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Im Kampf gegen die Krise versucht Daimler, auf Kosten seiner
Konkurrenten durchzukommen — zu Lasten der Arbeiter, die auf Lohn verzichten sollen, und
der Azubis, die nicht übernommen werden.
Alle wissen es, auch die, die
sich in den Medien als Stimmungsaufheller versuchen: Autokrise heißt heute
Weltwirtschaftskrise. In Japan ist der Pkw-Absatz auf den niedrigsten Stand seit 21 Jahren
abgestürzt, in Westeuropa auf den tiefsten seit 12 Jahren und in den USA seit 26 Jahren.
Wer von den amerikanischen „Big three” diese Krise überleben wird, ist die
große Frage. Selbst Toyota meldet drastische Produktions- und Profiteinbrüche. Die
Lage kann also nur bitter ernst sein.
Darauf verweisen auch die
derzeit diskutierten Kooperationspläne bei Einkauf, Entwicklung, Produktion und Vertrieb
unter bisherigen Erzkonkurrenten: BMW mit Daimler, BMW mit Peugeot. Jetzt in der Rezession
drücken die weltweiten Überkapazitäten der Autobauer von 20—30% massiver
denn je auf die Renditen. Die müssen beseitigt werden, sagte Fiat-Chef Marchionne, damit
die Profitraten wieder steigen können. Deshalb sei es wahrscheinlich, dass am Ende der
Krise nur noch sechs selbständige Autokonzerne übrig bleiben werden. Solche
Prognosen hat es zwar schon öfter gegeben. Dass die Überkapazitäten im
Rattenrennen des Verdrängungswettbewerbs nicht irgendwann, sondern in dieser aktuellen
tiefen Krise vernichtet werden, scheint allerdings durchaus realistisch.
Auf der letzten Bilanzpressekonferenz verkündete Daimler-Chef Zetsche — ganz
Speerspitze des Shareholder value — den Weg aus der Krise mit einem Maßnahmenpaket
zur Verbesserung des Cash flow. Sein zentraler Punkt: Die „Arbeitskosten sollen
spürbar reduziert werden”, die Arbeiter und Angestellten werden einmal mehr auf den
Unternehmerevergreen: „Ihr seid zu teuer”, eingestimmt. Die Tariferhöhung um
2,1% ab Februar soll nicht effektiv auf den Gesamtlohn weitergegeben werden, sondern nur auf
die tariflich verbindlichen Lohnbestandteile. Das führt dazu, dass die Basis aller
künftigen Tariferhöhungen entsprechend niedriger ausfällt. Mehrere freiwillige
betriebliche Leistungen wie Gesundheitstrainings, Kuren und Weiterbildungsmaßnahmen
werden zusammengestrichen. Von den im Sommer auslernenden Auszubildenden sollen 20% nicht
übernommen, sondern in die Arbeitslosigkeit entlassen werden.
Zetsches Forderung, die im Mai
fällige zweite Stufe der Tariferhöhung zu verschieben, hat der Gesamtbetriebsrat
abgelehnt. Ohne dessen Zustimmung ist das auch nicht möglich. Schwieriger stellt es sich
allerdings bei der angekündigten Nichtübernahme der Auslerner und der
nichteffektiven, nur auf tarifliche Lohnbestandteile bezogenen Lohnerhöhung dar. Beides
akzeptiert der Gesamtbetriebsrat zwar nicht. Aber die Politik der Zugeständnisse aus der
Vergangenheit holt die Betriebsräte heute ein: Im Rahmen der sogenannten
„Zukunftssicherungsverträge” waren sowohl für die Übernahme der
Azubis als auch für die Pflicht zur effektiven Lohnerhöhung
„Öffnungsklauseln” vereinbart worden. Auf die bezieht sich das Unternehmen
jetzt und macht es den Betriebsräten in der Öffentlichkeit damit nicht eben
leichter.
Gegen die Entlassung der
Jugendlichen in die Arbeitslosigkeit wurde am 18.2. eine Protestaktion vor dem
Untertürkheimer Werkstor mit Daimler-Auszubildenden aus dem ganzen Land organisiert. Ein
notwendiger und richtiger Schritt, der allerdings längst nicht ausreicht und dessen
Wirkung verpufft, wenn dem nicht deutlich mehr an Mobilisierung und Druck folgt. Ob das
allerdings im Repertoire der sozialdemokratischen IG-Metall- und Gesamtbetriebsratschefs noch
vorkommt, ist zumindest zweifelhaft. Sie scheinen eher — siehe auch Schaeffler-Conti
— auf eine Beteiligung am allgemeinen staatlichen Krisenmanagement zu bauen als auf
mobilisierungsgestützte Gegenmacht.
