SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2009, Seite 09

Krise der Autoindustrie am Beispiel Daimler

Nur sechs kommen durch - Oder sind auch emanzipative Veränderungen möglich?

von Tom Adler

Im Kampf gegen die Krise versucht Daimler, auf Kosten seiner Konkurrenten durchzukommen — zu Lasten der Arbeiter, die auf Lohn verzichten sollen, und der Azubis, die nicht übernommen werden.
Alle wissen es, auch die, die sich in den Medien als Stimmungsaufheller versuchen: Autokrise heißt heute Weltwirtschaftskrise. In Japan ist der Pkw-Absatz auf den niedrigsten Stand seit 21 Jahren abgestürzt, in Westeuropa auf den tiefsten seit 12 Jahren und in den USA seit 26 Jahren. Wer von den amerikanischen „Big three” diese Krise überleben wird, ist die große Frage. Selbst Toyota meldet drastische Produktions- und Profiteinbrüche. Die Lage kann also nur bitter ernst sein.
Darauf verweisen auch die derzeit diskutierten Kooperationspläne bei Einkauf, Entwicklung, Produktion und Vertrieb unter bisherigen Erzkonkurrenten: BMW mit Daimler, BMW mit Peugeot. Jetzt in der Rezession drücken die weltweiten Überkapazitäten der Autobauer von 20—30% massiver denn je auf die Renditen. Die müssen beseitigt werden, sagte Fiat-Chef Marchionne, damit die Profitraten wieder steigen können. Deshalb sei es wahrscheinlich, dass am Ende der Krise nur noch sechs selbständige Autokonzerne übrig bleiben werden. Solche Prognosen hat es zwar schon öfter gegeben. Dass die Überkapazitäten im Rattenrennen des Verdrängungswettbewerbs nicht irgendwann, sondern in dieser aktuellen tiefen Krise vernichtet werden, scheint allerdings durchaus realistisch.

"Ihr seid zu teuer"

Auf der letzten Bilanzpressekonferenz verkündete Daimler-Chef Zetsche — ganz Speerspitze des Shareholder value — den Weg aus der Krise mit einem Maßnahmenpaket zur Verbesserung des Cash flow. Sein zentraler Punkt: Die „Arbeitskosten sollen spürbar reduziert werden”, die Arbeiter und Angestellten werden einmal mehr auf den Unternehmerevergreen: „Ihr seid zu teuer”, eingestimmt. Die Tariferhöhung um 2,1% ab Februar soll nicht effektiv auf den Gesamtlohn weitergegeben werden, sondern nur auf die tariflich verbindlichen Lohnbestandteile. Das führt dazu, dass die Basis aller künftigen Tariferhöhungen entsprechend niedriger ausfällt. Mehrere freiwillige betriebliche Leistungen wie Gesundheitstrainings, Kuren und Weiterbildungsmaßnahmen werden zusammengestrichen. Von den im Sommer auslernenden Auszubildenden sollen 20% nicht übernommen, sondern in die Arbeitslosigkeit entlassen werden.
Zetsches Forderung, die im Mai fällige zweite Stufe der Tariferhöhung zu verschieben, hat der Gesamtbetriebsrat abgelehnt. Ohne dessen Zustimmung ist das auch nicht möglich. Schwieriger stellt es sich allerdings bei der angekündigten Nichtübernahme der Auslerner und der nichteffektiven, nur auf tarifliche Lohnbestandteile bezogenen Lohnerhöhung dar. Beides akzeptiert der Gesamtbetriebsrat zwar nicht. Aber die Politik der Zugeständnisse aus der Vergangenheit holt die Betriebsräte heute ein: Im Rahmen der sogenannten „Zukunftssicherungsverträge” waren sowohl für die Übernahme der Azubis als auch für die Pflicht zur effektiven Lohnerhöhung „Öffnungsklauseln” vereinbart worden. Auf die bezieht sich das Unternehmen jetzt und macht es den Betriebsräten in der Öffentlichkeit damit nicht eben leichter.
Gegen die Entlassung der Jugendlichen in die Arbeitslosigkeit wurde am 18.2. eine Protestaktion vor dem Untertürkheimer Werkstor mit Daimler-Auszubildenden aus dem ganzen Land organisiert. Ein notwendiger und richtiger Schritt, der allerdings längst nicht ausreicht und dessen Wirkung verpufft, wenn dem nicht deutlich mehr an Mobilisierung und Druck folgt. Ob das allerdings im Repertoire der sozialdemokratischen IG-Metall- und Gesamtbetriebsratschefs noch vorkommt, ist zumindest zweifelhaft. Sie scheinen eher — siehe auch Schaeffler-Conti — auf eine Beteiligung am allgemeinen staatlichen Krisenmanagement zu bauen als auf mobilisierungsgestützte Gegenmacht.

Die Krise macht uns stark?

