SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2009, Seite 03

60 Jahre NATO

Warum wir nach Straßburg mobilisieren

Antimilitaristische und antikapitalistische Organisationen aus Frankreich und Deutschland sagen Nein zur NATO und zur Militärmacht Europa

von Yvan Lemaître

Die Wahl Barack Obamas hat große Hoffnungen auf eine veränderte internationale Politik der USA geweckt. Diese Hoffnungen werden bereits enttäuscht.Einige Tage nach seinem Amtsantritt am 20.Januar erklärte Obama nach einem Treffen mit den Verantwortlichen des Verteidigungsministeriums: „Unsere Priorität ist ganz klar, die Extremisten, die unserem Land schaden wollen, ausfindig zu machen.” Einen Monat später kündigte er die Entsendung von 17000 zusätzlichen Soldaten nach Afghanistan an. Außerdem bat er die NATO-Mitgliedstaaten, ihr Engagement in diesem Krieg zu stärken.
Obama will die US- amerikanische Vorherrschaft fortsetzen und konsolidieren, auch den von seinem Vorgänger begonnenen Kampf gegen den Terror setzt er fort. Seine Diplomatie zielt darauf ab, so viel Unterstützung wie möglich für die USA zu mobilisieren und das Image seines Landes zu verbessern.
"Frankreich will seine Beziehungen zur NATO erneuern und ein unabhängiger, freier Partner der USA sein”, antwortet Sarkozy darauf. Seine Politik fügt sich in die von Obama ein, das gilt sowohl für die Teilnahme am Krieg in Afghanistan als auch für seine Entscheidung, erneut in das Militärkommando der NATO einzutreten, das General De Gaulle 1966 verlassen hatte.
Die einzige Möglichkeit für den französischen Imperialismus, seine Interessen zu wahren, ist die Anbindung an den dominanten Imperialismus und seine Kriegslogik. Der deutsche Imperialismus sieht sich in derselben Lage.
Die bedingungslose Unterstützung der USA, und, in abgewandelter Form, der europäischen Mächte für Israels Angriff gegen Gaza im Dezember 2008 verdeutlicht die internationale Strategie zum jetzigen Zeitpunkt — also mitten in der Weltwirtschaftskrise. Israel ist ein wichtiger Faktor in dieser Politik, denn sie verfolgt das Ziel, die Kontrolle über die Ressourcen zu sichern, vor allem über die Ölreserven, und somit auch die politische Kontrolle über die Welt zu behalten.

Neue Phase für das Empire — neue Rolle für die NATO

Das US-amerikanische Empire tritt in eine neue Phase, in der es sich politisch und militärisch neu aufstellt. Die NATO ist sowohl diplomatisch — als Rahmen für neue Bündnisse — als auch militärisch das Instrument des Weißen Hauses und des Pentagon, um so viele Staaten wie möglich für seine neue Strategie zu gewinnen.
Der Krieg in Afghanistan erhellt jenseits propagandistischer Erklärungen die wahren Absichten des Pentagon. Die Begründungen für die Operation „Enduring Freedom” und ihre erklärten Ziele halten der Wirklichkeit nicht stand. Weit davon entfernt, demokratische Verhältnisse herzustellen, haben die USA eine Marionettenregierung eingesetzt, die weder einen Staat noch Autorität hat; das Land ist den Warlords ausgeliefert. Es mangelt nicht nur an Demokratie; die Zentralmacht sucht, da sie sich nicht auf das Volk stützen kann, die Zustimmung religiöser Strömungen und fördert die Vorurteile der reaktionärsten sozialen Kräfte. Das Los der Frauen hat sich verschlechtert, zur religiösen und feudalen Unterdrückung gesellen sich nun noch die Leiden des Krieges. Die zugesagte 25-Milliarden-Dollar-Hilfe wurde nur zum Teil geleistet oder sie ist versickert, denn die Korruption ist allgegenwärtig, sie reicht bis in die Spitzen des Staates.
Der blühendste Wirtschaftszweig ist der Mohnanbau. Statt den Terrorismus einzudämmen, nährt die militärische Besatzung ihn noch.
Auch der zweite Irakkrieg beweist das Scheitern der US-Strategie. Fünf Jahre, nachdem Bush „mission accomplished” verkündete, erweisen sich die erklärten Kriegsziele als ein einziger Betrug: Es gab im Irak keine Massenvernichtungswaffen, keinen Kampf gegen den Terror, und es gibt keine Demokratie. Die Bilanz dieser Politik ist verheerend: über eine Million tote Iraker, mehr als 4 Millionen Flüchtlinge, mehr als 4000 tote amerikanische Soldaten, Tausende Verletzte und 158000 amerikanische Soldaten im Irak.
Seit 2001 steigen die Militärausgaben der USA kontinuierlich. Waren sie in den 90er Jahren nach dem Ende der Sowjetunion gesunken, haben sie mit Beginn des neuen Jahrtausends wieder zugenommen und nie dagewesene Höhen erreicht. In den letzten zehn Jahren sind sie nach Angaben des Internationalen Friedensinstituts in Stockholm um 45% gestiegen. Allein im Jahr 2007 wurden mehr als 60% aller Militärausgaben weltweit von Mitgliedstaaten der NATO getätigt.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Rolle der NATO geändert. Gegründet 1949 zu Beginn des Kalten Krieges und der amerikanischen Politik des Containment, hat sich die Organisation des Nordatlantikvertrags immer wieder den Bedürfnissen der vorherrschenden imperialistischen Macht angepasst.
Zunächst diente sie als Rahmen für Bündnisse, auch für wirtschaftliche und politische Integration — insbesondere gegenüber dem Ostblock nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion —, bis sie zum Instrument für militärische und politische Bündnisse im Dienst des Empire wurde — im Austausch gegen ein paar „Friedensdividenden” für die Verbündeten.

