SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2009, Seite 20

Plädoyer für schrankenlose Gewalt

Wie Hans-Ulrich Wehler den Mord an Liebknecht und Luxemburg rechtfertigt

von Klaus Gietinger

Diese Wunde ist auch nach 90 Jahren noch nicht verheilt: Am 15.Januar erklärte Hans-Ulrich Wehler zum Mord an Luxemburg und Liebknecht in Deutschlandradio Kultur: „Wer den Bürgerkrieg entfesselt, lebt immer im Angesicht des Todes” Klaus Gietinger, der eine Biografie über den Mordorganisator, Waldemar Pabst, geschrieben hat, antwortet ihm.
Vor Jahrzehnten kursierte in rechtsextremen Kreisen der Reim „Brandt an die Wand” Hans-Ulrich Wehler, Historiker mit SPD-Parteibuch, denkt ähnlich, nur hat er Willy Brandt mit Luxemburg und Liebknecht vertauscht. In einem Interview mit dem Deutschlandradio gab er den Experten für Standrecht: „Wer den Bürgerkrieg entfesselt, lebt immer im Angesicht des Todes, wenn er von der Gegenseite erwischt wird, wird er an die Wand gestellt."
Wehler behauptet, Luxemburg und Liebknecht hätten den Bürgerkrieg entfesselt. Nicht Friedrich Ebert und die Führung der SPD waren es also, die halfen den Krieg zu entfesseln — erst den Ersten Weltkrieg mit der Zustimmung zu Kriegskrediten (seit 1913) und Kriegsverbrechen (Noske in Belgien 1914); dann den Bürgerkrieg durch das Bündnis von General Groener mit „Reichskanzler” Ebert (10.11.1918). Der Bürgerkrieg begann mit dem Versuch, die Arbeiter- und Soldatenräte mit Hilfe eines (misslungenen) Militärputschs während der „Heimkehr der Fronttruppen” (10.12.1918) auch physisch zu liquidieren ("Jeder der Waffen besitzt wird erschossen"), und setzte sich fort mit dem Angriff auf die Volksmarinedivision an Weihnachten 1918. Ebert billigte ersteren Bürgerkriegsversuch und befahl Letzteres.
Die Ermordeten waren also schuld?!
Nicht einmal den Januaraufstand haben sie entfesselt. Der entstand spontan und massenhaft als Reaktion auf die Absetzung des USPD-Polizeipräsidenten Emil Eichhorn. Liebknecht und Luxemburg schlossen sich zwar an, waren aber nicht die Urheber.
Als der Aufstand längst mit brutalster Gewalt niedergeschlagen war (nämlich vier Tage später, am 15.1.1919) wurden die beiden aus ihrem Versteck heraus widerrechtlich — es ist nie ein Haftbefehl aufgetaucht — festgesetzt und ins Eden-Hotel, dem Stabsquartier des militärisch mächtigsten Mannes Berlins, Hauptmann Waldemar Pabst, verschleppt. Pabst beschloss ihre Ermordung, ließ sich aber in einem Telefongespräch mit dem zivilen Oberbefehlshaber der Regierungstruppen, Gustav Noske (SPD), das Ganze noch billigen. Noske hatte zuerst vorgeschlagen, Pabsts militärischen Oberbefehlshaber, General Walther von Lüttwitz, um den Tötungsbefehl zu bitten. Doch Pabst wusste, den würde er von diesem nicht bekommen. Also verantwortete er selbst, wie es ihm Noske riet, was zu tun war.
Wehler leugnet in seinem Interview mit dem Deutschlandradio, anders als einige seiner Parteikollegen, nicht die von mir entdeckten Aussagen Pabsts bezüglich seiner Zusammenarbeit mit der SPD-Führung, nein, er versucht sie zu rechtfertigen und zwar ganz speziell.
Als vermeintlicher Kenner der Angelegenheit heißt er den Doppelmord indirekt gut, indem er angibt, Luxemburg und Liebknecht wären sowieso abends vor ein Standgericht gekommen und erschossen worden. Auch diese so plausibel klingende eiskalte Antwort soll näher angesehen werden.
Nach dem preußischen Gesetz über den Belagerungszustand (4.6.1851), auf dessen Basis Noske ausdrücklich den Aufstand im Januar 1919 niederschlug, bedurfte es zu einem Standgerichtsurteil zweier ziviler Beisitzer, zweier Offiziere und einer Frist von 24 Stunden bis zur Vollstreckung. Und nun der Haken: Der militärische Oberbefehlshaber, in dem Fall General Lüttwitz, hatte es zu bestätigen. Pabst aber wusste, dass der sich das nicht trauen würde, also handelte er (mit Deckung der SPD) eigenmächtig. Schon hier, auf der rein juristischen Ebene, ist Wehler widerlegt.