Die für die Kollegen geplanten Einschnitte seien nötig, schreibt Zetsche in einem Brief an die Mitarbeiter, denn „dann haben wir die Chance, die Krise nicht nur zu meistern, sondern gestärkt aus ihr hervorzugehen” Am Ende der Krise bessere Startbedingungen zu haben als die Konkurrenz und ihr so Marktanteile abnehmen zu können, heißt diese Botschaft. Sie ist im Übrigen identisch mit der von Bundeskanzlerin Merkel: den Gürtel enger schnallen, um den deutschen Konzernen insgesamt weitere Konkurrenzvorteile am Weltmarkt zu verschaffen.
Für die Belegschaften hießen diese Perspektiven, dass sie für die Kosten der Krise des Kapitalismus gleich dreimal zur Kasse gebeten werden: als Steuerzahler, mit einer drohenden Sozialabbau- "Agenda 2020” nach der Bundestagswahl, und dazu noch direkt in jedem einzelnen Unternehmen.
Bleiben die Gewerkschaften weiter dieser Logik verhaftet, wird das für die aussortierten Teile der Automobilbelegschaften heißen: Dreimal die Krise bezahlt — und dann doch gefeuert. Bis heute beschränkt sich die Spitze der großen Gewerkschaften nämlich noch weitgehend auf partnerschaftliche Versuche, „das Schlimmste” zu verhindern. Der DGB-Vorsitzende Sommer wünscht sich „eine echte Renaissance der sozialen Marktwirtschaft” Damit beweist er, dass er und seine Kollegen weder bei der Krisenanalyse noch bei den formulierten Antworten auf der Höhe der Zeit sind — im Gegensatz zu Regierung und Kapital, die sich nach einer anfänglichen Verunsicherung über den Bankrott neoliberaler Ideologie wieder zum Angriff formiert haben.
Die Gewerkschaften verharren immer noch in Schockstarre und weigern sich zur Kenntnis zu nehmen, dass am Ende dieser Krise keine neue Sozialpartnerschaft stehen wird, sondern vielmehr eine dramatische Niederlage droht. Kräfteverhältnisse werden nun mal nicht durch Lobbyismus verbessert. Machtfragen werden durch Massenmobilisierungen entschieden. Genau damit tun sich die Apparate aber so unerhört schwer. Stattdessen wird der Zombie „Bündnis für Arbeit” wieder exhumiert. Und die kritische Distanz zu den Krisenlösungsrezepten der Autobosse begraben.

Es gibt Alternativen

Seit Frühjahr 2007 springen die Gewerkschaften gemeinsam mit den Gesamt-BR- Vorsitzenden den deutschen Autokonzernen willig zur Seite, wenn CO2-Grenzwerte für die deutschen Hersteller aufgeweicht, Ökostrafzahlungen verhindert und Abwrackprämien durchgesetzt werden sollen.
Das ist ein Rückfall um 20 Jahre. Mitte der 80er Jahre hatte die IG Metall noch gewagt, das westliche Transportmodell Pkw-Individualverkehr mit seinen ökologischen und sozialen Kosten in Frage zu stellen. Getrieben und gestützt von einer starken Umweltbasisbewegung, wurden Konzepte von integrierten Verkehrssystemen mit Vorrang für den öffentlichen Transport diskutiert und in der Mitgliedschaft popularisiert:
"Wenn die Beschäftigung in der Automobil- und Zulieferindustrie aus umwelt- oder verkehrspolitischen Gründen nicht weiter ausgedehnt, sondern nur stabilisiert werden kann oder im Trend zurückgeht, dann muss über neue Beschäftigungsperspektiven nachgedacht werden”, schrieb der IG-Metall-Vorstand im Juni 1990 in seinem Papier „Auto, Umwelt und Verkehr” Kritisiert wurde die Strategie der Konzerne, das westliche Mobilitätsmodell weltweit durchzusetzen: „Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass eine weltweite Angleichung der Pkw-Dichte an das Niveau der ... Industrieländer ... katastrophal für den Energie-, Rohstoff und Klimahaushalt der Erde wäre."
Solche Töne sind aus der IG-Metall-Zentrale heute kaum mehr zu hören, obwohl die heutige Krisenlage um Potenzen gravierender ist als damals. Und die Antwort auf die Herausforderung deshalb keinesfalls heißen kann: „Augen zu und durch” oder gar „Weiter so”
Erstens geht es nicht mehr nur um einen „Trend zum Personalabbau”, sondern um Arbeitsplatzvernichtung in bisher nicht gekannten Dimensionen. Wenn die Gewerkschaften dem nicht durch Mobilisierung begegnen — z.B. mit einer neuen Offensive zur Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn — droht die Zetsche/Merkel-Perspektive: Die Belegschaften werden überrollt und in eine Unterbietungskonkurrenz untereinander getrieben. Dass inzwischen Betriebsratsvorsitzende von Opel-Werken zweistellige Lohnkürzungen als „Beitrag” der Belegschaft zu einem Opel-Sanierungskonzept ins Gespräch bringen, zeigt, wie real die Gefahr ist und was für eine zerstörerische Dynamik sich entwickeln kann.
Zweitens muss es angesichts der drohenden Klimaveränderungen und Peak Oil dringend um die Veränderung unseres Mobilitätsmodells weg vom Pkw-beherrschten Individualverkehr gehen. Wer hier den Kopf nicht in den Sand steckt, kann heute auch schon wissen, dass selbst Hybrid- und Elektroantriebe — wären sie denn entwickelt genug — keine weltweit verallgemeinerbare Antwort auf Peak Oil darstellen. Denn auch dafür gibt es weltweit die Rohstoffe nicht in der erforderlichen Menge.

