihre
Ermordung, ließ sich aber in einem Telefongespräch mit dem zivilen Oberbefehlshaber
der Regierungstruppen, Gustav Noske (SPD), das Ganze noch billigen. Noske hatte zuerst
vorgeschlagen, Pabsts militärischen Oberbefehlshaber, General Walther von Lüttwitz,
um den Tötungsbefehl zu bitten. Doch Pabst wusste, den würde er von diesem nicht
bekommen. Also verantwortete er selbst, wie es ihm Noske riet, was zu tun war.
Wehler leugnet in seinem
Interview mit dem Deutschlandradio, anders als einige seiner Parteikollegen, nicht die von mir
entdeckten Aussagen Pabsts bezüglich seiner Zusammenarbeit mit der SPD-Führung,
nein, er versucht sie zu rechtfertigen und zwar ganz speziell.
Als vermeintlicher Kenner der
Angelegenheit heißt er den Doppelmord indirekt gut, indem er angibt, Luxemburg und
Liebknecht wären sowieso abends vor ein Standgericht gekommen und erschossen worden. Auch
diese so plausibel klingende eiskalte Antwort soll näher angesehen werden.
Nach dem preußischen
Gesetz über den Belagerungszustand (4.6.1851), auf dessen Basis Noske ausdrücklich
den Aufstand im Januar 1919 niederschlug, bedurfte es zu einem Standgerichtsurteil zweier
ziviler Beisitzer, zweier Offiziere und einer Frist von 24 Stunden bis zur Vollstreckung. Und
nun der Haken: Der militärische Oberbefehlshaber, in dem Fall General Lüttwitz,
hatte es zu bestätigen. Pabst aber wusste, dass der sich das nicht trauen würde,
also handelte er (mit Deckung der SPD) eigenmächtig. Schon hier, auf der rein
juristischen Ebene, ist Wehler widerlegt.
Doch auch praktisch zeigt
sich, auf welches Glatteis der SPD-Historiker geraten ist. Georg Ledebour (USPD), der sich
maßgeblich am Januaraufstand beteiligt hatte, wurde am 11.1.1919 verhaftet, zu einer Zeit
als noch gekämpft wurde. Er wurde vom Stadtkommandanten, dem zwielichtigen ehemaligen
Franziskanermönch Anton Fischer (SPD), zwar verbal mit dem Tode bedroht, aber vor kein
Standgericht gestellt. Da man versäumt hatte, ihn gleich zu erledigen, traute man sich
dies jetzt nicht mehr. Vor allem ein Standgericht schien sehr unsicher — das gab es
übrigens höchst selten, die Verhafteten wurden meist gleich „auf der Flucht
erschossen”
Im Mai 1919 jedoch wurde
Ledebour, der Monate ohne Haftbefehl eingesperrt war, vor ein Zivilgericht gestellt. Der
Staatsanwalt Karl Zumbroich, der später Hochverrat beging, als er sich im Kapp-Putsch zum
Justizminister ausrufen ließ, traute sich nicht, Ledebour, der sich im Übrigen zu
seiner revolutionären Tat voll bekannte, wegen Hochverrats anzuklagen. Aus gutem Grund.
Da im Januar 1919 die alte Reichsverfassung nicht mehr galt, aber noch keine neue da war (die
trat erst im August mit der Weimarer Verfassung in Kraft) — also auch die Handlungen
Ledebours als Handlungen in einer revolutionären Situation gesehen werden mussten —
versuchte Zumbroich, Ledebour über die Straftatbestände der Bildung bewaffneter
Haufen und des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz zu kriegen. Auch damit scheiterte
er. Die dem Angeklagten keinesfalls wohlgesonnenen Geschworenen, sprachen Ledebour frei, da er
weder einen bewaffneten Haufen angeführt, noch Handgranaten geworfen hatte.
So wäre es mit Liebknecht
und Luxemburg auch geschehen. Rein rechtlich konnte man ihnen nichts, denn selbst die Gesetze
aus der Kaiserzeit hatten noch etwas mit Recht zu tun, die Handlungen der SPD-Regierung und
ihrer Freikorps jedoch nicht.
Dies führt uns zu einem
weiteren Punkt in der Wehlerschen Argumentation. Wenn man im Bürgerkrieg Menschen einfach
an die Wand stellen darf, wie Wehler behauptet, würde das bedeuten, dass die Gesetze des
Kriegsbrauchs (wie die Haager Landkriegsordnung) oder des Belagerungszustandes gar nicht
angewandt werden müssen, sondern ein rechtsfreier Zustand besteht, in dem der
Oberbefehlshaber über schrankenloses Recht verfügt. Und hier sind wir bei dem Nazi-
Vordenker Carl Schmitt. Genau das behauptet jener nämlich in seinen Schriften. Es gebe
ein „Martial Law”, das den Oberbefehlshaber während eines Belagerungszustands
oder eines (späteren) Ausnahmezustands (siehe Artikel 48 der Weimarer Verfassung) in
keine rechtlichen Schranken weise. Er könne töten und töten lassen, wie er
wolle.
Genau so verhielt sich Noske
tatsächlich, indem er — wieder auf Initiative Pabsts — im März 1919
einen Terrorbefehl herausgab, der es erlaubte, jeden Aufständischen oder auch nur als
solchen Denunzierten, oder auch nur als Spartakist Bezeichneten, sofort zu liquidieren.
Gefangenentötung als Regel.
Dies war ein Meilenstein zur
Einführung des Terrors in Deutschland. Spätere Befehle Hitlers und der Wehrmacht
(Kommissarbefehl und Barbarossa-Erlass) beziehen sich ausdrücklich darauf. Die SPD-
Führung hat also zur Genese des Faschismus maßgeblich beigetragen. Auch diesen
Beitrag rechtfertigt Wehler, indem er auf den Spuren von Carl Schmitt und Gustav Noske wandelt
und ausdrücklich betont, dass als Reaktion auf Luxemburg und Liebknecht das Recht des
Bürgerkriegs eben keines mehr sei, und daher der sozialdemokratische
„Bluthund” (Noske) gemacht werden musste.
Diese neoschmittsche
Rechtstheorie, die den Namen Theorie gar nicht verdient, lässt auf künftige Zeiten
und Konflikte schließen. Die SPD ist moralisch und historisch dafür gerüstet,
wird es als Partei aber wahrscheinlich nicht mehr erleben.
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