| SoZ - Sozialistische Zeitung |
Im Mai 2008 wurde bekannt, dass der langjährige Transnet-
Vorsitzende Norbert Hansen seine Insiderkenntnisse in der Gewerkschaft Transnet für einen
beruflichen Aufstieg auf die Arbeitgeberbank genutzt hatte. Viele Transnet-Mitglieder
fühlten sich verraten und forderten Konsequenzen; für den Transnet-Vorstand kamen
die Proteste ganz unerwartet.
Jochen Gester wollte von PETER
POLKE, Vertrauensperson bei Transnet und seit acht Jahren ehrenamtlicher Betriebsrat bei der
Berliner S-Bahn, wissen, ob es zu Konsequenzen gekommen ist.
Ihr habt euch damals für einen personellen und politischen Neuanfang ins Zeug
gelegt und u.a. die Einberufung einer bundesweiten Vertrauenspersonenkonferenz gefordert. Seid
ihr eurem Ziel, die gewerkschaftliche Politik stärker durch die Mitglieder bestimmen und
kontrollieren zu lassen, näher gekommen, oder wird die alte Politik von neuen Köpfen
einfach weitergeführt?
Unser Ziel, gemeinsame Vertrauenspersonenkonferenzen einberufen zu können,
hätten wir auf unserem Gewerkschaftstag im November 2008 in Berlin über einen
Initiativantrag einbringen müssen. Wir entschlossen uns aber, unsere Kraft auf den Antrag
von Alfred Lange, Betriebsratsvorsitzender von DB-Railion, zu konzentrieren. Lange forderte
den Verbleib der Bahn in staatlichem Besitz und als integriertes Unternehmen, um Qualität
und Sicherheitsstandards der Bahn zu verbessern. Damit waren wir unserem Ziel schon etwas
näher.
In der anschließenden
Diskussion beantragte der Jugendausbildungsvertreter Eberhard Podzuweit, jegliche Zustimmung
des Vorstands zur weiteren Privatisierung der Bahn an eine abschließende Diskussion der
Gremien auf örtlicher Basis zu binden. Dieser Antrag wurde angenommen. Auf Grundlage
dieser Beratungsergebnisse sollte dann der Beirat Entscheidungen treffen.
Eine echte Wende wäre nur
zu erreichen, wenn Transnet einen Sondergewerkschaftstag einberufen würde, der
beschließt, von unten herauf alle Gremien neu zu wählen.
In der Zwischenzeit ist es um
den Initiativantrag aber ganz still geworden. Erneut will der Vorstand den Wandel in Richtung
Privatisierung mitgestalten. So begleitet er die derzeit laufenden Ausschreibungen der
Regionalstrecken Berlin und Brandenburg mit Protesten, die einen „fairen
Wettbewerb” fordern.
Der Gewerkschaftstag der Transnet in Magdeburg im Jahr 2000 hat noch einstimmig
für den Verbleib der gesamten Bahn im Bundesbesitz und gegen den Börsengang
gestimmt. Auf dem ordentlichen Gewerkschaftstag in Berlin 2008 wurde ein Antrag des auch von
euch getragenen Netzwerks „Bahn von unten”, der eben dies forderte, mehrheitlich
abgelehnt. Laut Umfragen würde ihn aber die Mehrheit der Bevölkerung
unterstützen. Wie lässt sich das Abstimmungsverhalten der Delegierten
erklären?
Der geforderte und erhoffte Neuanfang beschränkte sich leider auf ein paar
kosmetische Veränderungen. Deshalb regten wir an, Sondergewerkschaftstage einzuberufen,
um basisorientierte Politik für unsere Mitglieder zu machen. Das wurde mit der
Begründung abgelehnt, dies müsse zu Beitragserhöhungen führen und
würde unsere Gewerkschaft ruinieren.
Der neue Vorstand und dessen
Beirat wird sich daran messen lassen müssen, wie er mit dem Initiativantrag des Kollegen
Podzuweit umgeht. Leider propagiert der Vorstand immer noch den fairen Wettbewerb. Wir
müssen klarmachen: Nah- und Fernverkehr gehören zur öffentlichen
Daseinsvorsorge, das ist mit jeder Form von Wettbewerb unvereinbar.