Mobilitätskonzerne statt Autoindustrie

Auch in den Autokonzernen war die Diskussion schon mal weiter: Unter dem Druck ökologischer Basisbewegungen und einer sensibilisierten Öffentlichkeit wollten sich vor fast 20 Jahren alle Autokonzerne zu „integrierten Mobilitätskonzernen” wandeln, der Brennstoffzellenantrieb sollte innerhalb weniger Jahre reif für die Großserie werden. Das alles verschwand schnell wieder in den Schubladen, als der Druck auf Grund der parlamentarischen Anpassung der Grünen zurückging.
Der jahrelang niedrige Ölpreis nach Bushs ersten Irakkrieg sorgte weiter dafür, dass bei der Motorenentwicklung überall auf Spritfresser gesetzt wurde. Gerade der „Green Technology Leader” Dieter Zetsche zeichnet verantwortlich für diese Entwicklung und für mehr als ein verpasstes Jahrzehnt. (Daimler wirbt derzeit mit dem strategischen Unternehmensziel „Green Technology Leadership”)
Es ist leicht vorstellbar, dass ohne massiven politischen Druck in Zukunft die Entwicklungsprioritäten wieder schnell umgestellt werden können auf das, was man schon immer profitabel gemacht und gekonnt hat: große PS-starke Verbrennungsmotoren. Der Rohstoff Öl mag zwar endlich sein, aber sein Preis sinkt vorläufig weiter.
Einen Rohstoff gibt es allerdings, der im Überfluss vorhanden ist: das Produktionswissen der Facharbeiter im Autobau und die technische Kreativität von Zehntausenden in den Entwicklungsbereichen. Sie können nicht nur Verbrennungsmotoren, Hybrid- oder Elektroantriebe für Pkw. In der Strukturkrise der britischen Flugzeugindustrie Ende der 70er Jahre wehrte sich die Belegschaft des Kriegsflugzeugbauers Lucas Aerospace gegen ihre Abwicklung unter der Parole „Statt Waffen nützliche Dinge produzieren!” und wurde weltweit berühmt damit. In der deutschen Werftenkrise gründeten Gewerkschafter, Ingenieure und Facharbeiter von Blohm & Voss „Konversionsarbeitskreise”, um die Produktion auf sozial sinnvolle und ökologisch verträgliche Produkte umzustellen.
Doch sind die Belegschaften heute, angesichts der Wucht der Krise, dafür noch zu gewinnen? Blockiert die Angst um den Arbeitsplatz nicht einfach alles? Das ist keineswegs ausgemacht. Zumal die Erfahrungen der letzten Jahre die Kollegen zutiefst misstrauisch gemacht haben gegen die Zukunftsrezepte von Kapital und Politik. Der über Jahre entstandene Zorn darüber, nur noch als Fußabstreifer behandelt zu werden, sitzt tief. Und das verhindert bis heute, dass die „Wir sitzen alle in einem Boot"-Appelle so einfach übernommen werden. Natürlich, im Betrieb macht man sich Sorgen um die Zukunft. Ein Narr, der sich angesichts dieser Krise nicht sorgen würde. Es gibt Sorgen, sehr wohl — aber keine angsterfüllte „Rette-sich-wer-kann-Stimmung”, die die Kollegen in die Arme von Verzichtspredigern treiben würde.
Der Gang ist noch aufrecht, und damit sind wichtige Voraussetzungen für eine mobilisierende Politik zu einer anderen Krisenlösung vorhanden: Die Kollegen der Autoindustrie können ihr Wissen für das notwendige Umsteuern ebenso nutzbar machen wie damals die Kollegen von Lucas und Blohm & Voss.
Gewollt und organisiert von Gewerkschaften vor Ort, flankiert von Mobilisierungen gegen Arbeitsplatzvernichtung und für radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn, könnte dies einer der Schritte sein, um das vor uns liegende „Fenster der Möglichkeiten” mit emanzipativer Absicht weit aufzustoßen.


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