Die für die Kollegen geplanten Einschnitte seien nötig, schreibt Zetsche in einem
Brief an die Mitarbeiter, denn „dann haben wir die Chance, die Krise nicht nur zu
meistern, sondern gestärkt aus ihr hervorzugehen” Am Ende der Krise bessere
Startbedingungen zu haben als die Konkurrenz und ihr so Marktanteile abnehmen zu können,
heißt diese Botschaft. Sie ist im Übrigen identisch mit der von Bundeskanzlerin
Merkel: den Gürtel enger schnallen, um den deutschen Konzernen insgesamt weitere
Konkurrenzvorteile am Weltmarkt zu verschaffen.
Für die Belegschaften
hießen diese Perspektiven, dass sie für die Kosten der Krise des Kapitalismus gleich
dreimal zur Kasse gebeten werden: als Steuerzahler, mit einer drohenden Sozialabbau-
"Agenda 2020” nach der Bundestagswahl, und dazu noch direkt in jedem einzelnen
Unternehmen.
Bleiben die Gewerkschaften
weiter dieser Logik verhaftet, wird das für die aussortierten Teile der
Automobilbelegschaften heißen: Dreimal die Krise bezahlt — und dann doch gefeuert.
Bis heute beschränkt sich die Spitze der großen Gewerkschaften nämlich noch
weitgehend auf partnerschaftliche Versuche, „das Schlimmste” zu verhindern. Der
DGB-Vorsitzende Sommer wünscht sich „eine echte Renaissance der sozialen
Marktwirtschaft” Damit beweist er, dass er und seine Kollegen weder bei der
Krisenanalyse noch bei den formulierten Antworten auf der Höhe der Zeit sind — im
Gegensatz zu Regierung und Kapital, die sich nach einer anfänglichen Verunsicherung
über den Bankrott neoliberaler Ideologie wieder zum Angriff formiert haben.
Die Gewerkschaften verharren
immer noch in Schockstarre und weigern sich zur Kenntnis zu nehmen, dass am Ende dieser Krise
keine neue Sozialpartnerschaft stehen wird, sondern vielmehr eine dramatische Niederlage
droht. Kräfteverhältnisse werden nun mal nicht durch Lobbyismus verbessert.
Machtfragen werden durch Massenmobilisierungen entschieden. Genau damit tun sich die Apparate
aber so unerhört schwer. Stattdessen wird der Zombie „Bündnis für
Arbeit” wieder exhumiert. Und die kritische Distanz zu den Krisenlösungsrezepten
der Autobosse begraben.
Seit Frühjahr 2007 springen die Gewerkschaften gemeinsam mit den Gesamt-BR-
Vorsitzenden den deutschen Autokonzernen willig zur Seite, wenn CO2-Grenzwerte für die
deutschen Hersteller aufgeweicht, Ökostrafzahlungen verhindert und Abwrackprämien
durchgesetzt werden sollen.
Das ist ein Rückfall um
20 Jahre. Mitte der 80er Jahre hatte die IG Metall noch gewagt, das westliche Transportmodell
Pkw-Individualverkehr mit seinen ökologischen und sozialen Kosten in Frage zu stellen.
Getrieben und gestützt von einer starken Umweltbasisbewegung, wurden Konzepte von
integrierten Verkehrssystemen mit Vorrang für den öffentlichen Transport diskutiert
und in der Mitgliedschaft popularisiert:
"Wenn die
Beschäftigung in der Automobil- und Zulieferindustrie aus umwelt- oder
verkehrspolitischen Gründen nicht weiter ausgedehnt, sondern nur stabilisiert werden kann
oder im Trend zurückgeht, dann muss über neue Beschäftigungsperspektiven
nachgedacht werden”, schrieb der IG-Metall-Vorstand im Juni 1990 in seinem Papier
„Auto, Umwelt und Verkehr” Kritisiert wurde die Strategie der Konzerne, das
westliche Mobilitätsmodell weltweit durchzusetzen: „Es bedarf keiner weiteren
Begründung, dass eine weltweite Angleichung der Pkw-Dichte an das Niveau der ...
Industrieländer ... katastrophal für den Energie-, Rohstoff und Klimahaushalt der
Erde wäre."
Solche Töne sind aus der
IG-Metall-Zentrale heute kaum mehr zu hören, obwohl die heutige Krisenlage um Potenzen
gravierender ist als damals. Und die Antwort auf die Herausforderung deshalb keinesfalls
heißen kann: „Augen zu und durch” oder gar „Weiter so”
Erstens geht es nicht mehr nur
um einen „Trend zum Personalabbau”, sondern um Arbeitsplatzvernichtung in bisher
nicht gekannten Dimensionen. Wenn die Gewerkschaften dem nicht durch Mobilisierung begegnen
— z.B. mit einer neuen Offensive zur Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn
— droht die Zetsche/Merkel-Perspektive: Die Belegschaften werden überrollt und in
eine Unterbietungskonkurrenz untereinander getrieben. Dass inzwischen Betriebsratsvorsitzende
von Opel-Werken zweistellige Lohnkürzungen als „Beitrag” der Belegschaft zu
einem Opel-Sanierungskonzept ins Gespräch bringen, zeigt, wie real die Gefahr ist und was
für eine zerstörerische Dynamik sich entwickeln kann.
