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Das war ja ein richtiger Tsunami, der in den letzten Karnevalstagen über dich
hereingebrochen ist. In kürzester Zeit hat sich eine enorme Hetzkampagne aufgebaut...
Der Ausgangspunkt der Geschichte muss im israelischen Überfall auf Gaza gesehen
werden und in den heftigen Diskussionen, die er hier ausgelöst hat. In diesem
Zusammenhang hatte ich eine öffentliche Kontroverse mit der Deutsch-Israelischen
Gesellschaft (siehe SoZ 2/09), die nicht ein einziges Wort der Kritik an Israels Krieg
gefunden hat.
Am 18.Februar hat der
Ortsverein der LINKEN in Duisburg-Hamborn Dr.Rihbi Youssef von der Deutsch-
Palästinensischen Gesellschaft zu einer Veranstaltung eingeladen. Er stammt aus Ramallah,
lebt aber schon länger in Duisburg. Er zeigte den Film von Atalar, Die eiserne Mauer, der
die etwa 30 Anwesenden sehr betroffen gemacht hat. Sie fragten: „Was kann man gegen
solch schreiendes Unrecht tun?” Hüseyin Aydin (MdB) aus Duisburg, berichtete von
einer Zusammenkunft mit dem israelischen Botschafter, auf der es eine Auseinandersetzung gab:
„Ihr werft Bomben und die Bundesrepublik soll den Wiederaufbau bezahlen?"
Ich habe sodann den Aufruf des
Weltsozialforums erwähnt, den 30.März zu einem Tag der internationalen
Solidarität mit Palästina zu machen. Der Aufruf enthält eine scharfe Kritik am
israelischen Überfall auf Gaza und beschreibt drei Aktionsformen: Boykott, Desinvestment
und Sanktionen. Es gibt dazu eine weltweite Kampagne, die von bekannten Persönlichkeiten
unterstützt wird. Ich habe auch erwähnt, dass ich Obst oder Gemüse aus Israel
schon lange nicht mehr kaufe. Ein Bericht über die Veranstaltung wurde auf der
Internetseite der LINKEN Duisburg veröffentlicht.
Am Rosenmontag bekam ich einen
Anruf von der örtlichen Redaktion der WAZ, ob ich das dort gesagt hätte und ob ich
das aufrechterhalten würde. Ich erklärte dem Journalisten, ich hätte mich auf
den Aufruf des WSF bezogen — den kannte er gar nicht! Dann sagte er sinngemäß:
„Meinen Sie nicht auch, dass in Deutschland ein Aufruf zum Boykott gegen Israel
...” Ich habe ihm geantwortet, ich kenne die deutsche Geschichte, ich weiß, aus
welcher Ecke der Aufruf „Kauft nicht bei Juden” kommt. „Aber”,
fügte ich sofort hinzu, „meinen Sie nicht, dass wir hier einen vollkommen anderen
Sachverhalt haben? Wenn man es so dreht, kann es tatsächlich den Beigeschmack bekommen.
Aber hier handelt es sich nicht um rassistische Ausgrenzung, sondern hier appelliert das
Weltsozialforum an die Weltöffentlichkeit, angesichts so massiver Menschen- und
Völkerrechtsverletzungen zu wirksamen Aktionsformen gegen ein Land zu greifen, weil weder
UNO-Resolutionen noch diplomatische Proteste bisher irgendetwas bewirkt haben.” Ich
erwähnte noch die Boykottaktionen griechischer und norwegischer Hafenarbeiter
während des Gazakriegs.
Aus dem Kurzinterview hat er
am nächsten Tag nur den einen Satz herausgegriffen, um den Eindruck zu erwecken, der
Dierkes knüpfe bewusst an rassistische Nazikampagnen an. Ich habe sofort eine
Richtigstellung an die WAZ geschickt und gegen die Infamie protestiert, meine Worte so zu
verdrehen. Die wurde nicht abgedruckt. Am nächsten Tag gingen dann die Schmähreden
und die Hetzjagd los, „Nazi” und „Antisemit” waren noch die
harmloseren Attribute, „Trau dich bloß nicht auf die Straße”
— bis hin zu Morddrohungen.
Dann behauptete die WAZ, so
einen Aufruf des WSF habe es nie gegeben. Unser Pressesprecher ist sofort in die Redaktion,
hat ihnen den Aufruf auf den Tisch gelegt und ihnen gezeigt, wo der überall im Internet
steht. Trotzdem waren sie nicht bereit, das zu korrigieren, haben die Behauptung unter
Berufung auf nicht näher genannte Personen der Evangelischen Kirche und auch der
Pressesprecherin von Attac, Frau Distelrath, wiederholt bzw. versucht, ihn herunterzuspielen.