Das zentrale Problem ist, dass
die Europäische Union die Öffnung des öffentlichen Personennahverkehrs für
den Wettbewerb verlangt. Inzwischen wissen wir ganz praktisch, dass dies Niedriglohn,
prekäre Beschäftigung, Ausgliederungen, Abbau von Sicherheitsstandards und
Streckenstilllegungen nach sich zieht. Wir als Gewerkschaft können damit die Interessen
der Kollegen nicht vertreten.
Damit Transnet überleben
kann, brauchen wir das „Nein” der Gewerkschaft zur Öffnung des Wettbewerbs
auf allen Ebenen. Aber wollen wir Klartext reden. Die Öffnung für den Wettbewerb
wird von keiner politischen Kraft in Frage gestellt. Der Vorsitzende der Transnet hat mich auf
dem Gewerkschaftstag gefragt: Willst du wirklich die Bahnreform Anfang der 90er Jahre
rückgängig machen? Da kann ich nur antworten: Ja, darum geht es. Der damals
eingeschlagene Weg widerspricht den Interessen der Bahn, der Bevölkerung und der
Mitarbeiter. Dafür brauchen wir eine politische Kraft. Wir wollen keinen fairen
Wettbewerb, wir wollen keinen Wettbewerb.
In den letzten Monaten ist das Management der Berliner S-Bahn öffentlich unter
Druck geraten. Der Senat streicht Gelder für unpünktliche und ausfallende Züge.
Auch der Betriebsrat nutzte die Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass Sicherheit und Gesundheit
von Beschäftigten und Fahrgästen den Börsenzielen Mehdorns geopfert werden.
Entstehen hier neue Chancen für ein einheitliches Handeln der Kollegen unabhängig
von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit und eine Möglichkeit, den Kampf gegen die
Privatisierung weiterzuführen?
Der Vorstand der S-Bahn (die der Deutschen Bahn gehört) setzt das politische Ziel des
Senats um. Er ist politisch verantwortlich. Wir können unseren Vorstand kritisieren, aber
es ist unerträglich, wenn nun die politischen Verantwortlichen unseren Vorstand
kritisieren. Denn sie haben sich politisch für den Wettbewerb entschieden. Dem versuchen
wir entgegenzutreten.
Wir haben unsere Konkurrenz
untereinander überwunden und eine gemeinsame Erklärung der Ver.di-Vertrauensleute
bei der BVG und der Transnet-Vertrauenspersonen bei der S-Bahn Berlin verabschiedet. Unsere
Hauptforderungen sind, europaweit den Personennahverkehr in voller staatliche Verantwortung
und Finanzierung zu belassen, alle privatisierten Betriebe der öffentlichen
Daseinsfürsorge zu rekommunalisieren bzw. wieder zu verstaatlichen, sowie europaweit das
Recht auf Mobilität, auf den Schutz unserer Tarifverträge, Arbeitsplätze und
sozialen Errungenschaften zu gewährleisten.
Es ist gut, dass der
Betriebsrat unsere Erklärung an den Vorstand der DB-Stadtverkehr übergeben hat. Die
wirklichen Verantwortlichen sitzen aber in der Politik, auf deren Verantwortung fehlt leider
in den Publikationen des Betriebsrats jeder Verweis.
Es gibt jetzt eine Kampagne, die darauf abzielt, die Ausschreibung für Zugstrecken
in der Region zu verhindern, weil die Gefahr besteht, dass Anbieter mit Dumpinglöhnen das
Rennen machen. Wie stehen eure Chancen in diesem Konflikt?
Die Kampagne „Gemeinsam gegen unfairen Wettbewerb und soziale Kälte” engt
unsere Chancen zu sehr ein. Nur durch die Forderung nach einem ÖPNV in öffentlicher
Hand aus einem Guss und nach einheitlichen Qualitätskriterien erhalten wir die Chance,
die Daseinsvorsorge und Mobilitätsgarantie nicht nur für unsere Kollegen, sondern
auch für alle Bürger zu erhalten und Flächentarifverträge für die
Schiene durchzusetzen. Nur durch die Aufhebung des Wettbewerbszwangs lassen sich die
Interessen der Bevölkerung, der Kollegen, und auch unsere Gewerkschaft Transnet
verteidigen.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
|
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
|||
|
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität | ||||