Zweitens muss es angesichts
der drohenden Klimaveränderungen und Peak Oil dringend um die Veränderung unseres
Mobilitätsmodells weg vom Pkw-beherrschten Individualverkehr gehen. Wer hier den Kopf
nicht in den Sand steckt, kann heute auch schon wissen, dass selbst Hybrid- und
Elektroantriebe — wären sie denn entwickelt genug — keine weltweit
verallgemeinerbare Antwort auf Peak Oil darstellen. Denn auch dafür gibt es weltweit die
Rohstoffe nicht in der erforderlichen Menge.
Auch in den Autokonzernen war die Diskussion schon mal weiter: Unter dem Druck
ökologischer Basisbewegungen und einer sensibilisierten Öffentlichkeit wollten sich
vor fast 20 Jahren alle Autokonzerne zu „integrierten Mobilitätskonzernen”
wandeln, der Brennstoffzellenantrieb sollte innerhalb weniger Jahre reif für die
Großserie werden. Das alles verschwand schnell wieder in den Schubladen, als der Druck
auf Grund der parlamentarischen Anpassung der Grünen zurückging.
Der jahrelang niedrige
Ölpreis nach Bushs ersten Irakkrieg sorgte weiter dafür, dass bei der
Motorenentwicklung überall auf Spritfresser gesetzt wurde. Gerade der „Green
Technology Leader” Dieter Zetsche zeichnet verantwortlich für diese Entwicklung und
für mehr als ein verpasstes Jahrzehnt. (Daimler wirbt derzeit mit dem strategischen
Unternehmensziel „Green Technology Leadership”)
Es ist leicht vorstellbar,
dass ohne massiven politischen Druck in Zukunft die Entwicklungsprioritäten wieder
schnell umgestellt werden können auf das, was man schon immer profitabel gemacht und
gekonnt hat: große PS-starke Verbrennungsmotoren. Der Rohstoff Öl mag zwar endlich
sein, aber sein Preis sinkt vorläufig weiter.
Einen Rohstoff gibt es
allerdings, der im Überfluss vorhanden ist: das Produktionswissen der Facharbeiter im
Autobau und die technische Kreativität von Zehntausenden in den Entwicklungsbereichen.
Sie können nicht nur Verbrennungsmotoren, Hybrid- oder Elektroantriebe für Pkw. In
der Strukturkrise der britischen Flugzeugindustrie Ende der 70er Jahre wehrte sich die
Belegschaft des Kriegsflugzeugbauers Lucas Aerospace gegen ihre Abwicklung unter der Parole
„Statt Waffen nützliche Dinge produzieren!” und wurde weltweit berühmt
damit. In der deutschen Werftenkrise gründeten Gewerkschafter, Ingenieure und
Facharbeiter von Blohm & Voss „Konversionsarbeitskreise”, um die Produktion
auf sozial sinnvolle und ökologisch verträgliche Produkte umzustellen.
Doch sind die Belegschaften
heute, angesichts der Wucht der Krise, dafür noch zu gewinnen? Blockiert die Angst um den
Arbeitsplatz nicht einfach alles? Das ist keineswegs ausgemacht. Zumal die Erfahrungen der
letzten Jahre die Kollegen zutiefst misstrauisch gemacht haben gegen die Zukunftsrezepte von
Kapital und Politik. Der über Jahre entstandene Zorn darüber, nur noch als
Fußabstreifer behandelt zu werden, sitzt tief. Und das verhindert bis heute, dass die
„Wir sitzen alle in einem Boot"-Appelle so einfach übernommen werden.
Natürlich, im Betrieb macht man sich Sorgen um die Zukunft. Ein Narr, der sich angesichts
dieser Krise nicht sorgen würde. Es gibt Sorgen, sehr wohl — aber keine
angsterfüllte „Rette-sich-wer-kann-Stimmung”, die die Kollegen in die Arme
von Verzichtspredigern treiben würde.
Der Gang ist noch aufrecht,
und damit sind wichtige Voraussetzungen für eine mobilisierende Politik zu einer anderen
Krisenlösung vorhanden: Die Kollegen der Autoindustrie können ihr Wissen für
das notwendige Umsteuern ebenso nutzbar machen wie damals die Kollegen von Lucas und Blohm
& Voss.
Gewollt und organisiert von
Gewerkschaften vor Ort, flankiert von Mobilisierungen gegen Arbeitsplatzvernichtung und
für radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn, könnte dies einer der
Schritte sein, um das vor uns liegende „Fenster der Möglichkeiten” mit
emanzipativer Absicht weit aufzustoßen.
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