Tenor: „Und wenn es ihn gegeben hat, dann war er nicht verbindlich” — was
bei Erklärungen des WSF nie der Fall ist, aber das war ja hier gar nicht das Thema
—, um die Lüge vom Vortag nicht widerrufen zu müssen.
Die WAZ hat also eine regelrechte Kampagne gegen dich geführt?
Es ist eindeutig eine Kampagne der WAZ. Die Sache blieb nicht auf die örtliche Ebene
beschränkt. Die Essener Zentralredaktion, Innenressort, hat das in die Hand genommen.
Mehrere Tage lang kam das Thema auf die Titelseiten, es wurde in den tagespolitischen
Kommentaren abgehandelt, ahnungslose Bürger wurden mit der Falschmeldung gegen mich im
Ortsteil in Stellung gebracht. Leider haben mich etliche ungeprüft kritisiert.
Auf NRW-Ebene haben sich von
Herrn Wüst von der CDU bis Frau Kraft von der SPD alle an mir ausgetobt. Ruckzuck war ich
die Unperson, die aus der Politik entfernt werden muss. Das wurde dann auf DIE LINKE insgesamt
übertragen, die sich mal wieder zu erkennen gegeben habe, „rechte Politik im linken
Gewand” zu betreiben u.ä.
Wie erklärst du dir das?
Ich habe den Fehler gemacht, dass ich das Kurzinterview nicht habe autorisieren lassen.
Ich war stark in Zeitdruck. Aber selbst wenn ich es getan hätte, hätten die
Stichworte „Boykott, Israel” gereicht, um die Kampagne loszutreten. Ich glaube,
ich habe hier an etwas gerührt, das inzwischen Staatsdoktrin geworden ist: Ganz egal, was
Israel tut, wegen seiner historischen Schuld könne Deutschland nicht anders, als alles zu
decken. Kritik an Israel ist zum Tabu geworden. Das ist das Eine.
Zum anderen aber ist die WAZ
bekannt dafür, dass sie der SPD sehr nahe steht. Am 30.8. sind Kommunalwahlen in NRW, die
SPD steht schlecht da, DIE LINKE ist in der Offensive. Umfragen in den letzen Wochen sahen uns
im Ruhrgebiet bei 16% — wir besetzen heute die Themen und die SPD muss auf vielen
Gebieten zurückrudern. Die Marktschreier sind vollkommen in der Defensive, das Thema
„Stärkung der öffentliche Hand” kommt wieder in den Vordergrund. Mit dem
angeblichen „Antisemitismus” haben sie ein Thema entdeckt, wo sie glaubten, sie
könnten der LINKEN mal richtig einen einschenken. Einen der Drahtzieher sehe ich u.a. in
dem stellvertretenden Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der macht sich
geradezu einen Spaß daraus, Leuten Antisemitismus anzuhängen, sobald sie etwas
Kritisches gegen die israelische Regierung sagen. Viele ducken sich dann weg aus Angst,
stigmatisiert zu werden.
Es gab aber auch Ausnahmen, so
der Chefredakteur von Radio Duisburg, der den Mut hatte, mich in seinem Wochenkommentar zu
verteidigen — das rechnen wir ihm sehr hoch an; auch er wurde angegiftet. Ich musste
viele Interviews, auch im Fernsehen, geben, wo ich oft den Eindruck hatte, die wurden
zusammengestrichen, um meine tatsächliche Position verkürzt oder verfälscht
darzustellen. Nach dem Abebben der Diffamierungswelle erhalte ich einen Strom von Solibeweisen
aus aller Welt. Ich will versuchen, allen Zuschriften zu antworten.
Meinst du, das wahlpolitische Kalkül geht auf?
Zum jetzigen Zeitpunkt kann man nicht wissen, bringt das einen Stimmenverlust oder im
Gegenteil einen Zugewinn? Für beides gibt es Hinweise. In Duisburg, wo mich viele kennen,
ich habe 30 Jahre in der Stahlindustrie gearbeitet, ich bin ein bekannter Gewerkschafter,
fragen mich die Kollegen: „Was wird denn da für ein Popanz aufgebaut?” Mein
früherer Betriebsrat hat mir klar seine Solidarität versichert. Ich habe sehr viele
Solidaritätszuschriften aus dem In- und Ausland erhalten, darunter auch etliche
jüdische Stimmen. Wenn unser Kreisverband jetzt Infostände macht, sagen die
allermeisten Mitbürger: „Das ist nicht in Ordnung, eure Kritik ist richtig."