Kampf gegen den Militarismus — Teil des antikapitalistischen Kampfes

Wenn wir die Politik der europäischen Mächte kritisieren, verteidigen wir nicht eine vorgebliche nationale oder europäische Unabhängigkeit. Vielmehr orientiert sich unsere Kritik an den Interessen der abhängig Beschäftigten und der Völker, wir verbinden damit eine internationalistische Perspektive, für die die Zukunft der Menschheit in der Solidarität und der Zusammenarbeit der Völker liegt.
Wir treten allen Vorstellungen für eine „europäische Verteidigung” entgegen; sie wäre mitnichten ein Werkzeug für einen demokratischen Frieden, sondern lediglich ein Instrument im Wettstreit zwischen den USA, Europa und China um die Weltherrschaft.
Sarkozy und Merkel verteidigen die Interessen der französischen und deutschen Bourgeoisie und fordern die Vorherrschaft über Europa im Rahmen eines weltumspannenden atlantischen Bündnisses.
Nach unserer Analyse ist die Zunahme von Militarismus und Krieg inhärenter Bestandteil des Kapitalismus und der Politik der dominierenden Weltmacht und ihrer Verbündeten im Dienste der Interessen der multinationalen Konzerne. Deshalb sehen wir den Kampf gegen den Krieg als wesentlichen Bestandteil unseres Kampfes gegen die Herrschaft des Kapitals.
Als europäische Internationalisten sind wir für ein Europa des Friedens, für ein Europa, das vollständig unabhängig von der Politik der multinationalen Konzerne und des Imperialismus ist. Wir wollen ein Europa, das auf der Zusammenarbeit der Völker ruht und das nur aus der Mobilisierung der abhängig Beschäftigten, aus der Mobilisierung von unten entstehen kann.
Der Kampf für dieses Europa erfordert einen Bruch mit der NATO und die Kündigung der imperialistischen Verträge.

Wir fordern den Rückzug der Besatzungstruppen aus dem Irak und Afghanistan, den Rückzug der NATO, keinen Euro für den Krieg!
Das werden wir auf den Demonstrationen in Straßburg und Kehl anlässlich des 60.Gründungstags der NATO am 3. und 4.April kundtun. Und wir machen uns dafür stark, dass auf europäischer Ebene eine starke Friedensbewegung entsteht, die die Rechte der Völker achtet, antikapitalistisch und revolutionär ist, und den Kampf für den Frieden in die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa stellt.
Darüber werden wir beim Treffen der Europäischen Antikapitalistischen Linken diskutieren, die sich am 3.April in Straßburg trifft.

Yvan Lemaître ist Mitglied des geschäftsführenden Parteivorstands der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) in Frankreich. Die NPA, verschiedene antimilitaristische Gruppen und die französische Friedensbewegung mobilisieren in Frankreich landesweit nach Straßburg.


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