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Richter und Anwälte haben Bundestagsvizepräsident
Wolfgang Thierse dafür kritisiert, dass er das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Berlin
gegen die Kassiererin Barbara E. als „barbarisches Urteil von asozialer
Qualität” bezeichnet hatte. Leider hat Wolfgang Thierse diesem Druck nicht
standgehalten und seine treffende Einschätzung inzwischen abgewertet, in dem er
„die Schärfe” seiner Wortwahl bedauerte. Doch nicht die Äußerung
Wolfgang Thierses, sondern das Emmely-Urteil war eine Ungeheuerlichkeit. Es ist und bleibt
barbarisch und asozial!
Im Vordergrund der
öffentlichen Debatte steht zumeist die schreiende Unverhältnismäßigkeit
des Urteils, durch das eine Kassiererin, die 31 Jahre lang unbeanstandet ihre Arbeit
verrichtete wegen zweier Pfandbons im Wert von 1,30 Euro nicht nur eine Beschäftigung und
ihr Arbeitseinkommen, sondern auch ihre bisherige Wohnung verlor.
Die
Unverhältnismäßigkeit des Urteils gegen Barbara E. ist jedoch nur eine
skandalöse Konsequenz eines skandalösen Rechtsinstitutes — die
Verdachtskündigung selbst ist Unrechtsjustiz! Mit der Möglichkeit einer
Kündigung auf Verdacht hin wird jeder Boden der Rechtsstaatlichkeit verlassen, die
Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt und die Umkehr der Beweislast für
abhängig Beschäftigte zu Gunsten der Unternehmensleitungen erzwungen.
Begründet wird dieser
Unrechtscharakter der Verdachtskündigung mit der Notwendigkeit einer besonderen
Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Unternehmensleitungen in abhängig
Beschäftigte. Doch diese Begründung enthüllt den Kern des Unrechts der
Verdachtskündigung: sie ist ein Institut der krassen und offenen Klassenjustiz gegen
abhängig Beschäftigte. Oder hat je der Vertrauensverlust von abhängig
Beschäftigten in die Ehrlichkeit des Managements gegenüber den Beschäftigten zu
dessen Entlassung geführt? Die Verdachtskündigung kennt wegen dieses
Unrechtscharakters auch weder Bagatelldelikte, noch das Prinzip der
Verhältnismäßigkeit. So ist das Unrechtsurteil gegen Barbara E. auch kein
Einzelfall. Immer öfter wird die Verdachtskündigung von Seiten der Unternehmen gegen
unbequeme Beschäftigte angewandt, besonders wenn sie sich gegen Zumutungen der
Unternehmen wehren oder, wie Barbara E., Streiks organisieren.
Im Angesicht der heutigen
Vernichtung von Abermilliarden Euro durch Manager und Kapitaleigner ohne Bestrafung der
dafür Verantwortlichen ist das Unrechtsurteil gegen Barbara E. wegen 1,30 Euro besonders
empörend. Mehr denn je muss deshalb gelten: Weg mit dem Arbeitsunrecht, Schluss mit jeder
Klassenjustiz gegen abhängig Beschäftigte!
Im zwanzigsten Jahr der
demokratischen Revolution in der DDR muss aus diesem Grunde daran erinnert werden, dass die
Ziele einer radikal demokratischen und sozialen Gesellschaft noch immer aktuell sind, wie wir
sie im Herbst 1989 gegen das seinerzeitige Unrecht der SED-Diktatur durchsetzen wollten. In
Forderungsprogrammen der Bürgerbewegungen, in den Gesetzentwürfen des Runden Tisches
oder seinem Entwurf einer demokratischen Verfassung wurden sie niedergeschrieben. Ihrer gilt
es sich wieder zu erinnern, im Angesicht des Unrechts von heute harren sie noch immer ihrer
Verwirklichung!
Berlin, den 12.März 2009
Leonore Ansorg, Malte Daniljuk, Hans-Jürgen Fischbeck, Bernd Gehrke, Joachim
Hürtgen, Renate Hürtgen, Werner Jahn, Samirah Kenawi, Thomas Klein, Hans und Ruth
Misselwitz, Silvia Müller, Uwe Radloff, Wolfgang Rüddenklau, Hans Scherner, Ingeborg
und Ulrich Schröter, Erhart Weinholz
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