Aus den Reihen der LINKEN kamen ja auch solche Anwürfe. Kamen die erst nach dem
WAZ-Artikel?
Ja, das war der Anlass, das wurde ungeprüft übernommen. Aus der Parteizentrale
in Berlin hat mich niemand gefragt, ob ich das so gesagt habe. Unser Landespressesprecher
wurde von Berlin kontaktiert und ihm wurde bedeutet: Nehmt das alles zurück, sonst gibt
es eine harte Reaktion der Partei. Die Sache war Thema im Bundesvorstand und in der
Bundestagsfraktion, dort sind Genossinnen und Genossen für mich eingetreten, haben
erzählt, was passiert ist, welche Arbeit ich seit 40 Jahren hier mache und welche Erfolge
wir haben. In der Sache hat es keinen Beschluss irgendeines Bundesgremiums gegeben. Es gab
eine geharnischte Stellungnahme von Petra Pau — sie ist immerhin
Bundestagsvizepräsidentin. Es gab eine gemeinsame Stellungnahme, unterschrieben von
Dietmar Bartsch, Klaus Ernst, Katja Kipping und Petra Pau; darin verwahren sie sich
„gegen jede Art von Antisemitismus”, auch gegen alle „Äußerungen,
die antisemitisch sind oder wirken” Es richtig, dass DIE LINKE sich in Sachen
Antirassismus und Antisemitismus „keine Zweideutigkeiten” erlauben darf.
Ebensowenig kann sie sich jedoch Zweideutigkeiten in Sachen Menschen- und Völkerrecht
für die Palästinenser erlauben.
Es ist zu befürchten,
dass Teile der Partei bereit sind, sich der neuen Staatsdoktrin zu unterwerfen und Israel eine
Sonderrolle einzuräumen, was Menschenrechte und Völkerrecht anbelangt. Für mich
sind die Menschenrechte aber die absolut minimale Geschäftsgrundlage in der Politik,
davon kann und darf sich kein Land freistellen. Ich bin Sozialist, und ich denke, nach der
Geschichte des Stalinismus muss das für uns eine programmatische Kernfrage sein. Das
lassen wir anderen nicht durchgehen, und diesen Maßstab legen wir auch an uns selber.
Das steht ja wohl in einer Reihe mit dem Auftritt von Klaus Lederer auf der Pro-Israel-
Demonstration im Januar, wo er praktisch seine Solidarität mit dem Krieg bekundet hat.
Liegt da Sprengkraft für die Partei?
In der Tat. Das Thema ist bislang noch gar nicht richtig diskutiert worden. Aber es gibt
schon Bestrebungen, die Partei in der Frage auf einen bestimmten Kurs zu bringen, das
zeichnete sich schon in der Rede von Gregor Gysi zum 60.Jahrestag der Gründung Israels
ab. Wir sind die Partei des Antimilitarismus, des Antirassismus, des Selbstbestimmungsrechts
gerade kleiner Völker. Wenn man sich hier auf die Seite der israelischen Regierung
schlägt, gibt man diese programmatischen Grundlagen auf.
Leider ist es so, dass DIE
LINKE sich im Gazakrieg nicht mit Ruhm bekleckert hat; an den Demonstrationen war sie nur
schwach beteiligt. Das ist die Frucht einer Unklarheit, wie man sich in der Frage politisch
positionieren soll. Für mich ist völlig klar: Auch der LINKEN muss an einem
besonderen Verhältnis zwischen Deutschland und Israel gelegen sein — wegen der
Naziverbrechen und der untilgbaren Schuld. Nach wie vor geht es um das Durchhalten der
Erinnerungskultur, um Wiedergutmachung u.v.m. Aber es muss auch einen radikalen Bruch geben,
nämlich mit der Komplizenschaft zwischen der deutschen und der israelischen Regierung, um
die Palästinenser niederzuhalten. Dieser Kurs liegt nicht im wohlverstandenen Interesse
Deutschlands, und auch nicht Israels.
Wie soll es weitergehen?
Ich verlange von der Partei, dass sie die internationalen Solidaritätskampagnen mit
Palästina und alle Initiativen, die die israelisch-palästinensische Zusammenarbeit
fördern, aktiv unterstützt. DIE LINKE muss da eine ganz andere Rolle spielen. Ich
bin bereit, die Boykottfrage tiefer zu hängen, weil sie in der Partei auf allen
Flügeln umstritten ist, weil sie grob missverstanden werden kann, und weil unsere Gegner
so skrupellos damit umgehen. Aber was das Verhältnis zu Israel und der
Palästinenserfrage betrifft, muss sich die Partei deutlich aufstellen.
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Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
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