Doch auch praktisch zeigt sich, auf welches Glatteis der SPD-Historiker geraten ist. Georg Ledebour (USPD), der sich maßgeblich am Januaraufstand beteiligt hatte, wurde am 11.1.1919 verhaftet, zu einer Zeit als noch gekämpft wurde. Er wurde vom Stadtkommandanten, dem zwielichtigen ehemaligen Franziskanermönch Anton Fischer (SPD), zwar verbal mit dem Tode bedroht, aber vor kein Standgericht gestellt. Da man versäumt hatte, ihn gleich zu erledigen, traute man sich dies jetzt nicht mehr. Vor allem ein Standgericht schien sehr unsicher — das gab es übrigens höchst selten, die Verhafteten wurden meist gleich „auf der Flucht erschossen”
Im Mai 1919 jedoch wurde Ledebour, der Monate ohne Haftbefehl eingesperrt war, vor ein Zivilgericht gestellt. Der Staatsanwalt Karl Zumbroich, der später Hochverrat beging, als er sich im Kapp-Putsch zum Justizminister ausrufen ließ, traute sich nicht, Ledebour, der sich im Übrigen zu seiner revolutionären Tat voll bekannte, wegen Hochverrats anzuklagen. Aus gutem Grund. Da im Januar 1919 die alte Reichsverfassung nicht mehr galt, aber noch keine neue da war (die trat erst im August mit der Weimarer Verfassung in Kraft) — also auch die Handlungen Ledebours als Handlungen in einer revolutionären Situation gesehen werden mussten — versuchte Zumbroich, Ledebour über die Straftatbestände der Bildung bewaffneter Haufen und des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz zu kriegen. Auch damit scheiterte er. Die dem Angeklagten keinesfalls wohlgesonnenen Geschworenen, sprachen Ledebour frei, da er weder einen bewaffneten Haufen angeführt, noch Handgranaten geworfen hatte.
So wäre es mit Liebknecht und Luxemburg auch geschehen. Rein rechtlich konnte man ihnen nichts, denn selbst die Gesetze aus der Kaiserzeit hatten noch etwas mit Recht zu tun, die Handlungen der SPD-Regierung und ihrer Freikorps jedoch nicht.
Dies führt uns zu einem weiteren Punkt in der Wehlerschen Argumentation. Wenn man im Bürgerkrieg Menschen einfach an die Wand stellen darf, wie Wehler behauptet, würde das bedeuten, dass die Gesetze des Kriegsbrauchs (wie die Haager Landkriegsordnung) oder des Belagerungszustandes gar nicht angewandt werden müssen, sondern ein rechtsfreier Zustand besteht, in dem der Oberbefehlshaber über schrankenloses Recht verfügt. Und hier sind wir bei dem Nazi- Vordenker Carl Schmitt. Genau das behauptet jener nämlich in seinen Schriften. Es gebe ein „Martial Law”, das den Oberbefehlshaber während eines Belagerungszustands oder eines (späteren) Ausnahmezustands (siehe Artikel 48 der Weimarer Verfassung) in keine rechtlichen Schranken weise. Er könne töten und töten lassen, wie er wolle.
Genau so verhielt sich Noske tatsächlich, indem er — wieder auf Initiative Pabsts — im März 1919 einen Terrorbefehl herausgab, der es erlaubte, jeden Aufständischen oder auch nur als solchen Denunzierten, oder auch nur als Spartakist Bezeichneten, sofort zu liquidieren. Gefangenentötung als Regel.
Dies war ein Meilenstein zur Einführung des Terrors in Deutschland. Spätere Befehle Hitlers und der Wehrmacht (Kommissarbefehl und Barbarossa-Erlass) beziehen sich ausdrücklich darauf. Die SPD- Führung hat also zur Genese des Faschismus maßgeblich beigetragen. Auch diesen Beitrag rechtfertigt Wehler, indem er auf den Spuren von Carl Schmitt und Gustav Noske wandelt und ausdrücklich betont, dass als Reaktion auf Luxemburg und Liebknecht das Recht des Bürgerkriegs eben keines mehr sei, und daher der sozialdemokratische „Bluthund” (Noske) gemacht werden musste.
Diese neoschmittsche Rechtstheorie, die den Namen Theorie gar nicht verdient, lässt auf künftige Zeiten und Konflikte schließen. Die SPD ist moralisch und historisch dafür gerüstet, wird es als Partei aber wahrscheinlich nicht mehr erleben.

Klaus Gietinger ist Sozialwissenschaftler, Drehbuchautor und Regisseur.


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